Days Gone: Über die Toten nur Gutes!? 0

Days Gone. Beinahe wäre dieser Artikel ein einzige, lange Schimpftirade geworden. Selten habe ich mich bei einem Spiel über so viele Dinge geärgert. Doch dann habe ich eine richtige Entscheidung getroffen: Ich habe Days Gone für vier Wochen beiseitegelegt, um mich von meinem Frust und Ärger zu distanzieren. Und als ich zurückkam, war im Spiel tatsächlich so etwas wie Spaß zu entdecken. Für einige Zeit. 

Fehlende Fäden

Es ist bemerkenswert, wie Spiele oft lediglich von einigen wenigen Fäden zusammengehalten zu werden scheinen. Häufig genügen schon handwerklich ordentliches Kerngameplay, eine geschmeidige Steuerung und befriedigendes Trefferfeedback, um auch an unkreativen Titeln Spaß zu haben. Schießen, Schleichen und Nahkampf, Survival, Crafting und Erfahrungspunkte, Monsternester ausräuchern und Camps überfallen: Kommt euch das bekannt vor? Days Gone setzt auf die übliche Open World Formel und unterscheidet sich damit auf dem Papier kaum von modernen Klassikern wie Horizon: Zero Dawn und Witcher 3. Wie schief kann das schon gehen? 

Ziemlich schief, wie sich herausstellt. Jetzt gäbe es gute Gründe, die unkreative Formelhaftigkeit moderner Open Worlds zu beklagen. Das soll hier aber nicht das Thema sein: Auch ich habe bereits eine Menge Zeit in solchen Spielen verbracht und hatte viel Spaß mit ihnen. Zu begründen, warum ich plötzlich bei Days Gone über die Elemente dieser Formel stöhne, obwohl ich an anderer Stelle schon so häufig wohlwollend über sie hinweggesehen habe, fällt da schwer. 

Das Problem mit den zusammenhaltenden Fäden: Fehlen sie, verändert sich die Wahrnehmung einer Spielformel komplett. Bereits kleine Detailfehler können irritierend wirken: Nicht ganz saubere Timings, leicht hakelige Animationen, unsaubere Zielsteuerung: Plötzlich fällt der Blick ungeschönt auf Problemzonen eines Spiels. Genau das ist mir bei Days Gone passiert: Es lenkt mich kein positiver Ersteindruck von kleineren und größeren Mängeln und der unkreativen Spielvision ab. Im Gegenteil: Die Kernelemente des Gameplays präsentieren sich in den ersten Stunden so schlecht wie nur möglich und laden dadurch nur umso mehr dazu ein, noch weitere Makel wahrzunehmen.  

Die Abwärtsspirale 

Days Gone erzählt vom Biker Deacon St. John, der zwischen Menschen und Zombies im postapokalyptischen Oregon ums Überleben kämpft. Doch das fällt schwer: Im offenen Kampf benötige ich ein gutes Dutzend Hiebe, um mit dem Stiefelmesser einen einzigen Zombie endgültig vom Leben zu befreien. Andere Nahkampfwaffen sind zwar effektiver, aber auch überaus brüchig: Bereits nach wenigen Schlägen zerbrechen Waffen wie Macheten und Feuerwehräxte.  

Auch im Schießen ist Deacon ungeübt: Die Waffen richten nicht viel Schaden an und sie sind höllisch ungenau. Besonders frustrierend allerdings: Beim Schwenken der Waffen nimmt die Zielgenauigkeit stark ab. Wenn ein Gegner links oder rechts von Deacon auftaucht, muss ich nicht nur auf sie zielen, sondern auch nach dem Zielen das Fadenkreuz für einige Sekunden ruhig halten, um nicht zu verfehlen. Menschliche Gegner sind dann längst wieder hinter ihrer Deckung verschwunden, Zombies weitergelaufen. Außerdem scheint das Spiel zu cheaten: Häufig hatte ich den Eindruck, das anstürmende Zombies meiner Kugel noch ausweichen, nachdem ich bereits den Abzug gedrückt habe. 

Das unbefriedigende Kampfsystem ist die Ursünde des Spiels: Bereits nach kurzer Zeit habe ich angefangen, Kämpfe zu vermeiden und mich darüber zu ärgern, wenn mir das Spiel eine Auseinandersetzung mit Banditen, Untoten oder wilden Tieren aufzwingt. Doch ohne befriedigende Konfrontationen als Grundlage des Spiels, ohne Aussicht auf einen grundlegenden Gameplayloop, der mich motiviert, weiterzumachen, werden plötzlich all die nervigen Kleinigkeiten in den Fokus gerückt, über die ich in den nächsten Stunden stolpere. 

Ich habe mich pausenlos geärgert: Über Bulletsponges, Waffenverschleiß und nutzlose Schusswaffen. Über die langatmigen Open-World-Standardaufgaben, die sich ständig wiederholen. Über das Motorrad, dem alle fünfhundert Meter das Benzin ausgeht. Über das ziellose herumirren in der Spielwelt, auf der Suche nach Benzinkanistern. Oder über minutenlanges im-Kreis-laufen in leeren Camps, weil Missionstrigger nicht markiert sind.  Über die Begrenzungen von Missionsgebieten, die weder markiert sind und sich auch nicht in das Leveldesign einfügen. (Auf einem Friedhof endet das Missionsgebiet etwa nicht an der Mauer, die den Friedhof abgrenzt, sondern willkürlich irgendwo zwischen den Grabsteinen).  Über fehlerhafte Audioregie, die Dialogzeilen parallel abspielt und so zu einem unverständlichen Brei vermischt. Über Schnitte in Videosequenzen, die nicht zueinander passen. Über die Regie beim Storytelling, die keinerlei Gefühl für Timing besitzt. Die Abwärtsspirale in meinem Kopf lässt sich nicht mehr anhalten. Es ist Zeit für eine Pause. 

Vier Wochen später 

Es hilft nichts: Days Gone wartet noch immer auf mich. Also kehre ich zurück in den grau-verregneten Nordwesten der USA, schwinge mich auf mein Motorrad und lasse mich eine einsame Landstraße hinunterrollen, vorbei an leeren Städtchen, verlassenen Campingplätzen und verfaulenden Untoten.  

Und ich bin überrascht: Irgendwo in diesem Spiel ist doch Spaß versteckt. Zwar ist die Zombieapokalypse als Thema mittlerweile arg überstrapaziert, aber Sony gelingt es immerhin, die grundsätzliche Ästhetik und Stimmung des Settings sauber einzufangen. Ähnlich wie die ersten Staffeln von Walking Dead oder das Microsoft-exklusive State of Decay, zeichnet Days Gone ein unerbittliches Bild der letzten Tage der Menschheit. 

So packt mich zuerst die Atmosphäre der nahezu menschenleeren Landschaften. Ich komme vorbei an verfallenden Scheunen, Autowracks und verlassenen Flüchtlingscamps, fahre an vereinzelten Untoten vorbei die mir lediglich aus toten Augen nachschauen, oder verstecke mich vor Zombie-Heerscharen, die durch das Land ziehen. Dann lasse ich all die Nebenaktivitäten hinter mir und konzentriere mich auf die Hauptquests: Hier überzeugt das Spiel mit guten Sprechern und starken Gesichtsanimationen. Gleichzeitig zeigt das Upgradesystem Wirkung: Deacon wird spürbar mächtiger, was viele der vorherigen Kritikpunkte am Kampfsystem abschwächt. Auch ein neuer Benzintank am Motorrad lindert spürbar den Zug, den Days Gone auf meinen Geduldsfaden ausübt.  

Es kommt auch zu coolen Szenen, die sich dynamisch aus dem Spiel ergeben: Etwa, wie eine Zombiehorde auf mich zurollt und ich – Shit! Shit! Shiiiiit! – zum Motorrad sprinte, aufsteige und die ersten Meter quälend langsam einen Berg hinauffahre. Die Untoten kommen bedrohlich nahe, bis endlich die Traktion des Motorrads greift und ich in sprichwörtlich letzter Sekunde entkomme – ein Autor hätte das nicht besser inszeniert. 

Das geht eine Weile lang gut und für einige Tage begleite ich Deacon ganz gerne bei seinem Kampf ums Überleben. Manche der Störfaktoren relativierten sich mit der Zeit, andere habe ich gelernt zu ignorieren. Zwar erreicht Days Gone nie die Qualität, die man üblicherweise von einem Sony Exklusivtitel erwartet, dennoch ist es mir gelungen, die Abwärtsspirale in meinem Kopf anzuhalten und mich auf die positiven Dinge konzentriert.

Doch dann hat mich das echte Leben für ein paar Tage abgelenkt – und Days Gone ist augenblicklich wieder in Vergessenheit geraten. Es ist aus meinem Kopf verschwunden und hat am Ende keine Spuren hinterlassen, keine Sehnsüchte und Emotionen geweckt. Trotz der positiven Wende bleibt Days Gone leider ein nur mittelmäßiges Open World Spiel, wie es sie zu Dutzenden gibt. Mittlerweile liegt es erneut seit über einer Woche ungespielt herum. Ich glaube nicht, dass ich noch einmal zurückkehren werde. 

Offenlegung: Days Gone wurde uns von Sony zur Verfügung gestellt.

 

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Sebastian spielt auf der Playstation 4 samt PSVR und der Nintendo Switch aktuelle Blockbuster und Indies.

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