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A Plague Tale: Innocence – Unter Ratten

»Plague Tale: Innocence« spielt im Frankreich des Jahres 1348. Während im echten Europa jener Zeit die Pest wütete, hat das virtuelle Frankreich des Entwicklers Asobo Studio aus Bordeaux ein anderes Problem: Statt der Krankheit, deren Übertragung fälschlicherweise den Ratten zugeschrieben wurde, ist es die Rattenplage selbst, die alles verschlingt, was ihr vor die Nagezähne gerät. 

Die Rattenapokalypse erleben wir durch die Augen von Amicia de Rune: Amicia ist etwa 14 Jahre alt und wird zu Beginn des Spiels aus dem Stammsitz ihrer Familie vertrieben. Von nun an ist es ihre Aufgabe, ihren kleinen Bruder Hugo zu beschützen. Verkompliziert wird das Ganze nicht nur durch die Ratten, sondern auch durch die Inquisition, die aufgrund von Hugos merkwürdigen Krankheit hinter ihm her ist.

Melancholie und Geschwisterliebe

»Plague Tale: Innocence« versteht sich als erzählendes Spiel, dem es, trotz leichter Stealthmechanik, vor allem darum geht, Amicia und Hugo auf ihrer Reise durch ein verwüstetes Frankreich zu begleiten. Dafür nimmt es sich insbesondere in der ersten Hälfte viel Zeit: In zahlreichen langen Szenen geht es vor allem darum, die düstere Atmosphäre der Umgebungen auf sich wirken zu lassen und die beiden Hauptfiguren und ihre Beziehung zueinander kennen zu lernen.

Diese Teile sind die große Stärke von »A Plague Tale: Innocence«. Ausgesprochen gut gefallen hat mir die melancholisch-düstere Stimmung: Man kommt vorbei an überwachsenen Burgruinen, stakst zwischen Leichenbergen über ein Schlachtfeld und schleicht sich durch die finsteren Gassen einer namenlosen Stadt. Auch das Spiel aus Licht und Schatten überzeugt: Oberflächen glänzen feucht, Staubteilchen schweben im Licht von Oberlichtern und oft liegt feiner Nebel in der Luft, der die Sicht trübt. 

Ebenso toll gelungen sind die zwei Hauptfiguren: Amicia wirkt tatsächlich wie eine Jugendliche und stellt entgegen der Gewohnheit keine übersexualisierte weibliche Videospielheldin dar. Auch Hugo kauft man die Verkörperung eines kleinen Jungens ab. Beides ist nicht selbstverständlich, schließlich wirken Kinder und Jugendliche in Videospielen oft eher merkwürdig bis gruselig.  

Herrlich ist die Beziehung der beiden: Amicia bemüht sich sichtlich, ihrer Rolle als großer Schwester gerecht zu werden. Sie ist fürsorglich und behutsam, aber häufig mit der Situation überfordert. So manches Mal endet das im Streit: Hugo weint oder rennt weg und Amicia fühlt sich schuldig, weil ihr die Geduld fehlt. Ebenso glaubwürdig ist die Körpersprache beider Figuren: Die Geschwister halten sich an den Händen, nehmen sich in den Arm, Amicia hilft Hugo beim Klettern über Hindernisse, trägt ihn manchmal ein Stückchen wenn er erschöpft ist und lässt ihm häufig den Vortritt, um ihn in Sicherheit zu wissen.  

Seichtes Gameplay

Gameplay findet vor allem in einigen sehr leichten Puzzeln und mit Hilfe von Amicias Schleuder statt: Die Ratten fürchten sich vor dem Licht und so muss Amicia häufig Fackeln auftreiben oder Feuerschalen entzünden, um sich einen Weg zu bahnen. An menschlichen Gegnern schleicht man am besten vorbei oder schleudert ihnen in einem unbeobachteten Moment einen Stein vor den Kopf – oder man schießt ihre Lampen aus und wirft sie den Ratten zum Fraß vor.  

Wirklich spannend ist das nicht, das Spiel ist über weite Strecken ziemlich trivial. Eigentlich wäre das nicht weiter schlimm, doch leider steuert sich »A Plague Tale: Innocence« sehr behäbig. Das passt zwar zu den Figuren, aber zerrt doch ein ums andere Mal am Geduldsfaden, wenn Amicia und Hugo im Schneckentempo auf die nächste Feuerschale zukriechen. Insbesondere, wenn eine Szene tatsächlich wiederholt werden muss oder man in einen sehr langwierigen Gameplayabschnitt gelangt, ist das lästig: Spielspaß im Wortsinn macht »A Plague Tale: Innocence« nämlich nicht. Dafür ist es zu seicht, die Anforderungen zu niedrig und die Wiederholung von Gleichem zu häufig. Die Faszination entsteht klar durch Atmosphäre und Charaktere.  

Story und Fazit

Der eigentlicher Fauxpas liegt jedoch darin, dass die Story nirgendwohin führt: Was zunächst interessant wirkt, verschenkt im Laufe der zehn bis zwölf Stunden jedes Potential und begnügt sich mit einer erschreckend oberflächlichen Geschichte ohne überraschende Wendungen. Zwar endet das Spiel auf einem inszenatorischen Höhepunkt, die unbefriedigende Handlung allerdings rettet das nicht – nicht einmal die drängendsten Fragen werden beantwortet. 

So kommt es, dass mich »A Plague Tale: Innocence« ein wenig ratlos zurücklässt. Weil mir Charaktere, Sprecher, Inszenierung und vor allem Atmosphäre ausgesprochen gut gefallen, kann ich locker darüber hinwegsehen, dass das Gameplay nur Mittel zum Zweck ist. Von einem Spiel, dass seinen Fokus auf die narrativen Elemente legt, würde ich allerdings eine deutlich stärkere Story erwarten – doch die bleibt »A Plague Tale: Innocence« seinem Spieler schuldig. Schade. 

Offenlegung: A Plague Tale: Innocence wurde uns von Koch Media zur Verfügung gestellt.

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