Es tut mir leid, Arcadia Bay 0

Warum ich "Bae over Bay" wählte

»Life is Strange« stellt mich am Ende vor eine schwierige Entscheidung. Laut weltweiter Statistik haben sich neben mir 47% aller Spieler gegen Arcadia Bay entschieden und damit „Bae over Bay“ gewählt. Jochen von Gamespodcast.de kann diese Entscheidung nicht nachvollziehen, doch sie spiegelt in meinem Fall meinen Persönlichkeitstyp wider.

Spoilerwarnung: Der folgende Artikel spoilert die Spiele »Life is Strange« und BioShock Infinite, sowie die Serie LOST.

Da wäre zunächst einmal die emotionale Bindung zu Chloé. Im Gegensatz zu den meisten Spielen schafft es »Life is Strange« dank tollem Writing und fantastischer Vertonung im Laufe seiner fünf Episoden eine glaubhafte Beziehung zwischen Max und Chloé aufzubauen. Wenn Chloé am Ende der dritten Episode im Rollstuhl sitzt oder in der vierten Episode heulend zusammenbricht, empfinde ich tatsächlich Mitgefühl. Empathie ist eine wichtige menschliche Eigenschaft und »Life is Strange« ist eines der wenigen Spiele, die es schaffen, diese bei mir auszulösen.

»Life is Strange« schafft es durch den Aufbau einer glaubwürdigen Beziehung zwischen Max und Chloé, dass ich empathisch auf Chloés Schicksal reagiere

Die Geschichte läuft immer wieder darauf hinaus, dass ich als Max Chloé vor dem Tod bewahre. Gewissermaßen fängt sie sogar damit an, als ich verhindere, dass sie von Nathan erschossen wird – im weiteren Verlauf kommen noch die Rettung vor dem Zug, Mark Jefferson und vor sich selbst hinzu. Selbstverständlich kann man argumentieren, dass auch Charlie in LOST irgendwann akzeptiert, dass er dem Schicksal beständig ausweicht. Ich bin mir allerdings sicher, dass Desmond weiterhin versucht hätte Charlie vor dem Unglück zu bewahren, wenn dieser ihn nur gelassen hätte.

Warum mir Chloé wichtig ist

Obwohl er nicht wissenschaftlich anerkannt ist, ist der Myers-Briggs Type Indicator (MBTI) ein gutes Werkzeug, um sich selber besser verstehen zu lernen. Zu meinem MBTI-Typ ISFP stellt die offizielle Webseite fest: „Loyal and committed to their values and to people who are important to them.” Die Seite 16Personalities schreibt: “if anyone is going to cancel a planned trip to stay home with a partner who suddenly got the flu as a gesture of affection, it is ISFP personalities. Spending time with their partners is something ISFPs really enjoy, and they want their partners to know that they are cared for and special.”

Letzteres ist zwar unter dem Punkt “Romantic Relationships” aufgeführt, eine tiefe Freundschaft und eine romantische Beziehung haben aber durchaus gewisse Ähnlichkeiten. Die Tatsache, dass die Freundschaft zwischen Max und Chloé eine solche Tiefe aufweist, gepaart mit meiner Empathie für Chloé, sorgt dafür, dass mir ihr Wohlbefinden wichtig ist und mein Handeln beeinflusst. Zusätzlich aufschlussreich ist hier der Cognitive Functions Test, der mir außerordentlichen Gebrauch von introvertiertem Fühlen attestiert und dieses wie folgt beschreibt: “Evaluate situations and choose what you believe is congruent with your personal identity.“

Die Bindung zwischen Max und Chloé weist Ähnlichkeiten zu einer romantischen Beziehung auf

Vereinfacht dargestellt unterscheidet der MBTI bei der persönlichen Entscheidungsfindung zwischen zwei Extremen. Am einen Ende der Skala befindet sich „Thinking“: Entscheidungen basieren auf logischen Abwägungen. Am anderen Ende der Skala befindet sich „Feeling“: Entscheidungen basieren auf Gefühlen – genauer gesagt auf den eigenen Werten und der Überzeugung, welche Entscheidung für alle Beteiligten die beste ist. Zwar tendiert man üblicherweise in eine bestimmte Richtung, bedient sich aber zu einem gewissen Grade immer beider Varianten.

In meinem Fall fußen Entscheidungen hauptsächlich auf dem „Feeling“-Merkmal, logische Erwägungen kommen in den meisten Fällen erst an zweiter Stelle zur Geltung. Sie sind dann für meine Entscheidungsfindung verantwortlich, wenn ich mir meiner Gefühle nicht sicher bin, oder wenn die objektiven Fakten deutlich stärker wiegen – und letzteres schafft es das Spiel nicht überzeugend aufzubauen.

Konstanten und Variablen

»Life is Strange« möchte mir zum Ende hin suggerieren, dass Chloés Überleben und Max’ Zeitreisen für den Orkan verantwortlich sind, bleibt mir diesen Beweis aber schuldig. Was ich lediglich das Spiel über beobachten kann, ist dass der Wirbelsturm durch die Zeitmanipulationen stärker wird. Doch was ist Kausalität und was Korrelation? Der Logik des Spiels folgend – „lass Chloé sterben und der Orkan ist Geschichte“ – müsste genauso ein früher Tod von Max, Nathan oder Mark zum selben Ergebnis führen.

Life is Strange schafft es nicht, mir glaubwürdig zu vermitteln, dass Chloés Tod die tatsächliche Lösung für den Wirbelsturm ist

Wer aber versichert mir, dass durch Chloés Ableben Arcadia Bay wirklich gerettet wird? In jeder alternativen Realität im Laufe des Spiels ist die Stadt in Gefahr. Setze ich die Multiversen-Theorie von BioShock Infinite mit ihren „Konstanten und Variablen“ an, dann stellt der Orkan für mich eine Konstante dar. Anders als Booker DeWitt ist Chloé aber nicht direkt für diesen verantwortlich – was also passiert, wenn Chloé stirbt, ist für mich damit nicht ersichtlich. Ich würde sie zwar am liebsten sterben lassen und prüfen, was wirklich passiert und notfalls zurückspulen, diese Option lässt mir das Spiel aber nicht.

»Life is Strange« schafft es nicht, mir glaubwürdig und schlüssig zu vermitteln, dass die Rettung in Chloés Tod zu finden ist – gleichzeitig sorgt mein Persönlichkeitstyp dafür, dass mir ihr Wohlergehen wichtig ist. Deswegen entscheide ich mich für Chloé – und gegen Arcadia Bay. Viele Charaktere, die mir durchaus sympathisch sind, aber nie Chloés Stellenwert erreichen, kommen damit gewissermaßen unter die Räder meiner Persönlichkeit. Bae over Bay.

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Dominik mag Storyspiele und Shooter und findet die meisten Open World- und Grinding-Mechaniken ganz furchtbar.

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