Das japanische Rollenspiel »Persona 5« ist nun schon eine ganze Weile auf dem Markt (seit April 2017) und wird von vielen Seiten als „das beste Spiel 2017“ betitelt. Das wundert nicht, mussten die Fans doch 8 Jahre auf den Persona 4-Nachfolger warten und nahmen das Spiel mit hohen Erwartungen und großer Freude entgegen.
Als ich in der Oberstufe war, ging ich als Austauschschülerin ein Jahr nach Japan, lebte dort in einer Gastfamilie und besuchte die dortige Schule. Deswegen möchte ich, anstatt Story und Figuren zu erläutern, hiermit mal auf die Authentizität der Lebensdarstellung eingehen. Entspricht das Leben als japanischer Schüler dem Leben, das uns im Spiel gezeigt wird? Mit Ausnahme natürlich von der App, die uns in das Meta-verse befördert, wo wir gegen Verzerrte Verlangen (distorted desires) kämpfen.
Im Folgenden werde ich auf mehrere Aspekte des Spiels eingehen, sodass eventuell einige Sachen genannt werden, die als Spoiler angesehen werden könnten. Also Obacht!
Die Story des Spiels
Persona 5 ist ein klassisches JRPG, in dem man die Rolle des Highschool-Schülers „variabler Name“ einnimmt. Da man einer unbekannten Frau zu Hilfe eilt, die von einem einflussreichen Mann heftigst belästigt wird, kommt es zu einem kleinen Unfall. Der Mann stürzt und verletzt sich am Kopf, woraufhin wir angeklagt und verurteilt werden. Aus diesem Grund begeben wir uns in die Obhut eines entfernten Bekannten nach Tokio, wo wir auf Bewährung ein Jahr leben werden.
Das „simple“ Leben als Schüler in Japan
Im Spiel selbst lebt man von Tag zu Tag sein gänzlich „normales“ Schülerleben. Nachdem man die Schule am Morgen besucht hat, hat man zwei Zeiten „nach der Schule“ (after school) und „am Abend“ um verschiedene Sachen zu erledigen. Jede Aktion verwendet den gesamten Timeslot, ob man nun Essen geht oder sich mit Freunden trifft. Samstags müssen wir auch zur Schule, was in Japan immer noch weit verbreitet ist. Sonntags ist theoretisch schulfrei, bekommen dennoch nur die zwei Zeitslots „Am Nachtmittag“ und „Am Abend“ zur Verfügung gestellt.
Ein genauerer Blick auf die Figur und das dementsprechende Schulleben zeigt uns einen mehr als authentischen Eindruck des Lebens eines Highschool-Schülers. Die sogenannte Oberschule geht in Japan drei Jahre und wird unterteilt in die Jahrgänge eins bis drei. Die Highschool ist quasi die deutsche Oberstufe auf der man einen ähnlichen Abschluss macht. Man fängt an, wenn man um die 16 ist und mit 18 Jahren haben die meisten dann ihren Abschluss in der Tasche.
Wir befinden uns in der zweiten Klasse des zweiten Jahrgangs, was daran zu erkennen ist, dass sich unser Klassenzimmer auf der »2. Etage« des Schulgebäudes befindet. In Japan zählt man das Erdgeschoss als »1. Etage«. Jeder Jahrgang hat einen eigenen Flur auf ihrer eigenen Etage. In meiner Schule gab es pro Jahrgang insgesamt 8 Klassen, die alle nebeneinander angeortnet sind, wie wir es auch in »Person 5« sehen können.
Freunde finden ist nicht immer leicht
Dass wir uns bereits im 2. Jahrgang befinden bringt einige Konsequenzen mit sich. Auf der einen Seite haben wir die Problematik der Klassendynamik. Da wir nicht neu eingeschult werden, haben wir es schwer Freunde zu finden, was natürlich auch daran liegt, dass unser Verbrecherruf uns vorauseilt. Es liegt aber vor allem auch daran, dass eigentlich alle gemeinsam neu an die Highschool kommen und sich jeder neu kennenlernen muss. Manche sind noch aus der Junior-Highschool-Zeit befreundet, gehen aber meistens nicht weiter in dieselbe Klasse. Deshalb hatten die Schüler*innen bereits ein Jahr lang Zeit, Beziehungen zueinander aufzubauen und Gruppen zu bilden. Wir sind da leider außen vor.
Als ich nach Japan ging, wurde ich mit allen Neulingen in den 1. Jahrgang gesteckt und fand dort schnell Anschluss. Ein paar Monate später kam ein Italiener an unsere Schule und wurde dem 2. Jahrgang zugeteilt. Es ergaben sich mehrere Probleme und er berichtete oft, dass seine Mitschüler*innen eher weniger mit ihm zu tun haben wollten.
Zum Thema Freundschaften sei noch gesagt, dass sich die Schüler*innen weniger außerhalb ihrer eigenen Klasse bewegen. Die engsten Freundschaften werden im sogenannten bukatsu (die außerschulische Clubaktivität) gegründet. Im Falle von Persona 5 geht keiner der Akteure zum Club, nur Anns Freundin Shio, die eine wichtige Rolle im ersten Fall spielt, befindet sich im Volleyballteam, welches hohes Ansehen an der Schule genießt. Ryuji ist Teil des Track-Teams gewesen, bis er durch eine Verletzung am Bein nicht länger rennen konnte.
Bukatsu allgemein werden sehr sehr ernst genommen und viele Schüler*innen kommen bereits vor dem Unterricht zur Schule um zu trainieren. Ich war zu meiner Zeit in Japan in gleich drei Clubs, was eher ungewöhnlich ist, verfolgte diese aber mehr als Hobby.
Sobald der Unterricht vorbei ist
Da sich unsere Figuren in keinem Club befinden, haben wir schon um 16 Uhr Schule aus. Nach dem Unterricht ist es für alle Schüler*innen üblich, in Kleingruppen von bis zu 5 Leuten einen bestimmten Teil der Schule putzen müssen. Ich musste mit 3 anderen Mädels den letzten Flurabschnitt und die Treppen bis in die erste Etage säubern. Nach ein paar Monaten war ich fürs Fegen und Wischen des Klassenraums zuständig. Abhängig von dem Prestige der Schule kann es auch vorkommen, dass eine Reinigungsfirma beauftragt wird.
Da in der Bibliothek der Schule die Uhr 16:30 anzeigt, ist es wahrscheinlich, dass auch unsere Schüler*innen Putzdienst haben. Zudem haben wir am Nachmittag nur Zeit, weil wir zu keinem Club gehen. Ich für meinen Teil fand den bukatsu interessant und lehrreich, war dafür aber auch jeden Tag erst um knapp 21 Uhr zu Hause. Das Leben einer klassischen Schülerin eben.
Die Wichtigkeit der Schuluniform
Dass das Spiel einen so großen Wert auf die Darstellung der Schule investiert liegt auch daran, dass Schule in dem Alter einfach einen essentiell großen Teil des Lebens einnimmt. Das hängt auch eng mit der Schuluniform zusammen. Da man meist nicht direkt nach Hause fährt oder den Luxus besitzt nah an der Schule zu wohnen, verbringt man eigentlich 80% seines Schullebens in der Uniform. Ich musste in dieser zum Beispiel mit meiner Gastmama einkaufen oder auch Essen gehen. In größeren Städten verbieten viele Arcades den Eintritt in Schulsachen, da man keinen schlechten Eindruck erwecken möchte und Minderjährige wegen der Uniform auf den ersten Blick zu erkennen sind.
Was mir an Persona 5 ganz besonders gefallen hat ist, wie wahrheitsgetreu die Uniform getragen wird. Die Regeln unterscheiden sich zwar von Schule zu Schule, doch allgemein gilt, dass die Uniform gemäß der Schulordnung zu tragen sei. Das bedeutete an meiner Schule, dass der Rock das Knie zu berühren hat und die Männer ihre Jacke bis zum letzten Knopf zuzuknöpfen haben. Makoto trägt ihre Bluse dementsprechend, Ann folgt dieser Regel nicht. Zudem hat gerade Ann ihren Rock nach oben gekrempelt, damit er kürzer wird. Die anderen Schülerinnen meinten damals zu mir, dass das sexy und cool sei.
Die Figuren und ihr persönlicher Schuluniform-Style
Bei der Betrachtung von Ryuji fällt auf, dass er ein farbiges T-Shirt unter seiner Jacke trägt. Ein Vorurteil sagt, dass so etwas nur Problemschüler oder besonders aufmüpfige Jugendliche machen. Das trifft auf Ryuji zu. Viele Schulen stellen den Schüler*innen auch passende Cardigans, Schuhe, Taschen und Kniestrümpfe, wie es auch auf der Schule in »Persona 5« der Fall ist. Taschen und Socken sind mit dem Schullogo ausgestattet und somit Pflicht. Meine Schule hatte nur die Uniform selbst, alles andere konnte zur Individualisierung genutzt werden. So trugen viele Mädchen im Winter ganz bunte Pullover oder Cardigans über ihren Oberteilen. Wenn wir noch einmal einen Blick auf Makoto werfen fällt auf, dass sie keine Kniestrümpfe, sondern eine Leggings trägt. Meine Schule fand das zwar nicht gut, billigte sowas jedoch. Aber selbst im tiefsten Winter bei -10° war ich eine der wenigen, die von einer Strumpfhose Gebrauch machten.
Kleinigkeiten, die das Leben in Japan bereichern – Snacks
In Persona 5 haben die Entwickler auf so unglaublich viele Details geachtet, dass das Spielerlebnis für Japaner*innen und Leute mit Erfahrungen in Japan schlicht und ergreifend ein anderes ist. Das fängt bei Kleinigkeiten wie dem Essen von Süßem an. Es ist eine unausgesprochene Regel, dass zu einem Treffen jeder etwas mitbringt. Um richtig teilen zu können öffnen Japaner ihre Chipstüten der Länge nach, damit nicht jeder in die Tüte greifen muss. Passend dazu ist einer der beliebtesten Snacks jagariko von Calbee. Diese Chipsähnlichen Stangen werden überall verkauft und sind ein häufiger Snack bei Schülern, das können wir auch bei Yusuke beobachten, der bei jedem Meeting auf dem Dachboden eine Packung isst.
Convenience Stores
Etwas anderes, nicht zu ignorierendes, sind Convenience Stores (Kombini/Konbini). In Deutschland sind sie nicht anzutreffen und kommen originär aus den USA. Vorstellen kann man sich das wie einen Kiosk. Dort kann man alles kaufen, von Coffee-To-Go bis hin zu pornografischen Heften, sie sind 24h geöffnet, sind dafür aber auch teurer als ein regulärer Supermarkt. Es gibt mehrere verschiedene Ketten, die größten darunter sind Seven Eleven, Family Mart und Lawson. Persona 5 spielt mit ihrem eigenen Store, nämlich 777, auf eine dieser Ketten an. Gerade Schüler*innen und Student*innen arbeiten oft dort und auch unsere Figur kann sich dort einen Nebenjob ergattern.
Japaner und baden
Ohne generalisieren zu wollen, aber… Japaner lieben es, zu baden und sie lieben Onsen, also heiße Quellen. Die meisten Haushalte haben eine große tiefe Badewanne, in der jeden Abend bei 38-42°C gebadet wird. Anders als bei uns wäscht man sich nicht in der Wanne, sondern säubert sich vorher, um im heißen Wasser nur zu sitzen, damit Körper und Geist entspannen. Wer es extravagant mag, kann in eine richtige heiße Quelle fahren oder ein öffentliches Badehaus nutzen. Ein solches befindet sich direkt gegenüber unseres Cafés in Persona 5. Vom Ventilator im Vorraum, bis zum Minihandtuch um die Hüften rum wurde es so liebevoll eingerichtet, dass ich direkt Fernweh bekam. Zu einem bestimmten Zeitpunkt fragen alle männlichen Mitglieder, ob man nicht zusammen baden gehen möchte. Als einzige Frau des Teams verneint Ann und geht nach Hause, obwohl Badehäuser traditionell geschlechtergetrennt sind. Da der Besuch im Onsen eine weit zurückreichende Tradition ist, ist es nicht sonderlich ungewöhnlich, dass die Freunde es gemeinsam aufsuchen.
Jidouhanbeiki – Der Getränkeautomat
Etwas was mich zum lauten Lachen gebracht hat, ist die Vielzahl an den Getränkeautomaten. Sie sind in Japan überall anzutreffen und meist stehen die Automaten nicht alleine an einem Ort rum. Das Maximum, das ich einmal angetroffen habe, waren 12 Stück nebeneinander. Auch in der Schule von Persona 5 stehen um die 6 Stück. Zu jeder Gelegenheit werden an den Maschinen kleine Pausen eingelegt und es gibt sie einfach an den verrücktesten Orten. Im Spiel bekommt man sogar eine Trophäe, wenn man an jedem Automaten jedes Getränk gekauft hat. In der Realität werden an solchen Automaten nicht nur Getränke angeboten. Am Tokioter Flughafen gab es sogar einen, an dem man Bananen kaufen konnte. An sich bleiben sie eine beliebte Einkaufsmöglichkeit, da Getränke gekühlt sowie auch heiß angeboten werden. Und selbst oben auf dem Berg Fuji wie auch in den entlegensten Tempeln im Wald findet man immer eine jidouhanbeiki.
Hikikomori – The shut-in
(Vorsicht, hier wird über eine neue Figur gesprochen – eventueller Spoiler)
Was mich erstaunt hat ist, dass das Spiel eine gesellschaftliche Problematik anspricht und zwar die der Hikikomori. Die Figur von der ich spreche ist Futaba. Ohne weiter auf die Hintergründe eingehen zu wollen, Futaba verlässt weder das Haus noch das Zimmer. Hikikomori zeichnen sich dadurch aus, dass sie sich vor der Realität buchstäblich wegsperren und auf die Gnädigkeit ihrer Familie angewiesen sind, die sie weiter mit Lebensmitteln versorgt.
Diese meist jungen Menschen isolieren sich freiwillig und aktiv selbst. Gründe kann es viele geben, oft hat es mit dem Erwartungsdruck in der Gesellschaft zu tun, den sie nicht erfüllen können. Symptome kommen schleichend und fangen mit abnehmender Kommunikationsbereitschaft, dem Verlust von Freunden und zunehmender Unsicherheit an. Meist isolieren sich diese Menschen in einem einzigen Raum und verlassen diesen nicht mehr. Manche hikikomori sind in der Lage nachts ihr Zimmer zu verlassen, auch Futaba stößt bei einem Stromausfall nachts auf die Gruppe (im Flur ihres eigenen Hauses). In Japan sind Familien mit einem hikikomori-Mitglied immer noch stark stigmatisiert und auch in Persona 5 erzählt uns ihr Vormund nicht freiwillig von Futaba, zu allererst leugnet er ihre Existenz gänzlich.
Ich finde es gut und wichtig, dass sich die Entwickler dazu entschieden haben eine solche Figur einzuführen. Obwohl die Beweg- und Hintergründe von Futaba sich etwas von der Realität entfernen erreicht es doch die richtige Zielgruppe. Denn hikikomori verbringen ihre gesamte Zeit vor dem Fernseher oder dem Computer und gehören somit auch zu der großen Gruppe der Gamer.
Schlussendlich…
Zusammenfassend hat das Spiel bei mir einen sehr nostalgischen Nerv getroffen und ich habe angefangen, mich nach Japan zu sehnen. Die Entwickler haben sehr viel Wert aufs Detail gelegt, was jedoch nicht verwundert, da die Spielefirma eine japanische ist. Selbstredend sind die gezeigten Orte und Hangout-Spots tatsächlich in Tokio existierende Orte und auch das Schulleben ist absolut authentisch, haben doch die Entwickler dasselbe Schulsystem besucht. Gerade diese Details führen bei den japanischen Spielern vielleicht nicht unbedingt zu Freudensprüngen, bei mir bewirkte es jedoch genau solche. Eine Freundin schaute mir einmal beim Spielen zu und rief ganz aufgeregt, dass das doch der Meiji-Schrein sei, den wir beide besucht hatten. Minutenlang zählte sie Details des Schreins auf und erinnerte sich zurück an den Tag des Besuches. Und genau dieses Gefühl ist es, was Persona 5 für mich so außergewöhnlich macht.