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Über die Darstellung Guantanamos in Splinter Cell Blacklist

Viele Videospiele – hauptsächlich solche, in denen geschossen wird – werden kontrovers diskutiert. Zwar ist das Töten von menschlich aussehenden Charakteren schon lange nichts Außergewöhnliches mehr, trotzdem existieren noch immer Grenzen, deren Überschreitung zu Diskussionen in sämtlichen Medien führt. Die Gründe dafür können ganz unterschiedlich sein. Der eine Entwickler wollte vielleicht genau diese Diskussionen entfachen; um Aufmerksamkeit für das Spiel zu generieren oder einfach, damit ein Thema, das ihm am Herzen liegt, in den Fokus gerückt wird. Das wurde schon immer so in Kunst und Medien gemacht, bei Videospielen, die eher als “Spielzeug”, denn als Kunst angesehen werden, sorgt dennoch schnell für Aufruhr, was in einem Film kaum beachtet worden wäre. Vielleicht ist es die Tatsache, dass der Konsument selbst steuert und nicht bloß zuschaut.

Beispiele der letzten Jahre gibt es viele: die Flughafenszene in »Call of Duty«, in der man unbewaffnete Zivilisten töten kann. (Kann man bei »Assassin’s Creed« auch, da sagt niemand was.), die “Vergewaltigungsszene” im neuen »Tomb Raider« (wobei Lara nur gewürgt wird) oder die gespielte Vergewaltigungsszene in »Hotline Miami 2«, die zwar sofort abgebrochen wird, in der man aber als Protagonist direkt involviert ist.

Normalerweise bin ich der Meinung, die Medien regen sich da ein bisschen zu sehr auf. Als ich zum Beispiel Tomb Raider spielte, fiel mir selbst gar nichts auf, bis ich gesagt bekam, die Szene, in der Lara kurz gewürgt wird, sei der Gegenstand der zahlreichen Artikel gewesen. Und dann spiele ich »Splinter Cell Blacklist« und wundere mich, dass die übersensiblen Medien daran kaum was auszusetzen haben. Nein, ich rede nicht von den zahlreichen Morden. Ich rede von dem Level in Guantanamo Bay.

Barack Obama, Anfang 2009: „The detention facilities at Guantánamo for individuals covered by this order shall be closed as soon as practicable, and not later than 1 year from the date of this order.”


Guantanamo Bay – oder “Gitmo”, wie die Amis ihr menschenverachtendes Gefangenencamp liebevoll nennen – dient als Hintergrund für eine Mission Sam Fishers. Er lässt sich dort einschleusen, um einen Gefangenen zu verhören (und zu foltern und wenn man mag, zu töten), im Anschluss muss er wieder ausbrechen, ohne irgendwen zu verletzen. Sind ja schließlich gute amerikanische Soldaten, denen darf man nichts tun. Darum geht es mir aber auch gar nicht. Mir geht es vielmehr um die Darstellung des Internierungslagers, gegen dessen Existenz jeder Amerikaner protestieren würde, hätten die Amis das Lager nicht einfach “ungefragt” in Kuba, sondern auf US-Boden, gebaut. Aus den Augen, aus dem Sinn. Mein Problem bei der Kampagne liegt nicht in der – vermutlich sehr realitätsgetreuen – Darstellung des Lagers. Mein Problem liegt darin, wie selbstverständlich man durch das Lager gelotst wird. Wie normal das alles ist. Wie man nicht nur nicht zum Reflektieren angeregt wird – die Entwickler hätten hier eine tolle Chance gehabt, ein politisches Statement einzubauen – sondern eher davon abgehalten wird. Wenn Sam durch das Lager geführt wird, an Gefangenen in hüfthohen Käfigen mit schwarzem Sack über dem Kopf, vorbei an stinkenden (man hört die Fliegen) Dixie-Klos, ist er kaum in der Lage, innezuhalten und sich das Ganze anzuschauen. Es verschwimmt mit dem Hintergrund, wir könnten auch durch eine Straße in New York laufen. Die Ironie ist ja, dass wir auch die Hundezwinger der Wachhunde sehen die größer sind und Freilauf bieten. Während daneben Menschen, die zum Teil niemals von irgendwem verurteilt wurden, in winzigen Käfigen auf dem Boden hausen. Die einzigen Kommentare dazu kommen von den Wachen, die ihren Job hassen, aber: “immerhin besser, als irgendwo im Krieg ne Kugel verpasst zu bekommen.”

Stellungnahme von Ubisoft zur Stelle, an der man als Sam den gefangenen Terroristen foltert: “The intent of the scene was to evoke a certain emotional moment for the player. It was meant to create an uncomfortable feeling that would make the player think about what was taking place, why and to whom.”

Die Entwickler haben sich bewusst für Guantanamo entschieden und es bietet ja auch Stoff für eine wirklich gute Mission. Reinschleusen, ausbrechen, mit dem Boot abhauen, ohne von irgendwem gesehen zu werden und ohne irgendwen verletzen zu dürfen. Trotzdem hätte ich mir eine kritische Auseinandersetzung gewünscht. Klar, nicht alles muss eine politische Meinung beinhalten, aber gerade so eine Story, in der ominöse “Terroristen” Krieg gegen Amerika führen, eignet sich für ein Statement. Oder als Denkanstoß. Man könnte den Spieler in eine Situation bringen, in der er aktiv darüber nachdenken muss. Stattdessen wird er mit Scheuklappen durch eine der am meisten kritisierten Einrichtungen der westlichen Welt geführt. Es ist verständlich – wenn auch traurig – wenn große Firmen wie Ubisoft lieber Neutralität wahren wollen, um ihre Verkaufszahlen nicht negativ zu beeinflussen. Gefreut hätte ich mich als Spieler trotzdem über irgendeinen Kommentar von Sam Fisher, über irgendeinen Hinweis, dass diese Art, mit Menschen umzugehen, meinem Protagonisten gegen den Strich geht. Aber vielleicht war das auch alles so beabsichtigt, schließlich hat es mich als Spieler zum Nachdenken angeregt und auch auf Youtube hab ich bei einigen Let’s Playern Kommentare wie “that’s just sick” gehört. Gamer sind wohl doch nicht so abgestumpft, wie immer behauptet wird.

Sam Fisher: You were just lounging on a beach in Cuba…

Disclaimer: ein Review zu Splinter Cell Blacklist wird bald folgen. Bis jetzt liebe ich das Spiel und ich möchte mich auch nicht künstlich über diese eine Kampagne aufregen, sondern einfach meine Gedanken wiedergeben, die ich beim Spielen eben dieser hatte.

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