Transparenz im Game-Design 0

Transparenz im Game-Design 0

Ein transparentes Spiel lässt sich von seinen Spielern in Gänze erfassen – zumindest was die Mechanik betrifft. Es versteckt seine Regeln nicht in einer „Blackbox“ oder hinter gigantischen Formeln, sondern generiert Herausforderungen durch strategisch-systemische Tiefe. Im Folgenden soll erläutert werden, welche Spiele nicht daran vorbeikommen, dem Design-Leitsatz der Transparenz zu folgen und welche Eigenschaften sie sich dabei konkret zunutze machen können.

Fantasy-Simulationen

Zunächst einmal müssen natürlich nicht alle Spiele transparent sein. Regelwerke, die unter der Prämisse entworfen werden, die Realität möglichst akkurat abzubilden beziehungsweise eine bestimmte Fantasie glaubwürdig zu simulieren, scheren sich oftmals nicht weiter um Durchschaubarkeit. Aus klassischer Design-Sicht sind sie nicht selten sogar ziemlich überladen.

Das umfangreiche Arsenal eines »Dungeons and Dragons« gönnt sich beispielsweise einen Säbel, der sich spielerisch kaum vom Kurzschwert unterscheidet, für den Piraten-Avatar aber natürlich unverzichtbar ist. Entsprechend geht es dem Pen-and-Paper-RPG keinesfalls um Eleganz oder Klarheit, sondern primär darum, den Spielern das gemeinsame Erzählen einer beliebigen Geschichte zu ermöglichen.

„Mittendrin statt nur dabei!“ Wen kümmern da die Spielregeln?

Wieder andere dieser Fantasy-Simulationen sind in ihrer Interaktivität sehr offen, in ihren Resultaten teils chaotisch. Ein »Dwarf Fortress« verlässt sich dabei auf seine simulative Tiefe. Große Produktionen wie »Assassin’s Creed« oder »Uncharted« setzen hingegen auf technologische Ausgereiftheit: Charaktere aus zigtausend Polygonen bewegen sich durch ineinander fließende Animationsphasen in einem kontinuierlichen dreidimensionalen Raum. Sie zielen mit Schusswaffen in Ebenen aus praktisch unendlich vielen Punkten hinein und können zu genauso vielen Zeitpunkten abdrücken. Die Bandbreite möglicher Nuancen in den Aktionen ist – wie im echten Leben – praktisch unendlich. Aus „dorthin“ wird „ungefähr da“. Aus „zu genau diesem Zeitpunkt“ wird „ungefähr dann“. Die physikalische Komplexität der Echtwelt wird ins Spiel übertragen. Der Spieler wird gewissermaßen gezielt überfordert, um ihm ein „Mittendrin-Gefühl“ zu vermitteln.

Designer-Spiele

Dem gegenüber stehen Spiele, die primär durch Gameplay überzeugen wollen. Sie versuchen, ihre Spieler langfristig vor möglichst viele interessante Entscheidungen und Herausforderungen zu stellen, ohne sie dabei in übermäßiger Komplexität zu ertränken. Narrative Elemente dienen dabei der Erklärung der Mechanik, nicht als Selbstzweck. Es handelt sich ganz fundamental um „Designer-Spiele“: Alle Regeln werden stets gezielt am System ausgerichtet und nicht den Zwängen der möglichst originalgetreuen Simulation einer Fantasie oder eines Ausschnitts der Realität unterworfen. Die Spielerfahrung ist geprägt durch klar definierte Aktionsspielräume, unmittelbares Feedback und das iterative Dazulernen der Spieler über viele Partien hinweg.

„Muss man wissen!“ Gute Designer-Spiele legen ihre Regeln offen.

Im Kern besteht die Faszination, die Spiele wie »League of Legends«, »Atlas Reactor«, »Overwatch«, »Gwent« oder »Civilization« ausüben, dabei im planvollen Umgang mit komplexen Situationen. Gelegentlich kann dieses Element auch bei Fantasy-Simulationen auftreten, wenn sie inhärent strategische Konflikte – wie Krieg, Schwertkampf oder den Aktienmarkt – abbilden. In aller Regel sind sie jedoch nicht gezielt auf diese, letzten Endes eher beiläufigen, Planungselemente hin designt.

In jedem Fall ist die Ausgestaltung eines ganzheitlichen Plans nur dann möglich, wenn die Spielmechanik offen zutage liegt. Spieler müssen jederzeit in der Lage sein, Informationen ohne große Hindernisse zu verarbeiten und die Bedeutung des aktuellen Spielzustandes zu bestimmen. Und genau deshalb ist eine bestimmte Zutat im Design dieser Spiele von zentraler Bedeutung: Transparenz.

Systemische Transparenz

Die fundamentalste Art der Transparenz ist die des Regelwerks an sich. Spieler sollten jederzeit Zugriff auf sämtliche Spielregeln haben, die in ihren Beschreibungen zudem möglichst keine Fragen offen lassen sollten. Bei Brettspielen ist dies gang und gäbe, denn jeder Schritt muss manuell von den Spielern ausgeführt werden.

Doch auch Designer-Videospiele tun gut daran, in dieser Hinsicht transparent zu bleiben. Denn selbst wenn der Rechner in der Lage ist, mit beliebig komplexen Formeln umzugehen, kann der Spieler jegliche vorhandenen Informationen nur dann in seine Pläne mit einbeziehen, wenn er deren Bedeutung auch unmittelbar begreifen kann. „Das übernimmt ja der Computer!“ ist kein gutes Argument für den Wechsel ins digitale Medium, sondern ein Anzeichen für eine intransparente oder zumindest grenzwertig komplizierte Spielmechanik.

Auch die Furcht vor der initialen Überforderung der Spielerschaft durch das Bereitstellen zu vieler Detailinformationen sollte dank zuletzt immer häufiger zum Einsatz kommender „Expertenmodi“ in modernen Videospielen der Vergangenheit angehören.

Optional erweiterbare Tooltips sorgen in »Diablo 3« für Transparenz.

Doch nicht nur sollten vom Spiel durchgeführten Rechenschritte, die möglichen Resultate aller Aktionen sowie gegebenenfalls deren Wahrscheinlichkeiten bekannt sein. All dies muss sich darüber hinaus vom Spieler ohne große Anstrengung berechnen und erfassen lassen. Und zwar praktisch „nebenbei“, sodass die stumpfe Mathematik den übergeordneten strategischen Überlegungen nicht die Show stiehlt.

Sind die Spieler permanent mit Addition und Subtraktion beschäftigt, bleibt wenig Zeit für wirklich tiefe und interessante Entscheidungen. Deshalb gilt es, Informationen wann immer möglich auf intuitivere Weise zu repräsentieren als durch bloße Zahlenwerte. Und wenn letztere doch zum Einsatz kommen, dann im Idealfall in möglichst diskreten und niedrigen Zahlenbereichen, mit denen das menschliche Gehirn auch ohne abstrahierende Zwischenschritte noch problemlos umgehen kann.

Komplexe Mathematik intuitiv dargestellt: das taktische Raster.

Eine transparente Spielmechanik erlaubt – und erfordert – es letztlich, die spielerische Tiefe ganz direkt auf der Ebene der systemischen Zusammenhänge anzusiedeln. Schließlich muss das Spiel emergent, im Zusammenwirken seiner transparenten Einzelteile, komplex genug sein, sodass es trotz Kenntnis aller Regeln und Verwertbarkeit aller zur Verfügung stehenden Informationen nicht trivial zu durchschauen ist. Die Spieler müssen vor schwierige Entscheidungen gestellt werden, obwohl der systemische Gesamtkontext mit in ihre Pläne einfließt. Und weil er das tut, sind diese Entscheidungen potenziell so interessant.

Transparenz durch Abstraktion

Ein weiteres Werkzeug auf dem Weg zum transparenten Spiel ist die Abstraktion. Diese kann zunächst im Rahmen der Interaktivität selbst stattfinden. Viele Strategiespiele überführen beispielsweise das „echte“, kontinuierliche Schlachtfeld in ein wesentlich eindeutigeres Kachelsystem. Und auf temporaler Ebene handelt es sich beim rundenweisen Ziehen um nichts anderes als eine Abstraktion vom zwar „lebensnahen“, allerdings ebenso chaotischen Echtzeitkonflikt. Mechanismen können also zu Gunsten der Klarheit des Gameplays diskretisiert werden. Wird darauf dennoch verzichtet, können Vorschaufunktionen zumindest teilweise Abhilfe schaffen.

Eine Vorschau hilft bei der Orientierung im kontinuierlichen Raum.

Selbige stehen in direktem Zusammenhang mit einem weiteren Aspekt: der audiovisuellen Transparenz. Eine für sich genommen möglichst schön anzuschauende oder realistische Grafik und eine atmosphärisch dichte Soundkulisse sorgen nur allzu häufig dafür, dass spielerisch relevante Reize im cineastischen Getöse untergehen. Auch hier gilt somit wieder: Was der Fantasy-Simulation gut tut, kann Designer-Spielen im Kern schaden. Letztere sollten ihre Präsentation daher gezielt abstrahieren. Ryan Scott, Lead-Designer bei League of Legends, formulierte dazu folgenden Leitsatz: „Die Spieler sollten mit ihren Gegnern kämpfen, nicht mit dem Spiel.“

Glasklares Chaos: Transparenz im Metagame

Doch was wenn ein kompetitives Spiel nicht auf das simulative Chaos realitätsnaher Mechanismen verzichten will? Auch dann ist noch nicht alles verloren, solange sich die oben aufgezeigten Eigenschaften auf einer übergeordneten Ebene wiederfinden lassen. Zuletzt kombinierte zum Beispiel
»Playerunknown’s Battlegrounds«
vergleichsweise realistisches Shooter-Gameplay mit einem ungewöhnlich abstrakten und strikten Rahmengerüst, das auf Sekunde und Zentimeter genau vorgibt, wann sich Spieler wo zu befinden haben. Heather Alexandra schrieb auf Kotaku, die größte Stärke des Spiels sei „sein Mangel an Regeln“. Dem ist mitnichten so. Das Kernspiel dient hier in gewisser Weise einfach als großer Unsicherheitsfaktor für ein sehr wohl strikt reglementiertes – und dabei ziemlich transparentes – Metagame.

Playerunknown’s Battlegrounds: Shooter-Sim trifft abstraktes Metaspiel.

Ähnliches gilt auch für den Dauerbrenner »Rocket League«. Die Untiefen seines Physikmodells lassen sich kaum vollständig ergründen, bewusst ausformulieren oder gar exakt einplanen. Ganz im Gegenteil zum darüber liegenden Autoball-Regelwerk, anhand dessen – genau wie im Fußball – ohne Weiteres allerlei Pläne geschmiedet werden können. Bloß hängt der Erfolg derselben eben auch von der physischen Ausführung ab, die trainiert werden kann, von der strategischen Ebene aus betrachtet jedoch ein externer Faktor ist – ähnlich wie das aus diversen Brettspielen bekannte Auswürfeln von Schadenspunkten.

Alle Klarheiten beseitigt

So zugänglich, erfassbar und klar wie Spiele nach der Design-Maxime der Transparenz sein sollten, so komplex und nuanciert geben sich die dazugehörigen Eigenschaften. Zudem werden reinrassige Fantasy-Simulationen oder Designer-Spiele in „freier Wildbahn“ eher selten vorkommen. Stattdessen lassen sich allerlei Mischformen antreffen, die, wie die letztgenannten Beispiele zeigen, teilweise sogar recht bipolar daherkommen.

Wichtig sind in allen ein- und mehrdeutigen Fällen letztlich klare Prioritäten: Eine Simulation um der Fantasie willen sollte vorsichtig mit Abstraktion umgehen und sich nur in Maßen durch Gebote spielerischer Klarheit einschränken lassen. Designer-Spiele dürfen sich auf der anderen Seite nicht ohne Weiteres dem oft täuschend intuitiv wirkenden Realismus hingeben, wenn es ihnen tatsächlich um ein maximal interessantes System geht. Doch selbst eher simulative Mechanismen können einem transparenten Meta-Regelwerk untergeordnet und so gezielt für dessen Zwecke genutzt werden.

Klar wie Kloßbrühe, oder?

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Fabian hat als Game-Designer immer etwas zu meckern. Aber er liebt Spiele. Ganz ehrlich!

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