Mein Lieblingsspiel soll ich also vorstellen. Hm hm. Eigentlich ist das ja die perfekte Steilvorlage für Platitüden a la “Lieblingsspiel? Ich liebe Spiele.” oder “So viele, unmöglich eines zu wählen…“. Ich könnte auch etwas konkreter werden, auf ein paar exemplarische Schönheiten meiner Jugend verweisen und angesichts der Tatsache, dass sie heute immer noch der Anker für nette Erinnerungen sind, qualifizieren sie sich doch eigentlich als meine Lieblingsspiele.
Erinnerungen – damit kommen wir der Sache immerhin schon näher. Lieblingsspiel bedeutet für mich nicht zwangsläufig, dass ich hunderte von Stunden hinein investiert habe. Vielleicht habe ich es nur einmal durchgespielt. Vielleicht habe ich es sogar nie beendet. Was zählt, ist, dass ich wohlig-warme Erinnerungen damit verknüpfe, seien sie nun realer Natur (und das Spiel, wie oben beschrieben, lediglich der Anker) oder an das Spiel selbst: eine schöne Atmosphäre, ein Ohrwurm-Soundtrack, vielleicht ja sogar eine besonders unfaire Stelle, die irgendwann zur richtigen Zeit am richtigen Ort gemeistert wurde.
Aus den hunderten von Spielen, die ich im Laufe meines Lebens gespielt habe, will ich mir gar nicht die Mühe machen, bewusst eine Wahl zu treffen. Stattdessen schließe ich meine Augen und lasse gespieltes an mir vorbei ziehen: Lachend fliegen Jade und Pey’j aus Beyond Good and Evil an mir vorbei, hinter ihnen wandern mit ernster Miene Monkey und Trip aus Enslaved. Faith (Mirror’s Edge) rutscht von einem roten Abwasserrohr ab, fällt als Indiana Jones durch die Bibliothek von Barnett College und landet schließlich… in the Land of the Green Isles. Ich reiße meine Augen auf und lächele selig vor mich hin: King’s Quest VI, ja, das war toll.
Eigentlich waren alle Adventures von Sierra Entertainment ziemlicher Mist. Auch wenn sie den klassischen Textadventures von Infocom & Co. Grafik und eine bewegliche Spielfigur hinzufügten und damit absolut revolutionär waren, machten sie innerhalb dieser Mechanik so ziemlich alles falsch, was man bei einem Adventure falsch machen konnte: pixelgenaues Absuchen des Bildschirms. Sackgassen am Ende des Spiels, weil man einen Gegenstand zu Beginn übersehen hat. Sterben und Neuladen im Minutentakt, weil man nicht beispielsweise millimetergenau einen Gebirgspass durchmanövriert und in den Abgrund fällt. LucasArts hat später diese Designfehler sehr genau identifiziert und mit ihren Spielen die Antithese dazu entworfen: Stressfreies Puzzlen und Spaß dabei haben – ohne die Angst im Nacken, etwas falsch zu machen. Der Erfolg gab ihnen recht.
Trotz allem mochte ich die …Quest-Reihen von Sierra, zumindest die späteren Point-and-Click-Teile. Sie lullten den Spieler durch die dicken Budgets ein: Ab der Unterstützung von VGA und Soundkarte sahen sie stets großartig aus, boten orchestral wirkende Soundtracks und bestachen insgesamt durch ihre Atmosphäre. Man wollte eben doch immer den nächsten Screen sehen. Die King’s Quests von Roberta Williams lieferten dabei im Prinzip immer eine recht spießige Märchenwelt mit klarer Einteilung in Gut und Böse und vielen Remixen aus allen möglichen Märchen-Erzählweisen, von den Gebrüdern Grimm bis zur US-Folklore. Und natürlich mit den oben beschriebenen Schwächen.
Teil 6 der Reihe aus dem Jahr 1992 machte aber plötzlich einen Quantensprung: In der Geschichte um Prinz Alexander von Daventry, der seine in einen hohen Turm weggesperrte Cassima befreien will, traute ich mich zum ersten Mal, zwei Schritte ohne Komplettlösung zu wagen. Ich reiste frei über mehrere Inseln, die thematisch eine wirre Mischung aus 1001 Nacht, Alice im Wunderland, griechischer Mythologie und vielen anderen Einflüssen boten. Jeder Screen sah absolut Hammer aus und bot andere Puzzles mit anderen Charakteren, ich habe immer gern jeden Abschnitt als kleines Kunstwerk für sich betrachtet. Gleichzeitig war es schwieriger abzuschätzen, wem man trauen konnte und wem nicht. Als der böse Geist in dem Spiel sich in einen kleinen Jungen verwandelte, der mir zurief, ich solle ins Meer kommen (mit tödlichen Unterwasserströmungen), denn man könne da so schön schwimmen, war das so creepy, dass ich heute noch eine Gänsehaut bekomme.
Natürlich starb man dadurch auch, oft sogar, aber es fühlte sich nicht mehr ganz so billig an. Durch die verschiedenen Inseln konnten viele Rätsel auch non-linear gelöst werden. Da hat natürlich Monkey Island 2: Le Chuck’s Revenge gut vorgelegt, aber so sammelte sich in kurzer Zeit eine stattliche Zahl an Erfolgserlebnissen an und man konnte um so mehr in der verträumten Welt versinken. Das Meeresrauschen und Möwenkreischen aus der ersten Szene habe ich heute noch im Ohr. Die CD-ROM-Version bot zusätzlich eine komplette Talkie-Version mit durchaus beachtlichem Voice-Acting. Und der Soundtrack befindet sich heute in meiner iTunes-Mediathek.
Trotz aller Verbesserungen hatte King’s Quest VI immer noch die klassischen Schwächen eines Sierra-Adventures. Historisch gewachsen, nennt man das wohl. Es ist somit nicht das beste Spiel, was ich je gespielt habe, aber sicherlich eines der schönsten. Wenn ich daran zurück denke, fallen mir nicht zuerst die fiesen Frustmomente ein, sondern die lebendige, bedrohliche, farbenfrohe, intrigante Welt. Und das macht King’s Quest VI heute noch zu einem Lieblingsspiel von mir.
httpv://www.youtube.com/watch?v=k5m4vWRnkKA
Ich habe, angeregt durch Deinen Artikel, das ganze mal auf mein Macbook gehauen und ja, das Game ist einfach große Klasse!
Hatte nur noch ganz düstere Erinnerungen aus meiner Kindheit, wo ich nie wirklich weit gekommen bin. Damals hatte man auch noch richtig Respekt vorm “sterben”.
Also, danke für diesen tollen Artikel!