Während ich bei Gruselfilmen, Splattermovies und Horrorstreifen regelmäßig vor Langeweile ausschalte oder einschlafe, weil ich in den seltensten Fällen tatsächlich auch nur den Hauch von Furcht verspüre, bringen mich Horrorgames immer wieder an den Rande des Wahnsinns. Die Immersion, die ich durch das Selber-Erleben erfahre, ist hier wohl der ausschlaggebende Faktor. Ich werfe hier mal die Titel »Outlast« oder »P.T.« in den Raum. Da sind bei mir die vollen Hosen vorprogrammiert.
Umso mutiger von mir, »Until Dawn« in die heimische PlayStation zu werfen. Die Ersatzhosen liegen bereit, obwohl Supermassive Games bisher eher Titel im Kerbholz hatte, die nicht gerade Vorzeigegames für jemanden sind, der jetzt in Triple-A-Horror macht: »Wonderbook: Walking with Dinosaurs«, »Start the Party!« oder ein DLC für »Little Big Planet Vita«. Bereits 2012 kündigte Sony den jüngst erschienenen Schocker für die PS3 an, erst Ende August 2015 war das Ding dann fertig und rotiert nun fleißig in den PS4s der Welt.
Kleine Herzinfarkte
Bereits während der Renderlogos, also bevor das Hauptmenü zum ersten Mal zu sehen ist, knallen uns die Engländer von Supermassive schon einen winzigen Schocker rein. Wenn der erste kleine Herzinfarkt vorüber ist, und man wieder klar denken kann, fällt auf, dass bereits hier soundtechnisch tief in der Gruselkiste gegraben wurde. Gezielte Streicher-Stabs und ein strapazierter Tieftöner zeugen von Ahnung auf dem Gebiet des wohl wichtigsten Faktors bei der Erstellung eines Gruselfilms. Denn letztlich ist »Until Dawn« nichts anderes: Ein interaktiver Film. Knappe 8 Stunden dauert ein Durchgang, also etwa so viel wie drei Episoden »The Walking Dead«, »Life is Strange« oder »Tales from the Borderlands«… Titel, die den Spieler vor teils wichtige und gewichtige Entscheidungen stellen, um die Story dann entsprechende der getroffenen Wahl weiterlaufen zu lassen. Bisher war die Umsetzung immer leicht hakelig, da die “Entscheidungen” keine wirklichen Auswirkungen auf die lineare Story hatten. Hier wurde ein Dialog geändert, da ein Spielermodell ausgetauscht… Der Großteil bestand aus Blendung und Pseudo-Interaktivität.
Mit diesem Klischee möchte »Until Dawn« bereits im Vorspann aufräumen. Ein Schmetterlingsflügel symbolisiert den Butterfly-Effekt, viele Verzweigungen stellen die Spielerentscheidungen und die daraus zu ziehenden Konsequenzen dar. Im Spiel wird das aber leider nur halbkonsequent umgesetzt, die Entscheidungsdichte ist allerdings wesentlich höher als bei der Konkurrenz. Grundsätzlich gilt es, die acht Jugendlichen, die eine Partynacht in einer einsamen Berghütte im Schnee verbringen wollen, am Leben zu erhalten, als plötzlich der absolute Horror über die illustre Truppe hereinbricht. Der Spieler hat somit also die Möglichkeit, sein großspuriges Fachwissen, wie die Schauspieler in Gruselfilmen denn besser reagiert hätten, unter Beweis zu stellen. Dass das nicht ganz so einfach ist, wie man sich denkt, merkt man spätestens ab dem ersten recht eklig inszenierten Ableben der Polygonkids. Neben vermehrt auftretenden Quick-Time-Events wird der Spieler auch häufig mit einem der Features konfrontiert, das die PS4-Exklusivität unterstreicht, denn die Bewegungssteuerung des SixAxis-Controllers wird hier exzessiv genutzt. Naja, vielmehr wird sie nicht genutzt, denn der Spieler muss in mehreren Spielszenen absolut stillhalten, dazu gehört, dass der Controller sich trotz starker Vibration, keinen Millimeter bewegt. Dass dies auf Dauer nicht gutgehen kann und fast nur mit einem Weglegen des Steuergerätes möglich ist, ist klar.
Dabei schafft »Until Dawn« eine ganz eigene Atmosphäre. Zwar ist die Stimmung allgemein sehr düster und spannend, Gänsehautfeeling kommt aber an den wenigsten Stellen auf. Vielmehr setzt der Grusler besonders im ersten Drittel vermehrt auf Jumpscares, die fast im Minutentakt mittelgroße Herzstillstände und Schreikrämpfe auslösen. Das Timing ist hier perfekt und in den seltensten Fällen kann man die Schocker voraussehen, weswegen der Effekt umso härter trifft. Zwar gilt die goldene Regel: Fällt die K.I. zurück, kommt ein Jumpscare, aber so oft, wie man alleine durch dunkle Keller, feuchte Höhlen und (der Klassiker) verlassene Irrenhausflure geistert, gibt es mehr als genug Möglichkeiten, die Hosen der Gruselfans zu füllen.
Fast so unerwartet wie die Schockmomente ist eine erkennbare Charakterentwicklung, die man ja in diesem Genre eher selten antrifft. Zumindest einer der Charaktere, der anfangs den absoluten Unsympathen mimte, und man alles daran tat, ihn als erstes sterben zu lassen, entwickelt sich im Laufe der Geschichte zu einem Publikumsliebling. Andere Charaktere, obschon Sympathieträger, können aufgrund des Storyfokus und ihrer eigenen Unwichtigkeit nicht wirklich überzeugen und hinterlassen ein Gefühl der Gleichgültigkeit.
Gelungener Cast, unsägliche Collectibles
Wer im Laufe des Spiels die Augen offen hält, kann sogenannte Totems finden. Diese Totems spielen kurze Filmsequenzen ab, die einen Hinweis auf zukünftige Ereignisse geben. Dies kann eine gefährliche Situation oder gar das Ableben eines Charakters sein. Sicherlich sind diese Totems hilfreich, geben aber zu viel von etwaigen Geschehnissen preis, so dass ein etwaiges blutiges Gemetzel beim Dahinscheiden seinen Effekt verliert. Und das ist das Problem bei allen Arten von Collectibles im Spiel. Anstatt die Atmosphäre genießen zu können, blicken die Spieler konstant auf den virtuellen Fußboden, auf der Suche nach Sammelobjekten. Auf der anderen Seite hat genau dieser Fakt mir an einer Stelle fast das Herz aus der Brust gesprengt, als ich blind, ein Collectible erhaschend, in einen Raum lief und dann durch einen besonders fiesen Jumpscare überrascht wurde.
Überrascht hat mich auch der Cast des Spiels. Hayden Panettiere (die Cheerleaderin aus »Heroes«) und einer meiner absoluten Lieblingsschauspieler: Peter Stormare. Eigentlich ein echt sympathischer Mensch, der aber ob seines ungewöhnlichen Talentes stets den Bösewicht mimt, oder zumindest einen unliebsamen Zeitgenossen. Und Rami Malek, ein unglaublich guter Mime (guckt euch unbedingt die Serie »Mr Robot« an!), dessen Polygon-Konterfeit seine Leistung leider angemessen widerspiegeln kann. Dabei gleichen die digitalen Versionen aller Akteure ihren Real-Life-Vorbildern bis aufs Haar. Besonders die Gesichter der Spielfiguren sind unglaublich detailliert und wirken oft sehr realistisch. Gegen Ende bemerkt man allerdings ein paar Patzer, die unschöne Animationen hervorrufen und Nahaufnahmen der Charaktere wie einen misslungenen 3D-Test wirken lassen. Generell sind es die teils hakeligen Bewegungsabläufe, die die Illusion der Realität zerstören und den Menschen am Controller schnell wieder auf den Boden der Tatsachen holen. Das kann The Order besser, welches aber im Gesamtbild betrachtet eher wie ein wunderhübsch gestaltetes Ölbild wirkt, während Until Dawn ein idealisiertes Uncanny Valley auf die heimischen Fernseher zaubert.
Wer auf einen Kaufgrund gewartet hat, um sich endlich, endlich eine PlayStation 4 zuzulegen: Da habt ihr ihn. Alle Remaster-Titel beiseite: »Until Dawn« ist der Hammer. Selten habe ich mich in meiner Angst so wohl gefühlt, wie in diesem Spiel. Eine Unmenge von wohlplatzierten Jumpscares vermengt mit der unausweichlichen Monotonie der viel zu früh aufgelösten Story machen den Schocker zum Horrorfilm des Jahres. Der Wiederspielwert ist eher so “mittel”, wer aber viel Zeit mitbringt und sämtliche Charaktere vor dem blutigen Tod retten möchte (oder absichtlich sterben lassen möchte), der bekommt viele Stunden zusätzlich zum erstmaligen Durchspielen geboten. Spieler, die nicht unbedingt eine deutsche Sprachfassung benötigen können (und wer jetzt noch nicht überzeugt ist, dem ist auch nicht mehr zu helfen) mit einer umgestellen Option im Menü, die Sprache auf Englisch stellen. Das klingt nicht nur soundtechnisch besser, sondern untermalt auch den Realismus der Figuren, da das gesprochene Wort jetzt auch zu den Mundbewegungen passt.