Was kommt dabei heraus, wenn die ehemalige Quantic Dream Lead Game Designerin Caroline Marchal, die an den Titeln »Heavy Rain« und »Beyond: Two Souls« gearbeitet hat, sich dazu entschließt eine eigene Firma zu gründen? Richtig, das britische Indie-Studio INTERIOR/NIGHT, das mit »As Dusk Falls« nun sein Debüt feiert. Das Erstlingswerk ist ein interaktives Drama zweier Familien, das Fans des Genres das Herz höher schlägen lässt.
»As Dusk Fall« ist vor fast genau zwei Jahren beim Xbox Games Showcase im Juli 2020 angekündigt worden und am 19. Juli 2022 für PC und Xbox erschienen. Das Spiel ist im Xbox Game Pass enthalten und hat eine ungefähre Spiellänge von 6-7 Stunden.
Die Geschichte behandelt das Schicksal zweier Familen, die ein unglückliches aufeinandertreffen in Arizona, USA haben. Familie Holt versucht den Sheriff der Stadt auszurauben und kommt leider nicht ungeschoren damit davon. Familie Walker ist nur auf Durchreise, gerät aber ins Kreuzfeuer zwischen den Holts und dem Sheriff.
Das Spiel entstand aus dem Wunsch vom Studio INTERIOR/NIGHT sich auf innovative und zugängliche narrative Spiele zu spezialisieren, die Leute ansprechen, die Serien wie Breaking Bad oder Fargo lieben, aber nicht unbedingt regelmäßig Videospiele spielen.
Wie aus einem Gemälde entsprungen
Als erstes sticht natürlich der Artstyle ins Auge. Es wird ein schöner Mix aus 2D und 3D verwendet, um die Welt zu gestalten. Die Figuren selbst haben in der Regel keine fließende oder bewegte Animationen, es werden eher einzelne Standbilder ausgetauscht. Die Szenen bekommen Tiefe und wirken sehr lebendig durch die liebevoll gestalteten Hintergründe und die kluge und dezidierte Nutzung der Kamera. Ich war anfangs auch nicht unbedingt überzeugt von den Nicht-Animationen, aber sobald man einmal drin ist im Spiel, achtet man kaum noch drauf. Denn dadurch, dass sich die Figuren nicht selbst bewegen und Bewegung eher durch Kamerafahrten oder -shakes reinkommen, fallen Änderungen in der Mimik umso mehr auf.
Als Vorlage dienten Schauspieler*innen, um Emotionen und Bewegungen korrekt einzufangen. Die gezeichneten Figuren entsprechen 1 zu 1 den realen Vorlagen. Diese Art zu Arbeiten hat mich doch sehr stark an die Anfangszeit von Disney zurückerinnert, als man z.B. vorab einen Live-Action-Film von Alice im Wunderland als Referenz für die Animator*innen produziert hat.
Netflix-Film zum selber Spielen
Wie jedes gute narrativgetriebene Spiel geht es auch in »As Dusk Falls« nur um eins: Entscheidungen, Entscheidungen, Entscheidungen und Quick-Time Events! Anders als in ähnlichen Spielen, wie The Quarry oder Detroit: Become Human, kann man sich hier jedoch nicht frei in der Szene bewegen, sondern schaut sich lediglich in vorgefertigten Szene mit dem Cursor um. Dort muss man selbst nach bestem Gewissen entscheiden, ob man lieber den Tisch oder die Kommode zuerst untersucht.
Während des Spiels werden mögliche Entscheidungen und Dialogoptionen präsent im Bildschirm aufgelistet und man wählt mit dem Cursor die für sich selbst passende Antwort aus. Sollte der Timer auslaufen und es ist keine Antwort gewählt worden, wird eine Antwortmöglichkeit zufällig ausgewählt. Das Spiel gibt einem aber auch bei einer bereits bestätigten Auswahl noch einmal Zeit sich umzuentscheiden. Von dieser Funktion musste ich auch schon öfters Gebrauch machen, da manche Möglichkeiten erst verzögert erscheinen.
Am Ende eines Kapitels wird dann die persönliche Psyche des Spielenden genau unter die Lupe genommen und man erhält eine Zusammenfassung über Werte, Eigenschaften und den eigenen Spielstil. Anhand meiner Entscheidungen analysiert mir z.B. das Spiel, dass ich eine gerechte Person bin, die den moralischen Weg zu gehen pflegt. Aber wer würde denn auch nicht einen Spielstand neu laden, weil man das Gefühl hat, ein bisschen zu frech zu einem NPC gewesen zu sein?! Zusätzlich dazu gibt es, ähnlich wie bei Detroit: Become Human, einen detaillierten Entscheidungsbaum, der anschaulich alle Auswirkungen auflistet. Ein weiteres nettes Feature sind die Prozentangaben neben jeder einzelnen Entscheidung, die aufzeigen, wer ebenfalls diesen Weg gewählt hat.
Besonders user*innenfreundlich fand ich die Funktion, dass man im Entscheidungsbaum die Möglichkeit hat Szenen auszuwählen, um schnell weitere Wege zu erleben.
Couch-Koop oder Online Multiplayer?
»As Dusk Falls« lässt sich allein durchspielen oder mit bis zu 7 weiteren Leuten, entweder online oder im Couch-Koop. Besonders cool, man braucht nicht einmal einen weiteren Controller, ein Smartphone tuts auch. Dafür sorgt die »As Dusk Falls Companion App«. Ich selbst habe im Couch-Koop gespielt. Wenn man das Spiel mit mehr als sich selbst spielt, passt sich das Gameplay perfekt darauf an. Man könnte fast meinen, es ist darauf ausgelegt mit anderen zu spielen.
Das Gameplay verändert sich dahingehend, dass alle Spielenden eine Entscheidung treffen können. Wenn man sich einig in der Antwort ist, wird diese ausgeführt. Gibt es keine Einigung, wird zufällig zwischen allen markierten Antworten eine ausgesucht. Anders ist das bei den Cross Roads (Scheidewegen). Dort gibt es weder Timer noch eine zufällige Auswahl einer Antwort, jeoch muss die Mehrheit sich auf einen Weg einigen! Ist dies nicht möglich, haben alle Parteien eine gewisse Anzahl an Vetos. Gefällt euch die Entscheidung eurer Freund*innen nicht, könnt ihr deren Meinung einfach überschreiben und euch euren Weg somit erzwingen.
Die Quicktime Events im Koop machen Spaß und erhöhen auf jeden Fall die Spannungen in der Gruppe. Perfektes Feature für langsame Leute wie mich: der Name der zu interagierenden Person wird vorher rechtzeitig eingeblendet. So kann man sich mental sehr gut darauf vorbereiten gleich ein paar Buttons zu mashen! Das geht einmal reihum und hoffentlich haben dann alle Parteien abgeliefert, sodass keine Figur in den Tod stürzen muss.
Fazit
Besonders positiv möchte ich die Triggerwarnungen hervorheben und, dass extrem rücksichtsvoll an einige Themen herangetreten wird. Vor sensiblen Szenen wird vorab gefragt, ob man die Darstellung dessen komplett skippen möchte und die positive Entscheidung automatisch bekommen möchte.
Ich kann »As Dusk Falls« ohne Einschränkung für Leute empfehlen, die diese Art von Spielen mögen. Der Art- und Animationsstyle ist eventuell etwas gewöhnungsbedürftig, aber hat auf jeden Fall den gewünschten Effekt. Das Spiel thematisiert Probleme und zwischenmenschliche Konflikte die uns allen bekannt vorkommen sollten. Die Geschichte hat mich gepackt obwohl der Spannungsaufbau nicht zu 100% an andere Vertreter des Genres heranreichen kann. Ich freue mich auf jeden Fall schon sehr auf das nächste Spiel des neu gegründeten Studios und bin gespannt, was wir aus dem Hause INTERIOR/NIGHT in Zukunft erwarten können. Mit ihrem Debüt haben sie auf jeden Fall abgeliefert.