Schmerzhaft denke ich an das Jahr 2005 zurück (Ich hab zwar mein Abitur bekommen, aber das meine ich jetzt mal nicht): Voller Vorfreude auf ein neues Abenteuer mit dem namenlosen Helden mussten viele Fans entdecken, dass ihr Liebling in ein bugverseuchtes und äußerst lieblos zusammengezimmertes Abenteuer geschmissen wurde – die Rede ist von Gothic 3. In einem Hickhack aus Termin-Druck und überdimensionierten Ambitionen wurde eine der populärsten Reihen Deutschlands in den Sand gesetzt. Das Desaster ging so weit, dass sich Publisher JoWood und Entwickler Piranha Bytes zerstritten und getrennte Wege gingen.
Nun ist ARCANIA: GOTHIC 4 erhältlich und die Zukunft der Serie steht auf dem Spiel, denn noch so eine Bruchlandung sollte sich JoWood nicht erlauben. Zu diesem Zweck haben die Österreicher Spellbound engagiert, um der Reihe einen neuen Anstrich zu geben. Wie mir auf der gamescom versichert wurde, soll mit dem neuen Spiel ein Neuanfang von Gothic stattfinden, mit dem sich der Entwickler deutlich von Risen, dem Konkurrenzprodukt aus dem ursprünglichen Entwicklerstudio (welches ich eher mittelmäßig fand) abheben will. Erschienen ist ARCANIA: GOTHIC 4 am 02.10.2010 für PC, am 15.10.2010 für Xbox360 und wird voraussichtlich am 31.3.2011 für PS3 erscheinen; Getestet wurde die deutsche Version für Xbox360.
Das Spiel startet auf einer kleinen Insel, auf der ein namenloser Hirte nach der Hand seiner Geliebten strebt und von ihrem autoritären Vater verschiedene Prüfungen auferlegt bekommt. Hierbei hilft ihm Diego, ein alter Bekannter aus der Gothic-Reihe. Wenn dies erledigt ist und alles in bester Ordnung scheint, überfallen Paladine des neuen Königs, Robalt III, der ehemalige namenlose Held, die Insel und vernichten alles. Daraufhin schwört unser Schützling Rache und macht sich auf die Suche nach einer Möglichkeit, wie er dem König diese Schandtat heimzahlen kann. Der König scheint nicht mehr ganz bei Sinnen zu sein, denn schließlich hätte keiner von ihm erwartet, eine solch willkürliche Bluttat zu beauftragen. Die Handlung ist also schnell umrissen, was dem Spiel aber nicht unbedingt schlecht tut: Ein persönlicher Rachefeldzug ist ein durchaus nachvollziehbares Motiv und bleibt dabei auf einer recht simplen Ebene, was einige Gameplay-Entscheidungen, auf die ich später zu sprechen komme, sehr effektiv unterstreicht.
Zunächst sei gesagt: ARCANIA: GOTHIC 4 ist kein Gothic-Spiel mehr. Natürlich spielt es im altbekannten Universum, sodass vertraute Figuren und Strukturen immer wieder auftauchen, aber wer auf eine Neuauflage seiner alten Lieblinge hofft, der wird maßlos enttäuscht werden. So ist beispielsweise die Spielwelt auf ein recht kleines Maß zusammengeschrumpft: Der Charakter muss um weiterzugelangen erst mal bestimmte Missionen erledigen, was an sich nichts Neues ist, aber einigen Fans bitter aufstoßen dürfte. Auch bekommt man das Gefühl, dass die Bewohner der Welt sehr viel sanftmütiger geworden sind, was ich persönlich ein bisschen schade fand, war doch die raue Umgebung bis dato das Markenzeichen der Gothic-Reihe. In ARCANIA: GOTHIC 4 wurde zudem das Fertigkeiten-System komplett überarbeitet. Sammelte der Spieler bei einem Levelaufstieg früher noch Lernpunkte, die es bei entsprechenden Trainern für einen gewissen Obolus einzutauschen galt, erhält der Charakter nun Fähigkeitspunkte, die direkt in einem entsprechendem Baum einzusetzen sind und nach einer bestimmten Zeit neue Fertigkeiten freischalten. Auch gibt es keine Fraktionsbindungen mehr, was mich aber nach einer gewissen Spielzeit gar nicht mehr gestört hat, denn sind wir mal ehrlich: Der Verlauf des Spieles war bei Gothic immer ähnlich, egal, für welche Fraktion man sich entschieden hat.
All diese Neuerungen stehen dafür, dass JoWood mit ARCANIA: GOTHIC 4 einen Neuanfang starten will. Nun stellt sich die Frage, ob dieser Neuanfang geglückt ist. Als kurze Antwort: Ja, das ist er, wenn auch nicht in allen Belangen. Spellbound Entertainment entschlackt das Spiel auf eine sehr gesunde Weise, was zum Einen mit dem Verlust von einigen lieb gewonnenen Elementen einhergeht, zum Anderen aber ein in sich flüssiges und stimmiges Gameplay ermöglicht. Ich hatte nie das Gefühl auf einen Leerlauf zu stoßen, oder mit unsinnigen Aufgaben belastet zu werden. Sogar der Einstieg ist angenehm gestaltet und sorgt dafür, dank eines sehr bodenständigen Motivs, dass die Identifikation mit dem Hirten sehr leicht vonstattengeht. Das Gameplay wird von einer sehr leicht von der Hand gehenden Steuerung unterstützt, die sogar mich als Gamepad-Skeptiker schnell überzeugt hat. Die Umgebung ist sehr interessant und abwechslungsreich gestaltet (Ein ganz großes Lob für das Design der Städte! Wer einmal in Stewark war, weiß wovon ich rede.) und wird durch die sehr schöne Engine auch mehr als angemessen dargestellt. Natürlich ist die Grafik nicht immer perfekt, vor allem an zahlreichen Klonfiguren merkt man gewisse Einschränkungen in der Leistung; da man die meiste Zeit aber sowieso allein unterwegs ist, fällt einem diese Klonarmee nur selten auf. All diese Faktoren haben mich gefesselt und die zu Beginn kritisierten Mängel schnell vergessen lassen.
Arcania: Gothic 4 (Xbox 360, PS3, PC)
Entwickler: Spellbound Entertainment
Publisher: JoWood
Erscheinungsdatum: bereits erschienen (PC, Xbox360), 31. März 2011 (PS3)
USK-Einstufung: ab 12 freigegeben
Arcania: Gothic 4 für PC, Xbox 360 oder PS3 kaufen.
Fazit: Das Problem einer möglichst objektiven Review zu ARCANIA: GOTHIC 4 ist die Erwartungshaltung, die man an das Spiel stellt. Die Prämisse, mit diesem Spiel Gothic 4 zu erhalten, lässt einen schnell den Spaß an dem Spiel verlieren. Wer sich aber von dieser Erwartung lösen kann und anfängt Arcania zu spielen, der kann sehr viel Spaß haben. Es gibt zwar viele Kritikpunkte an ARCANIA: GOTHIC 4, aber unter dem Strich bleibt ein kurzweiliges und unterhaltsames Spiel, bei dem die Geschichte zum Ende zwar etwas abhebt, mich aber persönlich mehr überzeugen kann als noch bei Gothic 2 und 3. Für mich ist ARCANIA: GOTHIC 4 deutlich besser als Risen, vor allem da Spellbound den Mut gezeigt hat, beliebte Elemente außen vor zu lassen um ein in sich stimmigeres Spiel zu ermöglichen.