Langsam lenke ich mein Reittier an ein paar einsamen Palmen vorbei eine Düne hinauf. Die Luft flirrt in der heißen Sonne und ich kann den Sand und den Staub beinahe riechen. Oben angekommen habe ich einen grandiosen Ausblick über eine kleine Ansiedlung mit niedrigen Häuschen. Blühende Felder umgeben das Dorf, auf denen Bauern geschäftig ihrer Arbeit nachgehen. Spielende Kinder toben über die staubigen Straßen, an denen Händler in bunten Verkaufsständen ihre Waren feilbieten. Ich erkenne auch einen kleinen Tempel, den ein paar steinerne Sphinxen bewachen. Hinter dem Dorf erstreckt sich ein großer See, auf dem ein paar Fischerboote schaukeln. Das Wasser glitzert in der Sonne und ein paar Wasservögel suchen am Ufer nach Nahrung. Und schon wieder stelle ich fest, dass ich die Quests, die ich eigentlich verfolgen sollte, völlig aus den Augen verloren habe.
Eine Reise in die Vergangenheit
Ich reise in »Assassin’s Creed: Origins« über 2000 Jahre in der Zeit zurück nach Ägypten. Die Ära der mächtigen Pharaonen ist längst vorbei und das einst blühende Reich beginnt zu verfallen. An allen wichtigen Schauplätzen kämpfen verschiedene Gruppierungen bzw. Monarchen um die Vorherrschaft und die einfache Bevölkerung leidet unter Ausbeutung und Knechtschaft. Ich schlüpfe in die Rolle von Bayek, einem letzten verbleibenden Medjai und damit eine Art Beschützer des Volks, und kämpfe gemeinsam mit meiner Frau Aya gegen die Unterdrückung. Doch anscheinend hält das Schicksal auch eine besondere Bestimmung für mich bereit …
Der erste was ich in »Assassin’s Creed: Origins« gelernt habe ist, dass dieses Spiel zum schnellen Durchrennen viel zu schade ist. Dazu gibt es viel zu viel zu entdecken und zu tun. Zusätzlich tut die wunderbar detailreich gestaltete Umgebung ihr Übriges, das Spiel auch optisch zu einem Genuss zu machen. Eine Unmenge von Quests, die jedes Mal etwas Besonderes bieten, und die riesige Open-World-Umgebung machen es dabei oft schwer zu entscheiden, was ich als nächstes tun soll.
Zugegeben, nachdem »Assassin’s Creed: Origins« angekündigt wurde, hat es mich überhaupt nicht gereizt, mich wieder mit diesem Franchise zu beschäftigt. Zu tief steckte mir noch die Enttäuschung mit Assassin’s Creed: Unity (Review) und Assassin’s Creed: Syndicate (Review) in den Knochen. Bei beiden Teilen hatte ich das Gefühl, dass sie lieblos zusammengeschustert wurden, nur um wieder einmal im Jahr einen neuen Teil auf den Markt zu werfen. Ich denke, das ging nicht nur mir so, denn nicht ohne Grund hat Ubisoft sich für »Assassin’s Creed: Origins« zwei Jahre Zeit gelassen um den Fans wieder etwas wirklich Cooles zu bieten. Und meiner Meinung hat sich diese Entscheidung ausgezahlt.
Alt und Neu ergänzt sich gut
Vieles ist überarbeitet worden, doch auch vieles ist beim Alten geblieben, um den Bezug zur Assassinen-Story nicht zu verlieren. Das hat dem Spiel gut getan.
So gibt es beispielsweise ein neues Kampfsystem, das sich dem generellen Prinzip, das bei anderen Spielen angewandt wird, angenähert hat. Leichtes Zuschlagen, schwere und aufgeladene Angriffe, Ausweichen, Blocken oder das Wechseln zu einer Fernwaffe gehen leicht von der Hand. Dennoch wirken die Kämpfe auf mich etwas schwerfälliger und unpräziser im Vergleich zu ähnlichen Spielen. Da für mich die Gefechte aber nicht im Vordergrund stehen und die heimliche Attentatsmechanik mit der verborgenen Klinge wieder wunderbar funktioniert, habe ich damit aber kein Problem.
Waffen findet man übrigens jede Menge im Spiel. Hier kann ganz nach dem persönlichen Geschmack ausgewählt werden. Mir macht es jedenfalls viel Spaß, mich einmal mit einem Hammer durch die Reihen von Gegnern zu pflügen oder ein anderes Mal auf eine leichte Klinge zurückzugreifen, die gefallene Feinde gleich noch vergiftet. Gegenspieler, die diese Leichen dann untersuchen, stecken sich an, kotzen grüne Galle und legen sich gleich daneben. So kann ich ganze Heerschaaren ausknipsen, ohne einen Finger krumm zu machen. Das Experimentieren mit den unterschiedlichen Waffenarten macht wirklich Laune, aber Vorsicht, denn allzu leicht erwischt man damit auch unbeteiligte Zivilisten.
Wo in früheren Teilen der Reihe meiner jeweiligen Spielfigur neue Fähigkeiten durch gewiefte NPCs beigebracht wurden, darf ich nun meine Figur über den Standard-RPG-Mechanismus mittels Erfahrungspunkte aufleveln. Diese Punkte sammle ich durch das Absolvieren von Quests und kann sie zum Erwerb verschiedener Fähigkeiten nutzen. Dabei werden drei Fähigkeitsbäume unterschieden, aber ich denke, es macht kaum Sinn, sich nur auf einen davon zu beschränken. Ich verteile meine Punkte jedenfalls großzügig auf alle drei gleichermaßen und fahre ganz gut damit. Allerdings bin ich kein RPG-Fan und froh, dass man hier bei den grundsätzlichen Basics bleibt und das Ganze nicht noch durch irgendwelche Zusatzattribute undurchschaubar macht.
Ebenfalls (für mich) neu ist die Wahl des Schwierigkeitsgrads. Eigentlich stand die ganze Assassin’s-Creed-Reihe nie für außergewöhnlich schwere Spiele. Vielleicht trägt man jetzt denen Rechnung, die kämpferisch eine zusätzliche Herausforderung haben möchten, denn es soll ja noch ein „Alptraum“-Schwierigkeitsgrad mit dem nächsten Patch dazu kommen.
Ich spiele auf dem Schwierigkeitslevel „Normal“ und hatte bis jetzt keinerlei Probleme, wenn ich etwas vorausschauend an die gestellten Aufgaben herangegangen bin.
Verbesserungen an meiner Ausrüstung kann ich ebenfalls vornehmen, dazu benötige ich aber immer Rohstoffe. Das können bestimmte Metalle sein, aber auch Leder, das ich auf Jagdausflügen oder durch Plündern von Schätzen erbeuten kann. Bei den Metallen wird es schon schwieriger. Hier muss ich meist Gegner ausknipsen um ihnen Beute abzujagen. Wer nicht so auf Konfrontation steht, kann aber auch gefundene Waffen zerlegen und damit das Gewünschte erhalten. Das finde ich eine gute Alternative, wenn man sich nicht ständig in Kämpfe verstricken lassen möchte.
Die wichtigste Unterstützung erhält meine Spielfigur aber durch seine Adlerdame Senu. Sie kann im Flug wie eine Drohne ein Zielgebiet auskundschaften und dabei Gegner, Missionsziele oder interessante Gegenstände markieren. Somit ist es mir relativ einfach möglich, einen Schlachtplan zurechtzulegen. Manchmal wird es mir aber dadurch fast ein wenig zu einfach gemacht.
Bayek selbst hat aber natürlich auch noch einen übernatürlichen Blick, wie alle Assassinen. Damit lassen sich allerdings nur noch interessante Gegenstände in der näheren Umgebung aufspüren, wie z.B. geheime Durchgänge oder interessante Gegenstände.
Normalerweise bin ich ja nicht so versessen auf Nebenquests, da sie sich in vielen Spielen so anfühlen, als hätte man krampfhaft noch versucht, etwas in das Spiel reinzustopfen, das eigentlich gar nichts mit der eigentlich Handlung oder Umgebung zu tun hat. Hier hat mich »Assassins Creed: Origins« aber wirklich überrascht. Die Quests fügen sich nahtlos ein, bringen mir die Hintergrundhandlung näher und halten auch oft Seitenhandlungen bereit, die sich über mehrere Nebenquest erstrecken. Manch einer wird sich trotzdem beschweren, dass die Quests über einen längeren Zeitraum gesehen zu eintönig sind. Ich finde sie aber trotzdem abwechslungsreich genug, um nicht langweilig zu werden.
Eine Open World zum Verlieben
Als bekennender Wüstenfan bin ich nur noch begeistert von der großartigen Spielwelt. Ich habe mir »Assassin’s Creed: Origins« deshalb für den PC geholt und nicht für die PS4. Die unglaublich detailreiche Grafik ist auf meinem großen 21:9-Monitor der reine Genuss. Oft reite ich noch einen kleinen Umweg durch die Wüste oder schippere mit einem Binsenboot noch einmal um eine kleine Insel, nur um einen anderen Blick auf eine besonders schöne Landschaft oder ein paar verfallene Tempelruinen zu erhaschen.
Und auch die Liebe zum Detail lässt mich immer wieder innehalten und staunen. Hier kommen ein paar Katzen angesprungen und wollen gestreichelt werden, dort kann ich durch einen Tempel laufen und mit NPCs reden oder ich löse eines der Rätsel, die mir durch geheimnisvolle Schriftrollen aufgegeben werden. Und meine Fußspuren im Sand oder Senus Schatten, wenn sie über mich fliegt, sind vielleicht auch nur ein paar Kleinigkeiten, die aber sie lassen die Welt noch ein wenig realistischer erscheinen.
Das Erklettern von Türmen oder ähnlich hohen Punkten zum Aufdecken der Map gehört übrigens der Vergangenheit an. Hier werden nur noch Schnellreisepunkte freigeschaltet und Senus Fähigkeiten verbessert. Neue Teile der Umgebung werden einfach durch das Besuchen der Gegend enthüllt.
Auch im HUD hat sich etwas geändert, so gibt es z.B. keine Minimap mehr… und ich habe sie bisher auch nicht vermisst. Über einen Kompass am oberen Bildschirmrand werden nun interessante Ziele eingeblendet und geben mit somit die richtige Richtung vor.
Die Änderungen fallen zwar auf, sind aber in sich stimmig und schaden dem Spiel nicht. Im Gegenteil: Es wirkt in vielen Bereichen frischer und moderner.
Mein Fazit
»Assassin‘s Creed: Origins« besticht in erster Linie durch seine wunderbar gestaltete Umgebung. Aber auch die Story und die Quests überzeugen, machen viel Spaß und werden auch über die vielen Spielstunden nicht langweilig. Ich kann dabei selbst entscheiden, ob ich lieber im Stealth-Mode unterwegs bin oder die offene Konfrontation suche. Hier bleibt die Spielreihe sich treu und das finde ich gut.
Obwohl es viele Neuerungen gibt und »Assassin‘s Creed: Origins« die Reihe nun in Richtung Action-RPG steuert, ist es wieder einmal ein rundum gelungenes, sehr storylastiges und emotionales Assassin’s Creed.
»Assassin‘s Creed: Origins« ist ein Spiel zum Genießen. Wer hier möglichst schnell durchrauschen möchte, verpasst viel und das wäre einfach zu schade. Die nunmehr 10-jährige Reihe zeigt mit diesem Teil deutlich, dass sie noch lange nicht am Ende ist.