40 Jahre Haft in Alcatraz. Für den Kleinganoven Joe Lyons ein niederschmetterndes Urteil, denn aus diesem berüchtigten Hochsicherheitsgefängnis in der Bucht von San Francisco gibt es kein Entkommen. Schwer bewacht und umgeben von eiskaltem Wasser, starken Strömungen und angeblich sogar blutrünstigen Haien hat die Gefängnisinsel schon vielen Ausbrechern den Tod gebracht. Doch Joe – natürlich völlig unschuldig wegen eines schweren Raubüberfalls auf einen Geldtransporter verurteilt – beschließt das Unmögliche. Für seine geliebte Frau Christine und seine Freiheit wagt er die Flucht von Alcatraz.
In dem Point & Click Adventure »1954: Alcatraz« wechselt der Spieler zwischen zwei Hauptcharakteren hin und her: Joe und Christine. Dabei haben beide für ihr gemeinsames Ziel mit individuellen Problemen zu kämpfen. Während Joe sich im Gefängnisalltag behaupten muss, um Informationen und Werkzeuge für seine Flucht zu sammeln, schlägt sich Christine auf der Suche nach dem geraubten Geld ihres Mannes mit der Mafia und ihren Freunden aus der Beatnik-Szene, den Hipstern der 50er Jahre, herum. Mickey, hypochondrischer Mafiagangster und Nachtclubbesitzer will an das Geld aus dem Raubüberfall und macht Christine das Leben mit kleinen Überraschungsbesuchen und Morddrohungen schwer. Die Beatniks hingegen scheinen der Realität zu Gunsten von Kunst und Literatur den Rücken gekehrt zu haben und erweisen sich dadurch als keine große Hilfe auf der Suche nach dem Geld.
Das Amerika der 50er Jahre hatte politisch, technisch und kulturell einiges zu bieten. Beispielsweise prägten die Rassismus- und Homosexualitätsdebatten, technisch revolutionäre Entwicklungen wie die ersten Computer sowie musikalische Richtungen wie Jazz, Blues und Rock ‘n’ Roll die Zeit. Die Macher von Irresponsible Games bemühen sich durch viele unterschiedliche Charaktere und die auf Originalaufnahmen basierenden Kulissen im Comicstil zumindest den Flair der Zeit wiederzugeben. Unterstützt wird dies durch eine gute Synchronisation bzw. Lokalisation sowie dem großartigen und sehr jazzigen Soundtrack von Pedro Macedo Camacho.
Leider hat das Adventure mit ein paar Mankos zu kämpfen. So schafft es das Spiel nicht, den Zeitgeist ausreichend wiederzugeben. Der Alltag auf Alcatraz, die Mitglieder der Beat-Generation und die Mafia bleiben im Spielgeschehen nur oberflächlich erwähnt, obwohl gerade diese Details doch dazu einladen würden, den Spieler nebenbei mit Hintergrundinformationen zu bombardieren. Auch der sozialkritische Ansatz von korrupten Polizisten, scheinheiligen Gottesmännern bis hin zu homosexuellen Paaren erscheint vage und undurchdacht. Hinzu kommen einige Verständnisprobleme, da entweder Vorwissen vorausgesetzt wird oder die Information im Spiele-Wirrwarr verloren geht, was jedoch für die viel zu anspruchslosen Rätsel kein Problem darstellt. Grafisch erreicht „1954: Alcatraz“ auch nicht die Qualität, die man vielleicht von Daedalic gewohnt wäre, würde der Spieleentwickler nicht, wie in diesem Fall, nur als Publisher auftreten. Die 3D-animierten Charaktere in handgezeichneten 2D-Schauplätzen wirken technisch veraltet. Auch die Spieltechnik birgt keine Highlights. So kann man zwar jederzeit zwischen den Hauptfiguren wechseln, um Gegenstände zu tauschen und sich gegenseitig zu unterstützen, jedoch wird dies kaum im Spielgeschehen notwendig. Zudem wirken die Figuren in der Bewegung sehr statisch und Handlungen, wie beispielsweise das Öffnen einer Schublade, werden nur angedeutet und nicht ausgeführt. Und wer sich bereits auf die alternativen Enden freut, die durch spezielle Verhaltensweisen im Spiel ermöglicht werden, sollte sich auf eine Enttäuschung vorbereiten.
Insgesamt besitzt »1954: Alcatraz« sehr viel Potential. Die Hauptcharaktere sind passend und interessant, das Setting ist spannend, die Synchronisation gut und der Soundtrack fantastisch. Trotzdem bleibt das Spiel aufgrund der anspruchslosen Rätsel sowie der veralteten Grafik und Spieltechnik eher durchschnittlich. Und auch geschichtsinteressierte Spieler sowie Freunde der 50er Jahre werden vermutlich enttäuscht sein.
Gastautorin: Raine
Illustratorin mit Monster. Zelebriert ihre Vorliebe für Point & Click Adventures und bunte Bilder auf regenmonster.de