Derzeit geht’s rund in der Szene, denn die großen Fische im Teich prügeln sich verbal um das Recht auf Vorabmuster von Viedeospielen, die Pflicht zur subjektiven Berichterstattung und den Sinn von prozentualen Wertungssystemen.
Dem interessierten Zocker ist sicherlich die Geschichte mit ASSASSIN’S CREED II und der Computerbild Spiele aufgefallen, die schreibt nämlich in ihrem Editorial zur Ausgabe 12/2009:
Wir testen hart, aber fair. Unabhängige Testurteile opfern wir nicht auf dem Altar der Aktualität. Das gilt auch für „Assassin’s Creed 2“. Der Hersteller verlangte die Notengarantie „sehr gut“, sonst gibt es vorab kein Testmuster. Deshalb kommt der Test erst in der nächsten Ausgabe – gerne mit „sehr gut“, aber nur, wenn es das Spiel verdient.
Sehr konsequent, wie ich finde. Man mag ja über die Zeitschrift denken, was man will, aber so eine Aussage erhält von mir erstmal senkrechtes Kopfnicken. [Das angefragte Statement von Ubisoft hierzu verzögert sich, deswegen veröffentliche ich den Artikel heute einfach und reiche die Stellungnahme später per Update nach.]
Der hundertprozentig subjektive Kommentar von Jörg Luibl beschreibt die Vorgehensweise der Publisher schon in weniger freundlichen Tönen:
Ich spreche von Embargos. Ich spreche von dieser aufgeplusterten, fast schon geheimdienstähnlichen, im Ansatz korrupten und vor allem schrecklich anachronistischen Terminpolitik, die die Presse im Zeitalter des Internets bevormunden oder im Vorfeld beeinflussen will.
Der ganze Artikel hört sich für mich so an, als ob sich da ein Haufen Frust über die Jahre angesammelt hat. Aber Herr Luibl, übrigens Chef bei 4Players, hat in seinen Kommentaren stets ein offenes Wort gefunden, was sicherlich zu begrüßen ist.
Daraufhin hat sich aber noch der ehemalige Chefredakteur von PC Player auf seinem privaten Blog in die Diskussion eingemischt. In Der Spieletest ist tot… schreibt Boris Schneider-Johne über eine Unsitte, die viele von uns Gamern schon lange stört: die prozentuale Bewertung von Spielen. Da steht:
Spaß kann man nicht mit einer allgemeingültigen Zahl bewerten, denn der “Spaß” einer Situation wird von jedem Menschen anders empfunden. Wir sind alle Individuen.
Auch wenn er, laut eigenen Angaben, eine ganze Schar von Spieletestern in dieser Disziplin ausgebildet hat, so finde ich das Statement als solches schon korrekt! Weniger korrekt verteidigt Schneider-Johne in Hier irrt der Luibl die “fragwürdigen” Praktiken mancher Publisher, in dem er den Journalisten Kleingeistigkeit vorwirft:
Wieso geht Ihr Schreiber davon aus, daß Ihr alle unfehlbare Ikonen der Spielewelt seit? Was gibt Euch eigentlich das Recht, unter ein Spiel eine Zahl von Eins bis Hundert zu setzen? Wieso seit Ihr schlau und die PR-Leute doof? Welche von diesen beiden Gruppen arbeitet professioneller und hat seinen Job wirklich in einer Ausbildung gelernt?
Weil ein PR-Fuzzi „schreiben“ in seiner Ausbildung gelernt hat, sind die Pressetexte der Publisher professioneller und damit höher zu bewerten als die von Journalisten (oder Bloggern) geschriebenen Reviews? Hallo? Geht’s noch? Was ist das denn für eine Argumentation? Da ist dann wohl doch der Senior Product Manager bei Microsoft mit ihm durchgegangen.
Ich war ja der Meinung, dass eher die Hersteller ein Interesse an einer Schulnotenbewertung ihrer Spiele haben. Wer für seinen Chef schonmal einen Businessplan oder Review schreiben musste, der weiss was ich meine. Erfreulicherweise gibt es ja auch Ausnahmen am Markt, so habe ich z.B. in der Zeitschrift GEE keine Prozentwertungen zu aktuellen Spielen entdecken können. Eine Prozentwertung am Ende von Tests à la GamePro stört mich aber auch nicht wirklich, wenn die Test und vor allem Previews das wieder wett machen!
Tapfer vertritt hingegen Petra Fröhlich, die derzeitige Chefin bei PC Games, die mathematischen Testergebnisse ihrer Redakteure und schlägt in ihrer wöchentlichen Kolumne, diesmal unter der Überschrift Keine Wertung, keine Eier zurück:
Meinungen gibt es zuhauf, an jeder Ecke. In einer immer komplexeren Welt ist es mehr denn je der verdammte Job eines Redakteurs, Lesern das Leben zu erleichtern. Orientierung zu bieten. Fragen zu beantworten. Zu beraten und zu informieren. Zusammenzufassen. Aufzudröseln. Argumente zu liefern.
Aus Ihrer Sicht absolut verständlich, was soll sie denn auch anderes sagen?! Aber gibt ihr der sinkende Absatz der Spielezeitschriften noch das Recht dazu? Oder widerspricht sie sich in ihrem Artikel nicht gerade selbst, da es dem interessierten Spieler keineswegs zu anstrengend ist, sich vor dem Kauf über den Titel im Netz ausführlich zu informieren?
Mein persönliches Fazit: Es gibt keine objektive Berichterstattung bei Videospielen, sondern nur subjektive Meinungen. Prozentuale Wertungen und Schulnoten bei Games sind daher unsinnig und sollten durch Spielberichte ersetzt werden. Kunst verlangt nach Kritik, nicht nach quasi-wissenschaftlicher Bewertung. Und Reviews sollten von Spielern für Spieler geschrieben werden. Wenn diese auch noch schreiben können, umso besser!
Und liebe Hersteller, ich freue mich wahnsinnig über Vorabversionen, Testmuster und exklusives Material von Euch. Ich werde aber nicht meine Seele für ein kostenloses Spiel verkaufen. Auf photoappar.at habe ich auch nie mit meiner Meinung hinter dem Berg gehalten und mir bis heute ein gutes Verhältnis zu den Hardware-Herstellern und Verlegern bewahrt. Rechnet einfach mit meiner ehrlichen Meinung als Gamer. Auf keinen Fall werde ich mich hinsetzen und ein Spiel, dass mir keinen Spaß gemacht hat, auch noch gut bewerten. Solche Titel zocke ich nicht mal bis zum Ende durch. Das Leben ist zu kurz für schlechte Spiele.
– Schön, daß die Debatte aus den USA mit 2 Jahren Verspätung auch Deutschland erreicht hat: Ubisoft sei (wiedermal) dank.
– Wer kann heute noch ‘enthusiast press’, Blogger, etc. von gestandenen Journalisten unterscheiden – der Nachwuchs bestimmt nicht.
– Spielebewertungen abschaffen? Prima. Sagt das den Spieleentwicklern, welche ihre Boni nach der Metacritic-Wertung erhalten.
– Publisher wollen ihre ‘Message’ kontrollieren. Wer mitspielt soll nicht im nachhinein ‘Foul’ rufen. Manche bei CompBild/SpieleBild sind alte Hasen im Geschäft – gute Werbung.
– persönl. Anmerk.: Was mich am meisten ärgert (US/UK und dt. Presse) da sitzen jahrelang Amateure in immer kleiner werdenden Redaktionsräumen und wissen immer noch nicht wie schwer es ist so ein Spiel zu programmieren; haben keine Ahnung von C/C++ oder fachbezogenen techn. Wissen, blabbern aber stets von oben herab über ‘Grafik’ und ‘Spaß’ – klar ist das subjektiv aber außerdem verlässt es nie die Sichtweise von 6-jährigen (alle 2 Monate copy+paste Textblock für neues Spiel xy).
Mehr Mut zur Weiterbildung, sage ich da. Dann liest es sich auch interessanter. Ansätze (bes. in D sind seit Jahren zu erkennen).
BTW: gute, knappe Zusammenfassung der Ereignisse:)
twitter: @buckybit (engl) /@buckybits (dt)
Ich höre immer »Amateure«. In das gleiche Horn bläst ja auch Herr Dreisechzig. Da bin ich vollkommen anderer Meinung. Um ein gutes Review für ein Spiel abzuliefern, muss ich keine Programmierkenntnisse haben. Der Programmierer weiss die Arbeit in einem Game vielleicht besser zu schätzen, aber das sagt rein gar nichts über das Spiel selbst aus. Als ob die Leute ein Spiel kaufen, weil es gut programmiert ist. Ich kaufe ja auch kein Buch, weil mir die Schriftart so gut gefällt. Ich kann mich da nur wiederholen: Reviews sollten von Spielern für Spieler geschrieben werden.
BTW: und vielen Dank für die Blumen :)
Danke für den tollen Bericht :) Bringt mich doch glatt dazu euch ne mail zu schreiben :)
Boris Schneider-Johne ist für mich ein extremer Unsympath, der nach wie vor massiv von seine früheren (zurecht verdienten) Lorbeeren zehrt. Um so größer ist der Hohn, dass er jetzt den Abgesang auf Spielemagazine predigt. Ich verfolge ja auch sein Blog und seine Twitter-Updates, aber diese arrogante “Microsoft rulez, also friss oder stirb”-Haltung geht mir extrem auf den Keks. Zumal er in jedem zweiten Satz betont, es handele sich um seine private Meinung – also bitte, Doc Bobo, das glaubt dir doch kein Mensch.
Und was die Prozentwertungen betrifft, versteh ich das riesen Fass nicht, was darum aufgemacht wird. Leser X braucht es vielleicht, um sich daran festzuhalten, Leser Y ignoriert es und will lieber schöne Artikel. Niemand hindert Verlag/Blogger/Autorenkollektiv Z, diese schönen Artikel zu liefern und damit Leser Y abzugreifen. Warum muss jetzt von Schneider-Johne aufoktruiert werden, wie der perfekte Test auszusehen hat? Bullshit.