Spiele, die im Grunde eine einzige große Begleitmission sind, scheinen im Jahr 2013 ziemlich angesagt, doch »Might & Delight« („Pid“) beleuchten in ihrem neuesten Werk »Shelter« mal eine ganz andere Seite. Statt die ewig gleiche Geschichte von der starken, beschützenden Vaterfigur – wie kürzlich in »Bioshock: Infinite« oder »The Last Of Us« – erzählt das Survival-Adventure von einer Dachsmutter samt ihren Jungen und entführt mich, statt in postapokalyptische Ruinen oder Steampunk-Städte, in einen wunderschönen Herbstwald.
In einer Höhle fange ich an meinen mütterlichen Pflichten nachzugehen. Eins der Jungtiere hat eine ungesunde weiße Fellfarbe und liegt regungslos am Boden. Shelter macht mir hier sehr dezent eine der Spielmechaniken klar, denn füttere ich das arme Geschöpf mit einer Wurzel, verfärbt sich das Fell wieder in ein natürliches Graubraun und mein Junges rennt wieder quietschfidel hinter mir her. Wie das in der Tierwelt so ist, besteht meine Hauptaufgabe also darin, Nahrung zu finden, damit meine Babys nicht zu schwach werden, den Gefahren des Waldes zu trotzen und die Kleinen am Abend zurück in eine schützende Höhle zu führen. Während meine Familie hinter mir her trottet, halte ich Ausschau nach Essbarem und möglichen Bedrohungen. Was fast schon meditativ beginnt – vor allem durch die schöne Musik und die Gestaltung der Umgebung in beruhigenden Pastelltönen begünstigt – wird nach und nach durch verschiedene Hindernisse und Gefahren erschwert. Füchse verjage ich mit einem mutigen Sprint in ihre Richtung oder erlege sie mit einen herzhaften Biss in den Nacken. So ein Dachs ist ja schließlich gerne mal größer als Gevatter Reinecke. Gegen Greifvögel hilft nur im Unterholz Deckung zu suchen und für die Überquerung von reißenden Flüssen suche ich mir seichte Stellen mit viel Schutz vor möglichen Flutwellen.
Der Fokus der Entwickler liegt ganz klar auf Immersion. Den Spieler oder die Spielerin in den Bann zu nehmen und in jedem von uns elterliche Schutzinstinkte wachzurufen. Gerade bei den Angriffen der Greifvögel gelingt das auch sehr gut und fast panisch schaue ich mich nach jedem ungeschützten Sprint ins Dickicht um, ob auch keins meiner Kinder in den Krallen des verdammten Federviehs gelandet ist. Leider versagt Shelter dafür an anderen Stellen. Die am Anfang elementar wirkende Nahrungssuche gestaltet sich als einfachster Teil im ganzen Spiel, sodass ich zu keiner Zeit in Gefahr lief eins meiner Jungen schwach zurückzulassen. Selbst später, wenn es ein bisschen hektischer wird, blieb dafür stets genug Zeit. Füchse stellen ebenfalls keine wirkliche Bedrohung dar und wenn meine Jungen Nachts panisch vor einem Knacksen im Dickicht weglaufen passiert genau gar nichts, außer dass ich sie ein bisschen weiter vorne oder hinten wieder einsammeln darf.
Ein anderes Problem ist es aber, das für mich den größten Kritikpunkt ausmacht: Verliere ich eins der Jungen an eine der Gefahren im Wald, wird diese damit automatisch gebannt und ich kann gemütlich durch den Rest des Spielabschnitts marschieren. Dass ein Greifvogel sich mit einem Opfer vorerst zufrieden gibt und seines Weges zieht, ergibt ja durchaus noch Sinn, doch ein reißender Fluss wird in Shelter plötzlich zu einem gemütlichen Bächlein, ein Waldbrand glimmt gemütlich vor sich hin, schränkt meine Bewegungsfreiheit aber nicht weiter ein.
Die Idee von Shelter ist im Prinzip absolut fantastisch und ich will es wirklich mögen, doch schaffen es »Might & Delight« leider nicht völlig die Mutterinstinkte in mir wachzurütteln. Das liegt zum einen an dem zu leichten Schwierigkeitsgrad und dem Bruch der Immersion durch die von mir angesprochene Spielmechanik, aber auch zu einem ganz großen Teil an der zu unaufgeregten Spielwelt. Shelter lässt nicht zu, dass ich meine Umgebung erkunde und etwas erlebe. Dafür ist es zu statisch, hat seine vorgefertigten Wege und vorprogrammierten Ereignisse. Einen lebendigen Wald stelle ich mir anders vor. Auch die Beziehung zu den Jungtieren soll rein über Immersion aufgebaut werden. Ein Verlust soll schmerzreich sein und mich traurig machen, doch leider hatte ich im Verlauf das Gefühl, meine kleine Rasselbande sei lediglich ein alternativer Weg, einen „Lebensbalken“ darzustellen. Sie laufen nur hinter mir her, betteln hier und da mal nach einem Apfel oder einer Wurzel und reagieren auf gescriptete Events, wirken aber nie wie schutzbedürftige Tiere. Übrig bleibt eine schöne Idee, die auf jeden anders wirken kann, bei mir aber nicht komplett funktioniert hat.
Wer trotzdem mal reinschauen will: Shelter erschien bereits am 28. August und kann für 9€ bei Steam oder auf der offiziellen Spielwebsite erwerben worden.
Interessant: Dass die akute Bedrohung verschwindet, nachdem sie ihren Tribut in Form eines Dachslebens gefordert hat, ist mir während des Spielens gar nicht aufgefallen – vermutlich, weil der Immersionsprozess bei mir deutlicher gegriffen hat, als es bei dir der Fall war. Allerdings…
“…und wenn meine Jungen Nachts panisch vor einem Knacksen im Dickicht weglaufen passiert genau gar nichts, außer dass ich sie ein bisschen weiter vorne oder hinten wieder einsammeln darf.”
…ist das nicht ganz richtig. Klar erschließt sich relativ schnell, dass man den Dachskindern folgen muss, aber während meines ersten Durchlaufs habe ich nicht rechtzeitig reagiert und gleich zwei von ihnen an ein Raubtier verloren, dessen Präsenz nur durch Geräusche angedeutet wird – und das auch dann noch im Hintergrund lauert, wenn es bereits einige Leben auf dem Gewissen hat.
Die Geradlinigkeit des Spiels war für mich übrigens auch ein wesentlicher Kritikpunkt, der allerdings aus meiner Sicht durch die lauernden Gefahren hinreichend kompensiert wurde. Es erschien mir plausibel, dass angesichts des notwendigen Fokus auf das bloße Überleben kein Freiraum für ausgebige Erkundungstouren blieb, auch wenn diese Einschränkung spielmechanisch sicher nicht optimal eingebunden wurde.
Ach schau an, das mit den Raubtieren in der Nacht ist mir wiederum nicht aufgefallen, da ich meine Jungen immer gleich wieder eingesammelt hab. Ich hielt das einfach nur für “Suspense” und fand das lahm, aber wenn da wirklich was passiert muss ich den Punkt natürlich etwas entschärfen. Mich hat vor allem eine Stelle sehr geärgert, die ich im Text jetzt nicht erwähnt hab: Beim überqueren des Fluss muss man sich ja hinter diesen Steinen verstecken. Das war an sich einfach. Allerdings hat man ja immer gesehen, dass die Flutwellen irgendwie durch die Steine “durchgeclipped ” (ist das der richtige Ausdruck?) sind, so dass nie so 100% klar war, ob man seine Familie jetzt wirklich in Deckung hat oder nicht. Da hab ich mein erstes Tier verloren und war ziemlich sauer, weil’s im Grunde nicht meine Schuld war.