Papo & Yo ist ein Autorenspiel, in dem Vander Caballero seine Kindheit aufarbeitet, in der er regelmäßig von seinem Vater im Suff verprügelt wurde. Dieser drastische Hintergrund lädt zu einer recht emotionalen Auseinandersetzung mit dem Spiel ein, die üblichen Disziplinen wie Spielmechanik und Grafikdetailreichtum eher zu ignorieren und sich primär mit der Intention des Autors zu befassen. So zu beobachten bei Volker, der das Spiel zum Anlass nahm, seinen eigenen Ex-Alkoholkonsum noch einmal zu reflektieren oder anderswo, wo dem britischen Spielmagazin EDGE gleich die komplette Kompetenz zur Meinungsbildung abgesprochen wurde, nachdem sie unter Berücksichtigung aller Umstände das Teil dann doch eher mau fanden.
Ich finde es immer spannend, wenn verschiedene Leute unterschiedliche Ansprüche an ein Spiel stellen. Ob sie eher die persönliche Handschrift des Autors lesen, oder stumpf das Preis-Leistungs-Verhältnis in Spielstunden erbsenzählen, natürlich nicht ohne Kinokartenvergleich. Was mich betrifft, so lässt mich hinsichtlich der Spielbewertung Señor Caballeros Geschichte relativ kalt. Das meine ich nicht böswillig und ich kann mir auch sehr plastisch vorstellen, wie schrecklich so eine Kindheit sein muss, aber es reicht nicht aus, um das Spiel emotional an mich zu binden. Das mag zum einen an meiner (etwas zu) behüteten Kindheit liegen, in der die Propaganda meiner Eltern kontra jegliche Droge extrem gut gefruchtet hat – ich habe mit 18 mein erstes Bier getrunken, fühlte mich dabei wie Christiane F. aus “Wir Kinder vom Bahnhof Zoo” und mit 25 hat es mir erstmals geschmeckt.
Und zum anderen – kommt schon, Kinders – ist es bei allen schnöseligen Gamestar-Antithesen und Neudefinitionen des Kunstbegriffs, mit denen wir Blogger unser Selbstverständnis feiern, auch nur yet another video game. Ich komme nun mal abends platt aus dem Institut, nachdem mich den ganzen Tag über Studenten mit ihren für mich sehr viel realeren Sorgen belastet haben, muss nebenbei vielleicht auch privat das eine oder andere lose Ende verknüpfen, weil das scheiß Erwachsensein das einfach mit sich bringt und um die knappe Restzeit, die ich mit einer Spielkonsole verbringe, buhlt so ein »Papo & Yo« nun mal in direkter Konkurrenz mit einem guten, sauberen »Super Mario Galaxy 2«, das ich immer noch nicht beendet habe. Und bei keinem der beiden will ich mich über eine kaputte Steuerung, ein beschissenes Speichersystem oder Abstürze ärgern müssen – das sind (bei weitem nicht alle) objektive Kriterien, die du, ich oder die EDGE heranziehen dürfen.
Aber auch mit genau diesem Anspruch kann ich sagen, dass mich »Papo & Yo« gut unterhalten hat. Schieben wir die düstere Motivation mal beiseite und lassen wir uns mal nicht auf die vordergründige Metaphorik ein, die die Hauptintention des Spiels darstellt – dann bleibt, dass ich die diffuse Abendlichtstimmung mag und die entspannte Latino-Musik mich sehr angenehm berührt. Vieles an dem Spiel erinnert mich sowohl atmosphärisch wie mechanisch an das von mir sehr gemochte »Ico«, die Rätsel sind nicht sehr schwer und so kann man sich auch mit gutem Gefühl durch das Spiel knobeln, ohne sich ständig mit der Vater-Monster-Parabel belasten zu müssen.
httpv://www.youtube.com/watch?v=arfRc-7jRgM
Dass »Papo & Yo« auch auf so einer oberflächlichen Ebene funktioniert, die ich vielleicht ganz bewusst nicht durchstoßen will, ist ein großes Verdienst von Vander Cabellero. Er nervt einen nicht, schwingt nicht die Moralkeule und verlangt kein Mitleid. Ironischerweise übernehmen genau das die Texte, die sich primär mit Cabelleros Kindheit auseinandersetzen und sein Werk eher als sozialkritisches Statement sehen denn als das, was es (auch) ist: ein stimmungsvolles Spiel.
Ein sozialkritisches Statement ist das Spiel sicherlich nicht. Und wie du geschrieben hast, Videospiel ist Videospiel und demnach mit Sicherheit kein Lebensretter in der Not. Es ist aber dennoch klar, ob es dich nun ‘nervt’ oder nicht, dass der Hintergrund zur Entstehung dieses Spiels eventuell auch Spieler ansprechen dürfte, die ihre persönliche Weltanschauung mithilfe dieses Spiels nach Außen tragen. Dein Kollege Freddi hatte es mal schön in einem Blogeintrag kommuniziert: “Wir sollen persönlicher werden’, oder zumindest schrieb er es in einem ähnlichen Wortlaut. Fand ich sehr schön und auch etwas eindrucksvoll. ;)
Wenn Papo & Yo es wirklich in deinen Augen geschafft hat, andere Leute dazu zu bringen, ‘die Moralkeule’ zu schwingen, dann ist es doch schon eine ganze Ecke mehr, was andere Spiele in letzter Zeit geschafft haben. Und ich finde, wir sollten in unserer Gesellschaft schon etwas (sozial)kritischer werden und es auch offen diskutieren und warum nicht mit einem Aufhänger wie Papo, oder meinetwegen auch ein SpecOps: The Line. Die Welt wird das sicher nicht verändern, aber vielleicht gibt es mal wieder ein paar neue Denkanstösse für die verblödeten Halbstarken. ;)
Spielerisch fand ich Papo übrigens auch eher mau und wer darauf verstärkt wert legt, für den könnte das Spiel eher enttäuschend sein. Es hat nebenher aber auch ein besonderes Feature, welches in dieser Form zu beachten gilt, vielleicht nicht mehr, aber zumindest gleichwertig. Und wenn ‘ein Autor’ sogar noch eine persönliche Note dazu besteuern kann, empfinde ich das eher als bereichernd. Aber da tickt wohl jeder anders. Wenn jemand Papo aber wirklich nicht gut findet, kann ich das locker hinnehmen, da es nüchtern betrachtet zwar ein atmosphärisches, spielerisch gesehen aber kein gutes Spiel ist. Auf den Background fahre ich aber dennoch ab und auf die Offenheit Cabellero’s ebenso. Ich verstehe allerdings irgendwie nicht, dass ER dich nicht damit ‘nervt’, die Texte dazu allerdings schon (?).
Hey Doreen,
neineinein, mich nerven andere Texte über das Spiel auf gar keinen Fall. Wie ich ja eingangs meinte, ich finde es sogar interessant, wenn es jemand schafft (so wie du), über etwaige Schwächen hinweg zu sehen, einfach weil ihm der Hintergrund und die Entstehensgeschichte anspricht. Das finde ich total super.
Fragwürdig finde ich es aber, wenn man jemandem, der das Spiel eher nicht so geil findet, vorhält, dass er sich offenbar nicht mit dem Hintergrund auseinander gesetzt hat, wie inkompentent und herzlos sein muss, hier eine 4/10, ach überhaupt eine Zahlenbewertung, bei so einem persönlichen Spiel, das kann ja wohl nicht… etc.
Ich finde, das legt dem Spiel von außen so ein künstliches Schutzschild der Unkritisierbarkeit auf und erhebt es zu einem persönlichen Statement, einem Manifest, für das andere Regeln gelten. Und darin geht mir zu sehr unter, dass es trotzdem ein Spiel ist und sein will und für mich auch als solches gut funktioniert. Vander hat eben keinen Film gedreht und kein Buch geschrieben und er wird wissen, warum. Das ist ein Punkt, den man nicht unterschätzen darf und der mir persönlich immer zu sehr unterging, da man sich eher mit dem Hintergrund des ganzen beschäftigt hat.
Aber wenn genau das den Reiz für dich ausmacht: super! Ich wollte zusätzlich noch herausstellen, dass es auch andersrum geht – ansonsten hätte es diesen Text nicht gebraucht.
Ahja, dann habe ich das falsch verstanden. Mea culpa. ;(
Um das hier aber noch zu sagen, falls das in meinem Kommentar nicht so rüberkam: Ich finde deinen Text ziemlich gut und die Kritik in deinem Kommentar auch sehr gut nachvollziehbar für mich. Und auch ich finde es grenzwertig, bspw. den EDGE-Artikel, so harsch zu betrachten. Du schriebst ja auch, dass du das Gefühl hast, in dem Superlevel-Text wird die Meinungsbildung und ihre Kompetenz in Frage gestellt. Ich habe mir das mal durchgelesen und stimme da auch mit dir überein. Die Frage ist halt auch, ob man das unbedingt in Verbindung mit Vanders Spiel durchkauen muss, dass hat es irgendwie nicht verdient. Es wirkt in dem Fall eher so, als ob das Spiel nur ein vorgeschobener Grund ist, Kritik an jenen “Journalismus” zu üben. ;)
Ein Schutzschild braucht das Spiel in keinem Fall, es hat ja seine Daseinsberechtigung wie so vieles und es kann aufgrund des starken Backgrounds auch stabil auf seinen Beinen stehen. Grundlegend aber spricht der EDGE-Artikel einige richtige Dinge an.
Und das es auch andersrum geht – klare Zustimmung, lieber Fabian. :)