Zockwork Orange

Review: Alice: Madness Returns

Alice: Würdest Du mir bitte sagen, wie ich von hier aus weitergehen soll?
Grinsekatze: Das hängt zum größten Teil davon ab, wohin Du möchtest!
Alice: Ach wohin ist mir eigentlich gleich…
Grinsekatze: Dann ist es auch egal, wie du weitergehst!

…hieß es schon 1952 in der berühmten Disney Zeichentrick-Umsetzung von Alice im Wunderland. Seit dem sind die beiden Bücher von Lewis Caroll schon diverse Male Vorbild für mediale Umsetzungen aller Art gewesen. Erst letztes Jahr hat sich der Kultregisseur Tim Burton – natürlich mit Johnny Depp im Schlepptau – an eine düstere Interpretation des Wunderlands gewagt, um der Geschichte ein modernes Gewand zu geben. Was im Kino aber ein Kassenschlager war, hat viele Alice- und vor allem Burton-Fans eher unzufrieden im Kinosessel zurück gelassen. Der Film war zwar schön burlesk, aber bei weitem nicht so abgefahren, wie man es von der Kombi, die schon in Edward mit den Scherenhänden und Sweeney Todd überzeugt hat, erwarten dürfte.

Was viele nicht wissen: Während Burtons Film vielleicht gute Ansätze hatte, wurde diese Idee schon ganze zehn Jahre zuvor vom Designer American McGee umgesetzt. Im Vergleich zu den Filmen wollte der vorher beim Doom-Entwickler id-Software angestellte McGee keine kindische, leichtherzige Protagonistin, sondern eine verbitterte, mordlustige Alice. Dafür färbt er der Vorzeige-Blondine die Haare schwarz und gibt ihr ein ordentliches Fleischermesser in die Hand. Seine rabenschwarze Alice kam im Gegensatz zum Blockbuster als Videospiel für PC und Mac, hat aber trotz guter Wertungen eher den Status des Underdogs inne. Jetzt geht es endlich in die zweite Runde des psychedelischen Albtraums. Hat das etwas andere Spiel zur beliebten Kindergeschichte 2011 endlich seine große Chance?

“Beginne am Anfang und fahre fort, bis du ans Ende kommst: Dann höre auf.”
Herzkönig

Zeitlich soll diese Geschichte nach den Ereignissen der beiden Bücher spielen und setzt deren Handlung quasi fort. Nach ihrem zweiten Abenteuer in Durch den Spiegel und was Alice dort fand hat diese ihre Familie in einem Hausbrand verloren und gibt sich selbst die Schuld dafür. Aufgrund von Schuldgefühlen und ihren offensichtlichen Halluzinationen wird die Neu-Waise in eine Irrenanstalt gesteckt. Da das Wunderland aber nur in ihrem Kopf existiert, sieht es dort nicht viel blumiger aus. Alles liegt in Trümmern und langsam wird das Land von der bösen Herzkönigin unterworfen. Deshalb kehrt Alice zurück und wirft die Kartenmonarchin vom Thron.

Madness Returns setzt direkt nach diesen Ereignissen an. Alice ist immer noch in der Klapse und zieht sich mit Hilfe ihrer Träume in die fiktive Parallelwelt zurück. Dort geht es aber weiterhin drunter und drüber, weshalb es natürlich an Alice ist, erneut für Ordnung zu sorgen. Dieser Plot wird zwar immer wieder durch Passagen in der realen Welt, kryptischen Unterhaltungen mit der Grinsekatze oder Erinnerungen, auf die man in den Levels stößt, fortgeführt, eine bedeutende Rolle spielt er allerdings nicht. Viel mehr ist dieser Plot Stilmittel und gibt den Ton für die eigentlichen Kernelemente des Spiels an.

“So irre und so geistesgestört. Der Uhu schreit und der Hirsch der röhrt.”
Grinsekatze

Wie auch der Vorgänger, besteht das Spiel essentiell nur aus zwei Teilen. Auf der einen Seite gibt es ausgiebige Jump ‘n’ Run-Elemente, auf der anderen 3rd Person-Kampfeinlagen, die rudimentär an Hack and Slay-Spiele vom Devil May Cry-Schlag erinnern. Diese spielen sich in abgesteckten Arealen ab und bieten von kleinen Gnomen bis hin zu Schleimmonstern, die bis unter die Decke ragen, alles was der Märchenkatalog hergibt. Die bekannten laufenden Spielkarten der Herzkönigin sind jetzt im Zombiemodus und so mein persönliches Designschmankerl. Das Kampfsystem ist dank Unreal Engine flüssig und für Vielspieler sofort intuitiv verständlich.

Der eigentliche Kern des Spiels sind aber die ausgefuchsten Plattformarbeiten, welche sehr an Klassiker wie Rayman oder Crash Bandicoot zur Playstation 2-Ära erinnern. Von mir werden sie außerdem in die Kategorie hart aber herzlich eingestuft. Wenn man fällt oder etwas falsch macht, kann man sich sicher sein, dass der Fehler bei einem selbst lag. Bei Alice: Madness Returns handelt es sich auf keiner Ebene um ein akribisch durchdachtes Meisterwerk wie Portal, aber es macht als Platformer trotzdem einen verdammt guten Job. Die Rätsel können knackig sein – und ich hätte sowohl im Gefecht als auch bei den Sprungprüfungen stellenweise fast in den Tisch gebissen. Das Erfolgsgefühl von dem solche Spielelemente beim Bestehen leben, wird aber stets zur richtigen Zeit ausgelöst. Angenehm ist auch der Wechsel zwischen den beiden Elementen. Wenn man an einen Punkt kommt, an dem man keine Lust mehr hat, sich mit der einen Disziplin zu beschäftigen, kann man meistens mit einem Wechsel nach der nächste Ecke rechnen.

“Ich wüsste gern, ob der Schnee die Bäume und die Felder liebt, wo er sie so zärtlich küsst.”
Lewis Caroll

Insgesamt geht es so durch sechs verschiedene Level, die alle einen anderen bekannten Ausschnitt der Kinderbücher umdichten. Wer sich ein wenig mit den Charakteren wie dem Märzhasen, Walross und Zimmermann auskennt, kann sich auf diverse Cameos freuen und wird bestimmt den ein oder anderen Witz am Rande besser verstehen. Irgendwo ist das ganze Szenario schon ziemlich verzogen, aber mit etwas Fantasie kann man EAs neusten Sprössling als gelungenes alternatives Universum anerkennen.

Mein persönliches Highlight sind die 2D-Minispiele, die Alice immer wieder über das Spiel verstreut auffindet. Da darf man dann in einem Unterwasserschiff im R-Type Stil gegen Haie antreten oder hüpft in wunderschöner Papier-Optik durch ein kleines Level. Das lockert den Spielfluss zusätzlich auf und passt trotzdem erstaunlich gut in das Design der Geschichte. Schade nur, dass man diese Kapitelabschnitte nicht über das Hauptmenü einzeln anwählen kann. Das hätte auch nach dem Durchspielen noch einen Anreiz gegeben, für ein paar Achievements zurück zu kommen.

Schön zu sehen ist, dass die Unreal Engine, welche die Q3 Engine des ersten Teils ablöst, tatsächlich für mehr Sachen als grau-braune Alienangriffe taugt. Gute Beispiele dafür sind das Tutorial im verwunschenen Wald oder ein Level voller Kartenhäuser im Himmel, welche mit verträumter Vegetation, heller Architektur und strahlend blauen Himmel daher kommen. Dennoch ist die Grafik wie ein halbgares Hähnchen. Der fröhliche und farbenfrohe Part des Spiels schmeckt durchaus vorzüglich, die andere Hälfte kommt aber kalt und geschmacklos daher. Hier und da habe ich sogar gedacht, dass ohne die charismatische Alice auch der 08/15-Spacemarine in das Szenario gepasst hätte. Auffällig schlecht ist außerdem die Weitsicht. An einigen Höhen oder Abgründen sieht es fast so aus, als hätten die Entwickler überhaupt nie geplant eine Textur zu implementieren. Es passt schon zum übergreifenden Thema, dass weite Strecken der Welt zerstört sind und so natürlich dunkel sein müssen, aber man hofft im Spielfluss eher auf eine Reproduktion der ansehnlichen Passagen. Es sind die Momente, in denen man nach mehreren Stunden immer wieder die selben Assets gesehen hat, an denen man sich ein bisschen mehr Abwechslung wünscht. Augen zu und durch, die Wende kommt immer wieder.

“Lies doch die Nutzeranwendung, dann kannst Du sie zu Deinem Nuuutzen benuuutzen!”
Türgriff

Ganz verwundert war ich, dass dem Spiel kein Handbuch beiliegt. Das Spiel ist selbsterklärend und im Zweifelsfall gibt es ein digitales Manual auf der Disk. Das hilft einem nur leider nicht, wenn man beim Spielen was nachschlagen möchte. Schwamm drüber, denn stattdessen überraschte mich ein Onlinepass-Flyer, der mich dezent auf ein HD-Remake des ersten Alice-Spiels hinweist. Direkt mit Gratis-Download. Das erfreut das Herz. Obwohl ich kein Freund von EAs Onlinepässen bin, ist das eine feine Sache. Andere hätten da ohne mit der Wimper zu zucken alle Kunden zehn Euro zahlen lassen.

“Und nun erzähl mir alles was Dich betrübt. Na, willst Du es uns nicht anvertrauen?”
Hutmacher

Ob ich wieder 60 Euro für Madness Returns ausgeben würde? Nein! Ist es als Spiel nicht zu empfehlen? Doch! Versteht mich bitte nicht nicht falsch, mir hat das neue Alice-Abenteuer sehr gut gefallen und obwohl ich einige Stellen frustrierend schwer fand, ist es jetzt schon sicher in meiner Liste der Geheimtipps 2011. Leider ist der Umfang, so gut er eigentlich auch ist, im Vergleich zu einem Vollpreisprodukt wie oder L.A. Noire überhaupt nicht gerechtfertigt. Insgesamt fehlt dafür leider der Wow-Faktor, der mich bei anderen Spielen mit offener Kinnlade vor dem Fernseher sitzen lässt und sich so in mein Langzeitgedächtnis frisst. Trotzdem gibt es eine ganze Menge zu sehen, das Spiel hat eine ordentliche Spielzeit und bietet gelungene Abwechslung, sowohl spielerisch als auch inhaltlich. Der zusätzliche Gratis-Download von Alice HD beim Neukauf macht den Preis ein bisschen wieder gut, aber für weniger Geld macht das Spiel in ein paar Wochen bestimmt noch genau so viel Spaß. Wer unbedingt mal was anderes in der Konsole haben möchte, greift bedenkenlos zu. Wer warten kann, sollte nach der ersten Preissenkung Ausschau halten.

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