An Survivalsimulationen kommt man derzeit kaum vorbei. Spätestens mit »Minecraft« begann ein Trend, der dazu führte, dass gefühlt die Hälfte der Spiele, die derzeit von Entwicklern auf Steam veröffentlicht werden, in irgendeiner Weise das Thema »Survival« verarbeiten. Bear Grylls wäre stolz. Aber was ist der Reiz daran, sonst eher nervige Aufgaben freiwillig zu übernehmen, und warum empfinden wir dabei sogar Spielspaß?
Ich gehöre zu den Leuten, denen die Survivalsimulation wirklich Spaß macht. Ich erinnere mich an ein kleines Spielchen, dessen Namen ich leider vergessen habe, das eine Robinson Crusoe-Geschichte erzählte, indem es den Protagonisten auf einer einsamen Insel stranden ließ. Die isometrische 2D-Grafik war schon damals nicht hübsch – das Ganze muss vor zehn Jahren gewesen – und das User Interface war alles andere als komfortabel. Aber ich mochte das Spiel. Ich mochte es, aus dem Nichts etwas aufbauen und wenn alles gut ging, sogar ein paar Tage überleben zu können. Es versprach etwas von Freiheit, und dem instinktiven Verlangen alleine die Natur zu bezwingen. Wenn ich jetzt nur noch den Namen des Spieles wüsste…
Die meisten der aktuellen Survivalsimulationen funktionieren nach exakt dem gleichen Prinzip, abgesehen von einigen Änderungen in der Verpackung.
»Minecraft«: Man hat nichts und versucht sich so schnell wie möglich ein Haus und erste Werkzeuge/Waffen zu bauen.
»The Forest«: Man landet allein in einem Dschungel und versucht so schnell wie möglich eine Unterkunft und Fallen/Waffen zu bauen, um sich der Kannibalen erwehren zu können.
»State of Decay«: Man landet in Michael Jacksons Video zu „Thriller“ und versucht eine Bleibe zu und Waffen/Werkzeuge/Lebensmittel zu finden. Und so weiter und so fort.
Das Grundprinzip ist immer gleich und nur das Setting sorgt für Spannung. Ob man gegen Zombies (»State of Decay«, »Project Zomboid«), die lokale Fauna (»Starbound«, »Don’t Starve«) oder hauptsächlich gegen andere Menschen (»The Forest«, »DayZ«) kämpft, so gilt es immer in der stetigen Bedrohung Wege zu finden, wie man nicht nur ohne zu sterben von A nach B kommt, sondern wie man dabei vielleicht auch noch sein eigenes Leben leichter macht. Und ich liebe dieses Konzept: Ich nehme selbst lästigste Aufgaben auf mich, wie zum Beispiel die Suche nach Diamant in »Minecraft«, nur um meine Situation leichter zu machen, mir das Gefühl von Progression zu geben. Denn ein interessanter Effekt kommt im Laufe dieser Spiele zum Tragen: Während sich die Protagonisten weiterentwickeln, verliert die ursprüngliche Bedrohung ihre unmittelbare Gefahr. Sie ist immer noch da, aber sie wird zum lästigen Hintergrundgeräusch, dessen man sich hin und wieder mal entledigen muss. Diese Progression ist selbst nichts Besonderes, aber durch die Natur von Survivalsimulationen, erhält sie etwas Intimeres. Es ist mein eigener Fortschritt. Ich selbst habe diese Waffen, dieses Werkzeug, dieses Haus geschaffen. Es ist kein Raketenwerfer, der mir vom Entwickler geplant in die Hände gegeben wird, sondern ich habe mich selbst dazu entschieden, meine knappen Ressourcen in die Fertigung dieser Waffe zu stecken.
Apropos Ressourcen: Die wichtigste Ressource dieses Genres ist Zeit. Zeitdruck macht Survivalsimulationen erst zu dem was sie eigentlich sein sollen: ein Spiel, in dem ich auch mit mir selbst zu kämpfen habe. Ich will mich der Frage stellen, ob es sinnvoll ist zuerst ein Haus zu errichten oder doch nach Waffen zu suchen, weil ich genau weiß, dass ich nur eines von beiden schaffe. An diesem Punkt stellen auch die prozedural generierten Welten eine wichtige Rolle, denn nur wenn ich nicht weiß, was mich erwartet, kann ich auch ein besseres Survivalgefühl haben. Actionspiele leben ja sonst von gut geskripteten Sequenzen, welche die Geschichte voranbringen, aber vor allem auch für Ein-Mann-Armeen mal echte Herausforderungen bringen müssen. Dadurch funktionieren solche zufällig generierten Welten in diesen Spielen nicht, sie stehen dem Erlebnis sehr häufig im Weg. Survivalspiele brauchen die Überraschung durch die Natur, diese muss der schlimmste Feind sein und das funktioniert nur, wenn man sich jedes neue Spiel erneut fragen muss, was einem denn hinter diesem Wald erwartet. Fällt diese Zufallskomponente weg, dann hilft nur noch der Mensch als unberechenbarstes Element, siehe »DayZ«.
Die Welt als Feind macht die Welt interessant. Ich liebe es zu entdecken, in Humboldts Spuren zu treten und erst herausfinden zu müssen, was eigentlich wie funktioniert. Deswegen hatte damals »Minecraft« so gut für mich funktioniert, in Zeiten, bevor ich wusste, dass es ein Wiki dafür gab – lang ist’s her. Wenn aber etwas funktioniert und ich mir einen neuen Weg geschaffen habe, mit dem ich mein Leben leichter machen kann, dann ist das ein geiles Gefühl. Es ist ebenjener Forscherdrang der Survivalsimulationen so interessant macht. Nicht die Gegner oder das Setting sondern mein Kampf mit der Umgebung und meinen eigenen Fähigkeiten.
Dieser Wunsch nach der Progression der eigenen Fähigkeiten scheint kein Nischendenken zu sein, wenn man sich anschaut, welche Spiele in den letzten Monaten stetig die Charts von Steam dominieren. »DayZ« ist ja schon ein alter Hut, aber auch »The Forest« und »Starbound« nahmen in letzter Zeit Top-Plätze ein. Woher das plötzliche Interesse kommt, kann ich natürlich nicht sagen, aber es mag zum einen mit dem Setting zusammenhängen – leider bedienen die meisten Survivalsimulationen die Zombie-Inflation – und auch zum Teil mit der Qualität der prozedural generierten Welten. »Minecraft« und »Sir, you are being hunted!« liefern Umgebungen, wie sie sich Entwickler vor 10 Jahren nur in ihren kühnsten Träumen vorstellen konnten. Da aber auch Spiele ohne diese Zufallswelten sehr gut ankommen – siehe »The Forest« und »State of Decay« – denke ich, dass es vielen ähnlich wie mir geht, wenn sie bemerken, dass ihre eigenen Fähigkeiten stets ansteigen, ohne dass der Entwickler ihnen den Fortschritt in den Mund rammt. Es bleibt zu hoffen, dass aus der momentanen Flut an Survivalsimulationen kein zu gemütlicher Nährboden entsteht, sondern Entwickler stets neue Ideen entwickeln, um nicht in der fiesen Natur des Marktes unterzugehen.
Aktuell ganz spaßig: eine Mischung aus Minecraft und DayZ names “Unturned”. Early alpha, free to play: http://store.steampowered.com/app/304930/
Klasse Artikel, ich kann die Lust am Survivalen absolut teilen. Ebenfalls zu erwähnen ist der Knobelcharakter in solchen Spielen. Das typische MacGyver-Denken setzt ein: Ich habe einen Ast, einen Stein und ein rostiges Rohr, was lässt sich damit wohl anstellen? Und das wiederrum führt bei Erfolg zu einem ziemlich starken positiven Feedback, da ich allein auf die Lösung gekommen bin und mir das Gefühl gibt, ich könnte selbstständig und autonom in der Wildniss überleben.
Ich wusste übrigens sofort welches Game du meinst! Es heißt “Schiffbruch” (einfach mal nach “Schiffbruch 1.2 googlen”)
@Roman: Ja, da hab ich auch schon reingeschnuppert. Sah ganz gut aus, aber nach 10 Minuten Spielen kann man da einfach noch nicht so viel sagen ;) Ist aber ein guter Hinweis, danke!
@Rico: Ich sehe diesen Knobelaspekt unter dem Punkt der eigenen Progression. Wenn man einmal das “Rezept” gefunden hat, dann kann man dieses für den spätere Spiele auch anwenden und wird damit besser. Aber vielleicht nochmal gut anzumerken.
Und: Vielen Dank! Jetzt weiß ich was ich heute tue. Genau das Spiel meinte ich! :)