Ich erinnere mich noch ganz gut, wie ich mich damals im Geschichtsunterricht gelangweilt habe. Es gab gefühlt nur ein Thema: den Nationalsozialismus. Und ich habe dieses Kapitel der deutschen Geschichte anfänglich mit der vollen Ignoranz einer Teenagerin behandelt, die damit nur durch alte Schulbücher konfrontiert wurde und ansonsten keinerlei Berührungspunkte hatte. Meine Großeltern haben über diese Zeit nie gesprochen. Wir haben mit der Klasse nie eine Exkursion zu einem ehemaligen Konzentrationslager unternommen. Wir waren nie am Holocaust-Mahnmal in Berlin. Die Geschehnisse dieser Zeit waren für mich so weit weg wie das antike Rom.
Doch dann fiel der Groschen. Auch dank Romanen (Die Welle, Der Vorleser) und Filmen (Schindlers Liste, Der Pianist), die mir ein viel greifbareres Bild vermitteln konnten als meine Schulbücher. Die NS-Zeit mit ihrem totalitären Führerstaat liegt noch keine 100 Jahre zurück. Es gibt noch vieles, was aufgeklärt und aufbereitet werden muss. Vieles, von dem wir lernen müssen. Marc Twain soll angeblich gesagt haben: “History does not repeat itself, but it rhymes.” Und er hat recht. Daher ist es wichtig, unseren Verstand und unsere Aufmerksamkeit regelmäßig zu schulen, damit wir rechte Ideologien erkennen können – egal, in welchem Gewand sie sich wieder heranschleichen.
Die Geschichte lehrt uns viel. Und es gibt glücklicherweise mittlerweile die unterschiedlichsten Möglichkeiten, sie für uns fassbarer zu machen. Verständlicher. Und unterhaltsamer. Dazu gehören auch Videospiele, beispielsweise in Form von Serious Games.
Zwangsarbeit in Deutschland
Während der NS-Zeit wurde in Deutschland eines der größten Zwangsarbeiter-Systeme der Geschichte geschaffen. Über 12 Millionen Menschen leisteten im Zweiten Weltkrieg Zwangsarbeit, darunter auch viele Männer, Frauen und Kinder aus besetzten Gebieten. Allein im Sommer 1944 arbeiteten neben zwei Millionen Kriegsgefangenen und einer halben Million KZ-Häftlingen auch sechs Millionen zivile Zwangsarbeiter*innen im nationalsozialistischen Deutschland. Nur durch sie konnte u.a. die Nahrungsmittelversorgung und Rüstungsindustrie aufrecht erhalten werden.
Quellen:
https://www.bpb.de/geschichte/nationalsozialismus/ns-zwangsarbeit/
https://www.zwangsarbeit-archiv.de/zwangsarbeit/zwangsarbeit/index.html
Forced Abroad – Tage eines Zwangsarbeiters
Das Videospiel »Forced Abroad« erzählt die Geschichte des 19-jährigen Jan de Boer. Der junge Niederländer kann sich vor den Nazis verstecken, als diese im November 1944 viele Männer aus dem besetzten Rotterdam zur Zwangsarbeit nach Deutschland deportieren. Doch nach einem harten Winter sieht Jan im Januar 1945 keine andere Wahl, als sich zum Arbeitsdienst zu melden. Es folgt eine beschwerliche Reise mit Hunderten von anderen Männer, bis er am Ende im Zwangsarbeiterlager Neuaubing bei München landet. Während dieser Zeit führt er ein Tagebuch, in dem er von seiner Angst und Verzweiflung erzählt, von menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen, aber auch von Freundschaften und der Hoffnung, bald nach Hause zurückkehren zu können.
»Forced Abroad« wurde als App entwickelt und ist ein Mix aus Visual Novel und Videospiel. Die Geschichte wird mit gut geschriebenen Tagebuchtexten (wenn auch mit ein paar Rechtschreibfehlern) und mithilfe von ausdrucksstarken Illustrationen der Künstlerin Barbara Yelin erzählt. Dabei gibt es immer wieder kleinere Interaktionsmöglichkeiten. So kann ein Baum gefällt werden, indem mit dem Finger über den Smartphone-Bildschirm gewischt wird. Oder man wählt aus unterschiedlichen Antwortmöglichkeiten aus, wie Jans Geschichte weitergeht. Trotzdem bleibt die Handlung sehr linear. Eine wirkliche Abweichung von der Erzählung ist nicht möglich und in der Regel werden je nach Antwort nur Abschnitte verkürzt. Dies ist jedoch verständlich, da die Geschichte auf den echten Tagebuchaufzeichnungen des niederländischen Zwangsarbeiters Jan Henrik Bazuin basiert und dessen Erlebnisse so nahbar wie möglich erzählt werden sollen.
Im Laufe der Geschichte tauchen immer wieder Gegenstände aus der Erzählung auf, die durch Anklicken in einem Album gesammelt werden können. Sollte einmal ein Gegenstand verpasst werden, hat dies keine Auswirkungen auf das Spiel. Es können jedoch am Ende einzelne Kapitel wiederholt werden, um die Sammlung zu vervollständigen.
Digitales Projekt zur europäischen Geschichte der Zwangsarbeit
»Forced Abroad« wurde von Paintbucket Games in Kooperation mit dem NS-Dokumentationszentrum München als kostenlose App für Jugendliche ab 12 Jahren entwickelt. Das Serious Game ist zudem Teil des digitalen Projektes “Departure Neuaubing – Europäische Geschichte der Zwangsarbeit”. Es befasst sich mit einem Teil deutscher Geschichte, die mir persönlich noch recht unbekannt war: der nationalsozialistischen Zwangsarbeit während des Zweiten Weltkriegs. Dabei schildert die Visual Novel kindgerecht, aber trotzdem deutlich und ausdrucksstark das Leid der Zwangsarbeiter*innen und die Verbrechen des NS-Regimes. Immer wieder werden historische Fakten eingestreut. Der Fokus bleibt jedoch auf dem persönlichen Schicksal des Protagonisten, der auf seinem Weg nur winzige Einblicke in das wahre Geschehen und das Leben anderer Zwangsarbeiter*innen geben kann. Der kleine Geschichtsexkurs ist nach 1-2 Stunden Spielzeit vorbei und bietet einen einfühlsamen Einstieg in dieses wichtige Thema.
Kostenloser Download für iOS und Android
iOS: Forced Abroad im App Store
Android: Forced Abroad bei Google Play