Es hätte so gut werden können. Ja, das hätte es wirklich … Die Previews zu »The Vanishing of Ethan Carter« waren grandios und vielversprechend und verleiteten sogar mich dazu, wieder einmal ein Adventure auf dem PC zu spielen. Von Adventures habe ich nämlich zu Beginn meiner Zocker-Karriere eine Überdosis bekommen und fasse sie deshalb kaum noch an. Aber die Idee, sich aus den letzten Gedanken eines Toten und mit Hilfe weiterer Indizien, die natürlich erst gefunden werden wollen, die oft tragischen Minuten vor dem Ableben zu rekonstruieren, fand ich genial und richtig passend für ein Mystery-Adventure.
Eingelullt durch die Lobhudeleien und begraben unter den Vorschusslorbeeren laufe ich also als Paul Prospero, einem übersinnlich begabten Detektiv, los um das Verschwinden des kleinen Jungen Ethan Carter in der traumhaft schönen, aber verlassenen Landschaft von Red Creek Valley aufzuklären. Die Grafik von »The Vanishing of Ethan Carter« ist tatsächlich einmalig und nahezu photorealistisch, da haben die Peviews wirklich nicht übertrieben. Schon bei den ersten Schritten durch den herbstlichen Wald der Spielwelt klappt mir die Kinnlade herunter und ich freue mich innerlich, dass ich mal wieder eine kleine Spiel-Perle erwischt habe. Gras und Zweige bewegen sich im Wind, Laub fällt langsam zu Boden und ich höre das heisere Krächzen irgendwelcher Vögel. Moosbewachsene Felsen, üppige Farne und glasklare Seen und Bäche erinnern mich an Wanderungen in den Alpen. Leider bleibt aber die Darstellung der Menschen etwas auf der Strecke. Teigige Gesichter und teils verwaschen Texturen stören den sonst so genialen grafischen Eindruck des Spiels.
»The Vanishing of Ethan Carter« wird unter anderem ja als Horror-Adventure angepriesen und ich hatte ein Setting à la »Alan Wake« erwartet, aber der von mir befürchtete hohe Gruselfaktor hielt sich in Grenzen und blieb auf einzelne Gebiete beschränkt. Vielmehr besticht dieses Spiel durch eine eher mystische Atmosphäre, die durch einen fast meditativen Soundtrack noch untermalt und verstärkt wird.
Bei meinen Nachforschungen stolpere ich immer wieder auf teilweise grausam zugerichtete Leichen, deren Todesursachen ich nach und nach aufklären kann. Weitere teils kniffelige oder gruselige Rätsel bescheren mir immer mehr kleine Puzzelteilchen um das mysteriöse Verschwinden von Ethan Carter aufzuklären. Ich durchstöbere verlassene und verfallene Häuser, durchstreife immer wieder den herbstlichen Wald und erforsche unter anderem auch eine verlassene Mine. Die verschiedenen Gebiete waren dabei mit viel Liebe zu Detail ausgearbeitet und ich ertappe mich immer wieder, dass ich einfach nur staunend über die Landschaft blicke. Bei meinen Ermittlungen verschwimmen dabei mehrfach die Grenzen zwischen Realität und Übersinnlichem, wodurch ich mich an einige Folgen von Twin Peaks erinnert fühle, bei denen ich auch manchmal etwas ratlos und verwirrt zurückgeblieben bin.
Im Laufe der Zeit bekomme ich allerdings immer mehr offensichtliche oder auch versteckte Hinweise darauf, dass doch wohl etwas Größeres und Böses hinter den ganzen Vorgängen steckt, daher hoffe ich am Ende auf einen großen Showdown, werde aber hier leider bitter enttäuscht. Die Auflösung der Geschichte und Ende bleibt weit hinter meinen Erwartungen zurück.
Das könnte ich ja vielleicht noch verschmerzen, aber nach maximal 5 Stunden ist der Spuk von »The Vanishing of Ethan Carter« zu meiner großen Ernüchterung vorbei. Mit großen Augen starre ich auf den Abspann: „Wie? Das soll es jetzt gewesen sein? Jetzt ging es doch gerade erst richtig los!“ Ich bin jetzt nicht unbedingt die hellste Kerze auf dem Kuchen, wenn es darum geht, kniffelige Rätsel zu lösen oder eventuell fehlende Gegenstände in einem Adventure zu finden und bin teilweise ziemlich lange verwirrt durch die Gegend gelaufen, aber diese extrem kurze Spiellänge habe ich definitiv nicht erwartet.
httpv://youtu.be/9oxbkL3N_fM
Das Spiel hätte wirklich so viel Potential gehabt, hätte man die definitiv kurze Story nur etwas aufgebohrt und ein paar Nebenschauplätze hinzugefügt. Die einzelnen Rätsel waren wirklich genial gemacht, nur leider waren es viel zu wenige um für mich tatsächlich zum ausgedehnten Spielerlebnis zu werden. Ich finde, hier hat das Entwicklerstudio The Astronauts wirklich großartige Möglichkeiten verpasst, was extrem schade ist. Vielleicht habe ich ja auch etwas falsch gemacht, dann hat das Spiel aber versäumt, mich darauf hinzuweisen.
Somit lässt mich »The Vanishing of Ethan Carter« etwas enttäuscht zurück und das kann auch die wundervolle Grafik nicht wettmachen. Ich hatte mich auf nächtelanges Rätselknabbern gefreut, habe aber nur ein paar wenige kleine Kekse (die zugegeben wunderbar geschmeckt haben) bekommen. Ein Spiel mit viel Potential, das leider verschenkt wurde.