Zockwork Orange

Auf Achievementjagd mit dem Windows Phone Nokia Lumia 800

Als ich hörte, dass man für die Gagdetnight das Nokia Lumia 800 mit Windows 7.5 “Mango” testen dürfe, war ich sofort Feuer und Flamme. Alle meine Handys vor dem iPhone, was immerhin ganze zwei Stück sind, waren von Nokia, ich mag Windows und die Xbox-Live-Verknüpfung wollte ich unbedingt mal ausprobieren. Zu guter Letzt nervte mich mein iPhone 3G zunehmend und es musste langsam aber sicher eine Alternative her.

Kurz darauf nannte ich ein Nokia Lumia 800 mein Eigen und – auf die Gefahr hin, wie eine Amazon-Bewertung zu klingen – die Verpackung hat mich schon direkt begeistert. Ich wollte ja ein Unboxing-Video machen, das hätte allerdings erst nach Weihnachten geklappt und so lange wollte ich das Handy dann doch nicht unangetastet lassen. Deshalb gibt es nur ein Foto und ein paar Details dazu:

Neben dem Lumia 800 beinhaltete das verfrühte Weihnachtsgeschenk eine passende Hülle und noch den üblichen Kram wie USB-Kabel und Netz-Adapter zum Aufladen, Kopfhörer und eine winzige Anleitung.

Endlich ausgepackt liegt das Lumia 800 gut in der Hand, die Seiten/Rückseite ist aus einem glatten, mattschwarzen Material und alles fühlt sich recht edel, stabil und gut verarbeitet an. An der rechten Seite befinden sich drei Tasten, ganz oben für lauter/leiser, darunter der An/Aus-Schalter und ganz unten der Auslöser für die Kamera, der gleichzeitig auch als Shortcut zum Kameramenü dient. Man könnte jetzt meinen, der Button läge da unten im Handballen etwas ungünstig, hält man das Lumia aber quer, liegt er direkt unter dem rechten Zeigefinger, also genau da, wo der Auslöser bei einer Kamera hingehört. Klar, fotografieren mit einer Hand funktioniert da nicht so gut, aber das funktioniert eigentlich bei keinem Handy wirklich gut. Die Kamera lässt sich außerdem auch über den Touchscreen auslösen, alles also kein Problem.

Die Kameralinse befindet sich horizontal zentriert auf der Rückseite. An der Oberkante des Handys sind dann noch zwei Öffnungen, die sinnloserweise mit einem Hinweis darauf, wie man sie öffnen kann, beschriftet sind. Sowas gehört in die Anleitung und nicht auf’s Gerät selbst. (Nach mehreren Wochen fiel mir dann auf, dass es sich hier um Aufkleber handelt.) Unter der einen Plastikabdeckung befindet sich der USB-Anschluss (das Ding öffnet man folglich mindestens ein Mal am Tag), unter der anderen versteckt sich der Slot für die Micro-SIM.

Nach längerem Suchen finden wir schließlich den Touchscreen des Lumia genau dort, wo er sein soll: auf der Vorderseite. Der Glas-Bereich auf der Vorderseite besteht einerseits aus dem eigentlichen Touchscreen, beherbergt aber zusätzlich im unteren Bereich noch drei “feste” Touch-Buttons für “Zurück”, “Home” (Windows-Symbol) und “Suchen” (Bing).

Der Touchscreen benötigt ein bisschen Eingewöhnungszeit. Wenn ich mit dem Daumen nach unten scrolle, wird das öfters als Swipe nach links verstanden. Und ich komme nicht selten versehentlich auf den Bing- oder Windows-Button, was doof ist, wenn man gerade mitten im Spiel ist. Die Apps laufen zwar im Hintergrund weiter und können über den Zurück-Button direkt wieder aufgerufen werden, der Doodle-Jump-Highscore ist dann trotzdem im Eimer. Ansonsten gibt es noch zu bemerken, dass es sich um ein OLED-Display handelt. Vorteile: es funktioniert ohne Hintergrundbeleuchtung, kann dadurch echtes Schwarz darstellen, verfügt über einen besseren Kontrast als LCD/LED und kann tatsächlich aus jedem Winkel einwandfrei betrachtet werden.

Angeschaltet begrüßt uns ein Hintergrundbild mit den wichtigsten Infos wie Datum, Uhrzeit, Akkustand usw., eine Slide-Bewegung öffnet dann den eigentlichen Homescreen. Hier offenbart sich eines der interessantesten Features des Windows Phones: animierte Kacheln zeigen die wichtigsten Anwendungen an, zeigen aber gleichzeitig auch Inhalte wie Profilbilder von Kontakten, eine Bildervorschau, letzte Aktivitäten von Facebook usw.

Nachtrag: ja, seine Lieblingsmenschen auf den Homescreen packen zu können, ist eine tolle Idee. Wenn die Daten dann aber gar nicht aktualisiert werden, ist das doof. Interessiert mich das Facebook-Update von “1 month ago” wirklich noch? Um schnell auf wichtige Kontakte zugreifen und diese anrufen zu können, ist das Feature super, die unaktuellen Zusatzinfos von Facebook sind aber leider Quatsch.

Eine Seite (bzw. einen Swipe von Rechts nach Links) weiter finden sich schließlich sämtliche installierte Apps. Hier wird auch direkt eine Suche angeboten, die ist leider nötig, da alle installierten Apps alphabetisch sortiert auf einer Seite angezeigt werden. Das wird schnell unübersichtlich, auch wenn sich wichtige Apps auf den Homescreen schieben lassen. Ab ca. 45 Apps wird zwischen den Apps ein Alphabet angezeigt, was man als Shortcut zu den jeweiligen Apps nutzen kann.

Vorinstallierte Anwendungen

Der Homescreen eines Smartphone zeigt ja üblicherweise direkt beim ersten Start ein paar Anwendungen, die mehr oder weniger nützlich sind. Neben den Nokia-spezifischen Apps wie “Nokia Karten”, “Nokia Musik” und “Nokia Navigation” waren das hier u.a. natürlich die Telefon- und Nachrichtenfunktion, ein Kalender/Task-Manager, Mail-Konten, der App-Marketplace + App-Highlights, das Fotoalbum, eine Zune-Verknüpfung und natürlich der allseits beliebte Internet Explorer (IE9).

Auf der nächsten (alphabetischen) Seite findet sich das Ganze dann nochmal, plus ein paar zusätzliche Apps wie ein Taschenrechner, ein Hilfe-Menü, Einstellungen und ein Wecker, der tatsächlich nur ein Wecker ist, eine Stoppuhr/eine Timer-Funktion habe ich bis jetzt vergeblich gesucht. Doof, normalerweise nutze ich mein Handy als Küchentimer für Nudeln und so. Gibt es hier zwar als kostenlose App, hätte aber auch ruhig direkt integriert sein können.

Ansonsten tut der Wecker was er soll und bietet eine große Auswahl an Wecktönen (leider keine eigenen MP3s auswählbar). Das Mail-Programm sieht sehr schlicht und übersichtlich aus, gefällt mir sehr gut. Der Musikplayer kann ebenfalls überzeugen und bietet eigentlich alle benötigten Funktionen, sieht dank der Kachel-Ansicht, die sich hier fortsetzt, allerdings etwas leer aus, wenn der abgespielte Song kein Albumcover hat. Die Soundqualität ist okay und das Radio geht auch voll in Ordnung.

Ein besonderes Schmankerl ist die Office-App, mit der man Notizen (OneNote) oder auch Word-, Excel- und Powerpoint-Dokumente erstellen kann. Speichern kann man die Dokumente auf dem Handy selbst, in der Office-365-Cloud oder im SkyDrive-Ordner. Dort kann man auch automatisch die erstellten Fotos hochladen, 25GB kostenloser Speichern sollten vorerst wohl ausreichen.

Das App-Angebot

Was macht man als erstes, wenn man mit einem neuen Betriebssystem unterwegs ist? Richtig, man versucht, alles so nachzubauen, wie man es gewohnt war. Das ist bei einem Smartphone nicht anders und deshalb habe auch ich zuerst nach den für mich wichtigsten Apps im Marketplace gesucht, zuerst nur kostenlose Apps, versteht sich. Facebook und Twitter gibt es natürlich, WhatsApp, Miso und Foursquare findet man auch sofort, auf Instagram muss ich leider verzichten und auch Dropbox bietet keine eigene App an. Dafür gibt es aber das schon erwähnte SkyDrive, bei dem man direkt 25GB Speicher bekommt. Nicht ganz so komfortabel, lässt sich aber mit leben. Welche App ich dann aber tatsächlich ein bisschen vermisse ist “Handyticket”, womit ich immer Bus- und Bahntickets kaufe.

Dass der Appstore von Apple ein größeres Angebot hat, ist klar, die wichtigsten Anwendungen findet man aber auch für’s Windows Phone. Ich bin mit dem Angebot auf jeden Fall zufrieden, selbst wenn ein paar Sachen fehlen. Die kommen aber sicher noch, wenn mehr Leute Windows nutzen.

Die Spiele

Kommen wir zum wichtigsten Abschnitt des Tests, nämlich zu den Spielen und der Verknüpfung mit Xbox Live. Meinen Xbox-Gamertag hinzuzufügen war dann auch tatsächlich eine meiner ersten Handlungen mit dem Handy. Als mein gewohnter Avatar dann über den Screen hüpfte, war ich schon sehr glücklich. Die Xbox-Live-App ähnelt eigentlich dem aktuellen Xbox-Dashboard, das Angebot an Spielen reicht wie überall sonst auch von totaler Crap bis extrem gut. Die Spiele selbst werden nochmal in zwei Kategorien aufgeteilt: Xbox-Live-Games und “normale” Spiele. Erstere verfügen über zusätzliche Xbox-Live-Features wie die Verknüpfung mit dem eigenen Avatar oder ganz wichtig: Achievements! Ganz recht, bei diesen Spielen gibt es nicht irgendwelche blöden Punkte, sondern echten Xbox-Gamerscore. Wir leugnen ja alle gerne, wie wichtig uns der Gamerscore ist, aber für das befriedigende “Plöpp” eines Achievements, das zum richtigen Gamerscore auf der Xbox dazugezählt wird, spielen wir doch sogar Minesweeper gerne. Minesweeper ist eines der kostenlosen Xbox-Live-Games. Kostenlose Spiele gibt es viele, kostenlose Live-Games sind noch eher selten. Insgesamt ist das Angebot der Live-Games nicht so groß, trotzdem sind ein paar sehr gute Spiele dabei und auch auf Angry Birds muss beim Windows Phone niemand verzichten. Wer was wirklich Gutes spielen möchte, der sollte dann aber lieber zu ilomilo greifen.

Ich kann mir vorstellen, dass das Angebot in Zukunft ausgeweitet wird, Xbox-Games zusätzlich mobile Features bekommen, man das Smartphone als Controller mit Zusatzinfos nutzen kann oder ähnliches. Möglich wären auch Real-Life-Anwendungen, wie man sie von Nintendo kennt. Zum Beispiel einen Gamecharakter auf dem Windows Phone umhertragen, oder mit einer Augmented-Reality-App Gegenstände unterwegs einsammeln, Gegner bekämpfen… die Möglichkeiten, die sich durch die Anbindung ergeben, sind fast grenzenlos. Ob sie umgesetzt werden, hängt in erster Linie mit der Verbreitung von Windows als mobilem Betriebssystem zusammen.

Ansonsten kann sich das Angebot der Spiele durchaus sehen lassen und im Grunde sind die gleichen Spiele möglich, wie auf anderen Smartphones auch. Ein 1,4GHz Prozessor ist in so einem kleinen Ding schließlich schon ganz ordentlich, es gibt einen Beschleunigungssensor und ein Multitouch-Display. Im direkten Vergleich mit Apple ist das Angebot natürlich noch nicht ganz so umfangreich, dafür gibt es aber auch einige Exklusivtitel, auf die Äpfel oder Androiden gänzlich verzichten müssen.

Besonders toll sind die kostenlosen Games von Microsoft selbst, aber auch von anderen Anbietern gibt es kostenlose Spiele, sowohl “echte” Xbox-Live-Games, als auch “normale” Spiele. Von Microsoft selbst gibt es zur Zeit Minesweeper, Sudoku, Breeze, Flowerz und Shuffle Party, eine Art Bowling-Spiel. Alle kostenlos, alle mit Achievements. Dann gibt es noch Sachen wie “Xbox Live Extras”, “Xbox Companion” oder “Avatar Gadgets”, Spielereien, mit denen man seinen Avatar bearbeiten oder die Xbox fernsteuern kann. Das war es dann auch schon mit den kostenlosen Xbox-Live-Games. Kostenpflichtige Spiele gibt es natürlich viele, unter den Top-Games befinden sich zum Beispiel Angry Birds, Doodle God, Z0MB1ES (on teh ph0ne), Kinectimals, Fruit Ninja, Monopoly, Plants vs. Zombies, Flight Control, The Impossible Game, usw.

Die Zahlungsmöglichkeiten

Der Plural in der Überschrift führt in die Irre, denn beim Windows Phone gibt es nur eine einzige Möglichkeit, um an kostenpflichtige Apps und Spiele zu kommen: eine gültige Kreditkarte. Da ich mein Xbox-Konto (aus welchen Gründen auch immer) in UK angelegt hatte, schaute ich erstmal in die Röhre. Denn kaufen kann man Apps nur mit einer Kreditkarte aus dem Land, in dem man registriert ist und das Land lässt sich nicht ändern. Hört sich komisch an und finden auch tausende, erboste User komisch, die in den letzten 5 Jahren umgezogen sind und danach keine Kreditkarte mehr für Xbox-Goldmitgliedschaften oder Points nutzen konnten, ist aber leider die traurige Wahrheit. Die einzige Möglichkeit die bleibt: ein neues Live-Konto anlegen. Bei mir hat das nichts gebracht, meine schöne neue Kreditkarte der Sparkasse wird nicht akzeptiert und ich kann keine Apps kaufen. Das ist nicht nur schade, sondern eigentlich eine Frechheit und ein ziemlich schlechtes Geschäftsmodell obendrein. Wie viele Menschen besitzen keine Kreditkarte, möchten aber dennoch gerne Apps kaufen? Zumal Microsoft ja schon lange ein Prepaid-System mit Points hat, die man im Geschäft kaufen kann. Auf dem Xbox-Marktplatz kann man die wunderbar für Arcade-Titel nutzen, auf dem Windows-Phone muss es die Kreditkarte sein. Sehr schade, denn so konnte ich nur auf kostenlose Apps/Games und Demo-Versionen zurückgreifen. Wie gerne hätte ich ilomilo komplett gespielt, aber man wollte mich einfach nicht lassen. Gemein. Ganz klarer Punktabzug in der Kategorie!

Die Kamera

Wie bei Handys üblich, versucht man auch hier mit der maximalen Auflösung in die Irre zu führen. 8 Megapixel, das klingt nach verdammt viel. Ist es auch. Viel zu viel, meiner Meinung nach braucht kein Handy mehr als 2 Megapixel und an der Qualität des Objektivs ändert die Auflösung auch nix. Kurz und schmerzlos: die Kamera ist okay, wenn man sie bei sehr gutem Tageslicht benutzt. Im Zwielicht offenbart sie schnell ihre Schwächen und wenn dann der Blitz dazu kommt, wird es ganz fürchterlich und alle Fotos haben einen starken Blaustich. Es gibt aber eine Option, um Fotos zu optimieren, dann sehen sie tatsächlich etwas besser aus. Eine Handykamera sollte im Idealfall einfach nur mit einem Klick ein Foto schießen, alles andere ist Firlefanz. Lobenswert ist hier die Kamerataste an der Seite des Lumia, die zu jeder Zeit sofort die Kamera öffnet.

Videos kann das Nokia Lumia 800 natürlich auch erstellen, deren Qualität schwankt ebenfalls stark, abhängig von den Lichtverhältnissen. Fertige Videos findet man interessanterweise im Menü auch unter “Bilder”.

Der Akku

Professionell getestet habe ich ihn nicht, rein gefühlsmäßig kann ich sagen, dass er beim Spielen recht schnell leer war. Wenn man das Handy mittags vom Strom nimmt, normal nutzt und abends dann mal 2 Stunden spielt, reicht der Akku gerade noch für den Wecker am nächsten morgen. Als Handheld-Ersatz eignet sich das Lumia weniger, sofern es nicht in Steckdosennähe betrieben wird, für das gelegentliches Spielen zwischendurch reicht es aber allemal. Das ist bei anderen Smartphones aber auch nicht anders, zumindest nicht bei denen von Apple. Genau wie bei denen fehlt natürlich die Möglichkeit, den Akku zu wechseln.

Fazit

Sowohl das Nokia Lumia 800 als solches, als auch das Betriebssystem Windows 7.5 Mango haben ihre Vorzüge, zeigen aber auch an einigen Stellen Mängel. Die im Betriebssystem werden hoffentlich mit den nächsten Versionen ausgebügelt.

Das Handy an sich ist gut verbaut, kratzfest und die Kamera ist für eine Handykamera ausreichend. Weniger gut sind zu empfindlichen Touchbuttons, die versehentlich betätigt werden können. Windows 7 als mobiles Betriebssystem ist optisch ansprechend, leidet aber noch an der einen oder anderen Kinderkrankheit, wie der unübersichtlichen App-Seite, den fehlenden Uhr-Funktionen und weiteren Kleinigkeiten. Dafür ist es als Gamingplattform, nicht zuletzt durch die Xbox-Integration, besser geeignet als die Konkurrenz. In dem Fall muss aber definitiv für mehr und für leichtere Bezahlungsmöglichkeiten gesorgt werden. Nicht jeder hat eine Kreditkarte und auch mit entsprechender Möglichkeit werden einem unnötig Steine in den Weg gelegt. Es gibt Prepaid-Karten mit Microsoft Points, die könnten leicht auch für den mobilen Marktplatz genutzt werden.

Ich sehe Windows als echte Konkurrenz zu iOS und Android, auf jeden Fall für Neueinsteiger in den Smartphone-Markt. Zum Wechseln werden sich eingefleischte iPhone-Anhänger allerdings kaum bewegen lassen. Dazu fehlen (noch) die Killerfeatures und es gibt noch zu viel zu bemängeln (was aber bei iOS auch nicht anders ist). Mein iPhone 3G landet jedenfalls in der Tonne, ich habe komplett auf Windows Phone geswitched. Ob mir die Entscheidung ebenso leicht gefallen wäre, hätte ich ein aktuelles iPhone gehabt? Vermutlich nicht, bei einem Neukauf würde ich trotzdem eher das Nokia Lumia 800 wählen, auch wegen der 300 Euro Unterschied im Preis.

Die mobile Version verlassen