Dragon Quest XI S: Weltenretten im Wartezimmer 1

Fans japanischer Rollenspiele haben auf der Switch mittlerweile die Qual der Wahl. Neben Exclusives wie »Xenoblade Chronicles 2« und »Octopath Traveler«, zahlreichen Re-Releases wie der Final Fantasy Reihe, reihen sich seit Ende September auch »Ni no Kuni« und »Dragon Quest XI S« in das Lineup der Konsole ein. Nachdem ich mir Ni no Kuni gerade erst angesehen habe, folgt nun folgt nun der elfte Ableger von Square Rollenspielreihe – und zeigt im direkten Vergleich, wie unterschiedlich JRPGs sein können.

Ein moderner Super Nintendo Klassiker

Müsste ich »Dragon Quest XI S« mit nur einem Wort beschreiben, dieses Wort wäre „heimelig“. Obwohl ich nie zuvor einen Teil der Serie gespielt habe, erinnert mich das Spiel an meine Kindheit mit dem Super Nintendo. Ich denke an graue Wintertage, die ich bei Weihnachtsbeleuchtung mit Titeln wie »Illusion of Time«, »Secret of Mana «und »Terranigma« verbracht habe. Es erinnert mich daran, wie ich im Schlafanzug und in eine Decke eingehüllt vor der Konsole gesessen habe, während ich in fremden Welten versunken bin.

Wildwasser Rafting für Einsteiger: Mit dem Weidenkorb nach Cobblestone.

Dieses Gefühl kehrt schon bei der oldschooligen Story zurück. Vor etwa fünfzehn Jahren wurde die einst glorreiche Stadt Dundrasil während einer einzigen Nacht von Monstern zerstört. Einer der wenigen Überlebenden ist der Held von »Dragon Quest XI S«. Wie einst Mose wurde er in der Nacht des Überfalls in einem Weidenkörbchen auf einem Fluss ausgesetzt, in das Dorf Cobblestone in Sicherheit geschwemmt und dort als Findelkind aufgezogen.

Jahre später: Am Tag seiner Reifeprüfung erwachen – wie das in japanischen Rollenspielen nun mal so ist – mächtige Kräfte in dem mittlerweile jugendlichen Helden. Also wird er in die Stadt Heliodor geschickt, um sich dort als Luminary, als legendärer Weltenretter, zu offenbaren. „Mega Idee!“, findet auch der König von Heliodor, der den Helden vor Begeisterung gleich mal ins Gefängnis sperrt. Damit beginnt die unfreiwillige Heldenreise.

Goldene Felder, mediterrane Küsten, schneebedeckte Berge, Wüsten oder karibische Dörfer: Optisch gibt es in Dragon Quest XI S viel Abwechslung.

Superstarke Monster rundenweise vermöbeln

Abgesehen von dieser Heimeligkeit überzeugt »Dragon Quest XI S« aber auch als Spiel. Immer wieder ertappe ich mich dabei, den halben Tag auf der Couch zu verbringen und an die Konsole gefesselt zu sein. Ein Hauptverantwortlicher dafür ist das rundenbasierte Kampfsystem, ein weiterer die freie Charakter- und Partyentwicklung. Zwar ist »Dragon Quest XI S« in seinem regulären Schwierigkeitsgrad zu leicht, erweist sich mit der Option, alle Monster “superstark” zu machen, aber schnell als anspruchsvolles und taktisch herausforderndes JRPG mit enormer Tiefe.

Ganz wichtig für meine Spielfreude ist, wie responsiv und flüssig sich das Kampfsystem trotz Rundenmodus anfühlt. Ich muss nämlich an dieser Stelle gestehen: Oftmals empfinde ich Rundentaktik in JRPGs als sehr anstrengend, langwierig und trocken. Nicht so in »Dragon Quest XI S«: Die Kämpfe gehen schnell von der Hand und auch das akustische und optische Feedback bei erfolgreichen Angriffen fühlt sich gut an. Figuren stürmen zum Angriff vor, Zauber haben nette Effekte und kritische Treffer laufen in Zeitlupe ab.

Der Kampf sieht beinahe wie ein Echtzeitsystem aus und fühlt sich sogar actionreich an – trotz unendlicher Bedenkzeit vor jedem Zug.

Obwohl strikt rundenbasiert, wirkt der Kampf daher beinahe wie ein Actionsystem. Wenn ich möchte, kann ich sogar die Geschwindigkeit der Animationen extrem erhöhen. So wird mir die Gefechte nie lästig, sondern im Gegenteil Hauptbestandteil des Spielspaßes. Selbst gelegentliches Grinding, eigentlich für mich ein Spielspaßkiller, nehme ich im hohen Schwierigkeitsgrad gerne auf mich. Gleichzeitig erlaubt der Rundenkampf natürlich bedächtiges Vorgehen, was insbesondere bei den harten Bosskämpfen wichtig wird.

Strategie und Synergie

Zusätzlich motiviert mich der Kampf, weil er natürlich die Tretmühle für die Charakterentwicklung ist. Jedes Partymitglied verfügt über einen eigenen Talentbaum mit verschiedenen Spezialisierungsmöglichkeiten, in denen ich nach und nach neue Fähigkeiten und Boni freischaltem und kombinieren kann. Sylvando etwa, der Gaukler der Truppe, kann sich auf Schwerter oder Peitschen spezialisieren. Während Schwerter sich für den Kampf gegen einzelne Gegner eignen, trifft die Peitsche grundsätzlich jedes Mitglied einer Gegnergruppe, verursacht aber weniger Schaden. Oder spezialisiere ich Sylvando lieber auf Zauber und Betörungen, um Gegner aus dem Kampf zu nehmen? Darüber hinaus existieren eine Menge Synergieeffekte, die bestimmte Talentkombinationen mehrerer Partymitglieder vorteilhaft machen: Dieb Erik etwa kann schlafenden Gegnern besonders hohen Schaden zufügen – praktisch, wenn auch andere Partymitglieder Feinde ins Land der Träume schicken können.

Ähnlich umfangreich sind die Skilltrees sämtlicher Partymitglieder. Jeder Held hat die Wahl zwischen verschiedenen Waffen und klassenabhängigen Fähigkeiten.

Durch die freie Wahl von Ausrüstung, Talente und Partyzusammenstellung ergeben sich eine Vielzahl strategischer Entscheidungen, die den Unterschied machen zwischen Sieg und Niederlage. Ich erinnere mich beispielsweise an den Kampf gegen einen riesigen Kraken. Mehrfach gescheitert, habe ich meine Strategie geändert. Mit der richtigen Kombination aus Heilfähigkeiten, Buffs und Debuffs konnten ich anschließend den Oktopus zum Aufgeben überreden. Auch das ist das Schöne an »Dragon Quest XI S«: Ein Sieg wird nicht geschenkt, sondern muss errungen werden – zumindest auf dem hohen Schwierigkeitsgrad.

Im Zentrum steht der Spieler

Außer bei einigen Storysequenzen, in denen Bosse auftauchen und während der Schifffahrt, lassen sich Kämpfe übrigens in der Regel vermeiden. Gegner sind bereits von weitem sichtbar und der Held rennt schneller als jeder Feind. Wenn ich also keine Lust habe, mich durch einen Dungeon zu schlagen, lass ich die Gegner einfach links liegen – wenn ich mir sicher bin, dass meine Party stark genug ist für den Boss.

Das steht sinnbildlich für eine der ganz großen Stärken von »Dragon Quest XI S«: Als Spieler hat man immer die vollständige Kontrolle. Man ist nicht abhängig von dynamischen Spielsystemen, perfekten Timing oder besonders hoher Geschicklichkeit am Gamepad. Ja, dadurch wirkt Welt statisch und leblos. Diesen Nachteil nimmt »Dragon Quest XI S« in Kauf, um dafür eine besondere Klarheit schaffen. Im Zentrum der Spielerfahrung steht der Spieler selbst, entgegen dessen ausdrücklichen Wunsch nichts geschieht.

Selbstverständlich besteht in Dragon Quest XI S auch die Möglichkeit, den Figuren besondere Kostüme anzuziehen, wovon – typisch japanisch – vor allem die weiblichen Partymitglieder ähem…. „profitieren“.

Ich hätte mir nur gewünscht, dass diese Transparenz noch einen Schritt weiterginge: Wie bereits angedeutet, sind die zahlreiche Debuffs wie Schlaf, Magie unterdrücken oder Gegner verwirren extrem nützlich. Doch wann und warum diese ihr Ziel manchmal verfehlen, wird mir nie ganz klar. Habe ich Pech? Ist der spezielle Gegner immun? Würde es mit besseren Werten oder höherem Level klappen? Hier fehlen mir tatsächlich ein paar eindeutigere Rückmeldungen.

Japanische Sitten

Doch es ist keineswegs nur das Gameplay, das mich packt. So traditionell japanisch die High-Fantasy Welt von »Dragon Quest XI S« auch gestaltet sein mag, genieße ich dennoch auch die Stunden, die ich abseits von Dungeons und Kämpfen verbringe. In eine neue Stadt zu kommen, ein wenig mit den Bewohnern zu quatschen, das lokale Flair aufzusaugen, macht immer wieder aufs Neue Spaß. Dass man dabei unvermeidlich auf das ein oder andere Problem stößt, das dringend eine Heldentruppe zur Lösung benötigt, versteht sich von selbst.

Veronica ist ein sehr wütendes Persönchen.

Jede Stadt und ihre Umgebung funktioniert dabei wie eine kleine, oft humorvolle Kurzgeschichte aus dem Fantasy-Allerlei. Im Wüstenreich Gallopolis etwa hat der junge Thronfolger erfolgreich alle davon überzeugt, er sei ein mutiger Ritter und Schwertmeister – obwohl er in Wahrheit ein untalentierter Angsthase ist. Als ein Monster auftaucht, muss natürlich ich heimlich die Karre aus dem Dreck ziehen, damit der Prinz den Schein waren kann. Ob das gut geht?

Ulkig ist etwa auch die Stadt Phnom Menh und ihre uralte Tempelanlage, die als Touristenmagnet viele Besucher anzieht. Allein das Konzept “Tourismus” existiert vermutlich in keinem einzigen westlichen Fantasyrollenspiel, in JRPGs hingegen findet man solche modernen Anleihen immer wieder. Blöd für die Touristikbranche, dass in Phnom Menh immer wieder Menschen spurlos in den Ruinen verschwinden….

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Vermutlich ist es dieser eigenwillige Mix, der in mir nostalgische Gefühle weckt. In »Dragon Quest XI S« koexistieren Ernsthaftigkeit und Humor, brechen realweltliche Anspielungen die Fantasywelt und wird selbst vor sexuellen Konnotationen nicht zurückgeschreckt. Auf westliche Betrachter mag das befremdlich wirken, für japanische Popkultur typisch zieht es sich jedoch durch das gesamte Spiel. Das gilt auch beim Monsterdesign: Man bekämpft saure Gurken, kleine Wildschweine mit Hexenhut oder lebendige Kakteen – aber auch Gegner, die man in westlichen Rollenspielen finden würde, wie grüne Drachen, Zombies und Orcs.

Ideal auf der Switch

Mit »Dragon Quest XI S« verstärkt ein weiteres JRPG das Line-Up der Switch. Obwohl kein Exclusive, harmoniert es doch wunderbar mit den Stärken der kleinen Konsole. Es läuft auch auf der schwachen Hardware flüssig und erweckt auf dem kleinen Bildschirm sogar den Anschein höherer optischer Güte, als es eigentlich hat. Dazu kombiniert es große Spieltiefe mit einer Mechanik, die unabhängig ist von Geschicklichkeit und Timing: Während kurzzeitige Ablenkungen bei Echtzeitsystemen stören, wartet »Dragon Quest XI S« stets geduldig auf meinen nächsten Zug. Auch deshalb eignet es sich gerade auch für Unterwegs.

Geeeeeeerooonimo!

Daher habe ich »Dragon Quest XI S« in langen Sitzungen sowohl als episches Rollenspiel auf dem großen Fernseher, als auch gemütlich im Handheld gespielt. Aber auch kürzere Sessions, etwa im Wartezimmer, machen Sinn – gehe ich halt raus in die Wildnis und sammle ein paar Erfahrungspunkte. Ein stärker narrativ angetriebenes Spiel würde ich so fragmentiert nicht spielen wollen, doch mit »Dragon Quest XI S« funktioniert das. Weil ich starke Kontrolle über mein Spielerlebnis habe, kann ich gezielt eine gameplay-fokussierte Runde einlegen. Die macht selbst ohne Ton Spaß und ich muss nicht befürchten, versehentlich die nächste Storysequenz auszulösen. Und wenn ich abends wieder vor dem Fernseher sitze, löse ich gezielt das nächste Storyereignis aus.

So zeigt auch »Dragon Quest XI S« einmal mehr, dass solche großen Spiele auch auf dem kleinen Bildschirm funktionieren. Gleichzeitig etabliert sich dank solcher Titel die Switch mehr und mehr als meine wichtigste Gaming-Hardware. Für mich, der seit dem Gameboy keinen Handheld mehr hatte, ist das eine unerwartete Wendung: Vom mobilen Begleiter zur Hauptkonsole. Gut gemacht, Square Enix.

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Sebastian spielt auf der Playstation 4 samt PSVR und der Nintendo Switch aktuelle Blockbuster und Indies.

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