Im Jahre 1672 befand sich das Königreich Schweiz auf dem Höhepunkt seiner Macht. Nach jahrzehntelangen Kriegen gegen das mittelmeerumfassende Herzogtum Albanien und der despotischen Monarchie der Hanse, besaß die Schweiz, unter ihrem glorreichen König, Hans Böhmer, Verteidiger des orthodoxen Glaubens, genug Marionetten im Gebiet des Heiligen Römischen Reiches, um zum neuen Kaiser gewählt zu werden. Zahlreiche Kolonien sowohl in Südamerika, als auch in Indochina, waren in der Lage den Kreuzzug gegen die ungläubigen Katholiken und Protestanten zu finanzieren und mit exotischen Handelsgütern die Stabilität des Königreichs zu gewährleisten. In den nächsten 50 Jahren konnte sich die Schweiz durch zahlreiche Gesetze die Unterstützung der anderen Königreiche, sowie seinen dynastischen Ansprüche an die Kaiserkrone für immer sichern.
Als angehender Geschichtslehrer kann ich euch natürlich sofort bestätigen, dass dies die wahre Geschichte ist, zumindest wenn ich an meinem PC »Europa Universalis 4 starte«. Die neueste Iteration des Grand Strategy-Spiels versucht die Reihe schöner, besser und zugleich zugänglicher zu machen. Europa Universalis war immer mein Liebling der Spiele von Paradox Interactive, da mich aus persönlichem Interesse der Zeitraum der Frühen Neuzeit am ehesten anspricht und sich diese Reihe als angenehmes Mittelmaß von Wirtschafts- und Staatensimulation, sowie der knallharten Militärstrategiekomponente präsentiert. Doch was macht »Europa Universalis 4« nun anders als sein Vorgänger und lohnt es sich die steile Lernkurve in Kauf zu nehmen?
Auch bei »Europa Universalis 4« steht man zu Beginn vor der Frage, welches Staatengebilde man vertreten möchte. Hierbei ist es offen, ob man sich zu Beginn der Vereinigung Frankreichs, oder der Reconquista unter Kastilien mit dem Ziel Spanien herzustellen widmet, oder ob man sich entschließt mit Venedig die Handelsmacht Europas zu vereinigen oder sogar unter den Azteken versucht die europäische Kolonialisierung Amerikas zu verhindern. Das Spiel schränkt einen nicht ein, gibt aber natürlich Empfehlungen: So ist es nahezu unmöglich Albanien für länger als 10 Jahre am Leben zu erhalten, da das Osmanische Reiche einen sofort überfällt. Intelligenter ist es zu Beginn also die Großmächte jener Zeit, sprich England, Kastilien, Frankreich oder Österreich zu wählen, und damit einen lebhaften Start zu haben. Aber auch im Spiel ist man auf sich allein gestellt, da es kein festgelegtes Spielziel gibt: Je nach Nation und Spielverlauf – also vor allem auch dem Verhalten der KI – präsentieren sich immer andere Ziele und so kann man bei einer Nation wie Albanien “nur” das Ziel haben, die Macht auf dem Balkan zu sichern, während ein Vertreter des habsburgischen Österreich die Staaten im Heiligen Römischen Reich unter seine direkte Herrschaft bringen möchte.
Soviel zum Einstieg und den direkten Zielen: Europa Universalis ist hochgradig komplex und sicherlich kein Spiel, das man in einer Stunde verstanden hat. Es geht um Allianzen, geschickte militärische Entscheidungen, die Erhaltung einer gesunden Wirtschaft und im Laufe des Spieles auch sehr gerne mal um die Reformation der Kirche und des Staatswesens. Hierbei steuert man eine unsterbliche Figur, die durch den jeweiligen Herrscher des Staates repräsentiert wird. Der Herrscher kann mal mehr, aber mal ganz und gar nicht kompetent sein, was sich in der Generierung von Herrschaftspunkten widerspiegelt. So verfügt man nun über eine Art von Rohstoffen, den Administrations-, den Diplomatie- und den Militärpunkten, die man gezielt in die Weiterentwicklung von Technologie, die Etablierung von nationalen Ideen, die Durchsetzung von Forderungen bei Friedensverhandlungen oder einfach nur in die Anheuerung von Generälen für die Armee einsetzen kann. Diese neue Form der Lenkung des Staatswesens erlaubt eine direktere Steuerung im Gegensatz zu der indirekten Investition von Geld im Vorgänger, bei der man aber auch mehr aufpassen muss, dass man seine Macht nicht für sinnlose Veränderungen verschenkt.
In Sachen Provinz- und Militärmanagement ist aber alles beim alten geblieben: Noch immer gilt es seine Provinzen mit Gebäuden zu pushen, damit sie sowohl für die Steuer- und Handelseinnahmen, aber auch für die Bereitstellung von Soldaten ihren Teil beitragen können. Wirklich viel geändert hat sich hierbei nicht, denn noch immer gibt es Provinzen die interessant sind, weil sie mehr Steuern oder einen seltenen Rohstoff bieten können, oder vielleicht auch einfach nur, weil sie einen bestimmte strategischen Vorteil versprechen. Eine Provinz auf der britischen Insel kann zwar sehr teuer und schwer zu verteidigen sein, aber auch einen Vorteil für eine zukünftige Invasion bieten. Teuer sind Provinzen durch das neue System der Erstellung von Kernprovinzen: Früher musste man noch 50 Jahre warten, bis eine Provinz komplett in den eigenen Besitz übergegangen ist. Das war zwar vielleicht realistisch, aber dennoch entnervend und für den Spielfluss nicht sehr dienlich. Jetzt gilt es eroberte Provinzen mit Hilfe von Administrationspunkten zu übertragen. Das kostet je nach Basissteuersatz mehr und dauert länger, ist aber immer noch sehr viel schneller als beim alten System. Bis dahin sind Provinzen aber sehr anfällig für Aufstände und können durch das System der “Overextension” schnell zur Destabilisierung des eigenen Staates führen. So muss man aufpassen, dass man nicht zu schnell zu viele wertvolle Provinzen vom der Konkurrenz abgreift – abgesehen davon, dass man sich sehr unbeliebt macht – da der eigene Staat auch darauf aufpasst, dass man sich nicht zu schnell ausbreitet. Dieses System macht es nahezu unmöglich Europa in wenigen Jahren zu erobern, aber schützt einen auch vor großen bösen Gegnern, also in der Regel Frankreich.
Komplett neu, und zuerst wirklich verwirrend, ist das Handelssystem: Im Vorgänger war es recht leicht, mit dem Handel Geld zu verdienen, aber sehr schwer seinem Gegner zu schaden. Konnte man vorher nur seine Händler in bestimmte Zentren schicken um dort einen Teil vom Kuchen abzugreifen, so kann man in Europa Universalis 4 gezielt steuern, wo Geld hinfließt und welche Reichtümer am nächsten Punkt des Handelsnetzes ankommen. Das erfordert aber viel Einarbeitung, denn zu Beginn versteht man gar nichts. Der Handel funktioniert jetzt nach einem System, in dem Güter an Handelspunkten gesammelt werden und somit Geld erwirtschaften. Von diesen Punkten gehen Verbindungen zum nächsten Punkt aus, die dort natürlich mit immer mehr Gütern, immer wirtschaftlicher werden. An diese Handelspunkte kann man nun seine Händler einsetzen und sie beauftragen, dass sie entweder versuchen Geld aus dem Fluss herauszuholen, sodass weniger Geld von dort abgeht, oder sie den Fluss der Waren in eine bestimmte Richtung bringen, sodass man dort noch mehr Geld abgreifen kann. Wie erfolgreich der Händler ist, hängt von der Macht ab, die man vor Ort besitzt und die man mit Gebäuden in den Provinzen, sowie durch die Sicherung der Handelsrouten mit Schiffen steigern kann. Mit England habe ich beispielsweise somit das Einkommen von Portugal und Spanien schwächen können, da ich in der Karibik einen Händler beauftragt habe den Fluss der Waren über meine Kolonien in Nordamerika zu steuern. Von dort war es ein leichtes, sehr viel Geld direkt nach London zu schiffen um es dort abzugreifen, bevor es in die Hände Frankreichs in Antwerpen ging. Auf diese Weise konnte ich sowohl verhindern, dass Portugal und Spanien die Waren in den Handelspunkt auf der iberischen Halbinsel schickten, als auch dafür sorgen, dass Frankreich am Ende nicht zu viel abbekam. So wird übrigens auch die merkantilistische Philosophie des Handels zur Frühen Neuzeit sehr anschaulich umgesetzt: Es geht darum so viel wie möglich vom Kuchen abzubekommen, ohne selbst viel vom Fluss zu verlieren. Das System ist zu Beginn unglaublich verwirrend, aber nach einiger Einarbeitungszeit kann man sein Einkommen stark vergrößern und gleichzeitig den Konkurrenten einen starken wirtschaftlichen Schaden zufügen. Sehr schön gemacht!
Als Geschichtsstudent stellte sich mir im Laufe des Spielens zwangsläufig die Frage, ob »Europa Universalis 4« eine akkurate Staatensimulation der Frühen Neuzeit ist. Selbstverständlich kann es das nicht sein, allein schon aus dem Grunde, dass wir als Spieler der Moderne mit einem anderen Bewusstsein an einen erfolgreichen Verlauf der Geschichte gehen. Für uns als Spieler zählt es, dass wir mehr von allem haben. Eine Provinz mehr unter unserer Herrschaft, ein paar Dukaten mehr im Geldsäckel und technologisch immer auf dem neuesten Stand, um am Ende im besten Falle die uneingeschränkte Macht über alles zu haben. Inwiefern unsere moderne Vorstellung von mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Machtverständnissen, welche sehr machiavellistisch – wenn ich hier mal die veraltete Interpretation des Begriffes zu Rate ziehen darf – zu sein scheint, zutreffen mag, ist ein weites Feld und von Herrscher zu Herrscher unterschiedlich. Es kann aber gesagt werden, dass die meisten Herrscher der in Europa Universalis 4 dargestellten Zeit nicht so gedacht haben. Zutreffend ist allerdings ein weit verbreiteter Wunsch nach Kontrolle über fremde Provinzen, wenn diese auch meist indirekt war. Allen voran das habsburgische Königshaus hat mit seinen umfangreichen diplomatischen Verwicklungen immer wieder für machtpolitische Konflikte gesorgt. Neben diesem Wunsch nach Macht, gab es natürlich auch klassische Religions-, Kultur- und Handelskonflikte, welche in »Europa Universalis 4« auch umgesetzt werden. Das Spiel stellt also keine hundertprozentige Repräsentation der Geschichte von 1444 bis 1821 dar – das wäre auch todlangweilig – aber sie gibt durch die Reaktion der Kontrahenten und des eigenen Volkes ein recht gutes Bild davon, wie die Geschichte hätte verlaufen können, wenn die Herrscher der frühneuzeitlichen Nationen allesamt machiavellistisch gedacht hätten. Damit ist »Europa Universalis 4« ein sehr schönes Werk alternativer Geschichtssimulation.
Es gibt noch viele Aspekte, die ich hier nicht berücksichtige, aber wahrscheinlich liest das hier eh keiner mehr, was sehr schade wäre. Insgesamt ist »Europa Universalis 4« deutlich übersichtlicher geworden, sodass man genauer versteht, warum beispielsweise ein Staat meine Allianz nicht mehr haben möchte. Dabei darf man aber nicht vergessen, dass »Europa Universalis 4« immer hochkomplex ist. Das neue Handelssystem hat mir das wieder vor Augen geführt, da ich mich komplett neu einarbeiten musste um zu verstehen, was ich da eigentlich tue. Das Spiel ist wirklich hochkomplex und selbst nach 100 Stunden Spielzeit finde ich immer wieder neue Aspekte, die ich vorher nicht verstanden habe. Um das erste Mal ein wirklich funktionierendes Spiel am Laufen zu halten, ohne dass man von allen gehasst wird oder der wirtschaftliche Ruin permanent den Fortschritt bremst, muss man mindestens 20-30 Stunden Einarbeitung hinter sich bringen. Wenn man das geschafft hat, dann hat man ein Erlebnis, das einzigartig ist. Wirklich kein Spiel, das ich sonst gespielt habe fesselt mich so sehr wie ein Spiel der Europa Universalis-Reihe, und ich ertappe mich immer wieder, dass ich auf dem Weg nach Hause überlege, was ich denn gleich im Spiel machen möchte. Das ist ein Gefühl, dass ich wirklich sehr selten habe. Wer sich bei »Civilization« und »Total War« wünscht, er könnte das Spiel mit mehr Mikromanagement und historischer Akkuratesse steuern, der sollte sich darauf einlassen, denn komplexer und akkurater geht es wirklich nicht. Obwohl der Vorgänger nach Jahren der Optimierung inzwischen fantastisch ausbalanciert ist, würde ich jedem raten Europa Universalis 4 zu kaufen, da diese Iteration viele Neuigkeiten mit sich bringt, die vor allem den Einstieg übersichtlicher machen.
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