Zockwork Orange

MEHR HEALTH BEI MUENZNACHWURF – ein Abend bei RetroGames e.V.

Ja, Asche auf mein Haupt: Jetzt lebe ich schon das eine oder andere Jahr in Karlsruhe, meine die Stadt auch relativ gut zu kennen und trotzdem habe ich es bis letzten Dienstag nie in den RetroGames e.V. geschafft. Für diejenigen, die noch nie oder nur flüchtig davon gehört haben, hier nochmal eine kurze Zusammenfassung: Bei den Vereinsmitgliedern handelt es sich um technikbegeisterte wie verspielte Geeks, die (bevorzugt alte) Spielautomaten und Flipper sammeln, gegebenenfalls reparieren und in Schuss halten. Was für uns Zocker interessant ist: Es handelt bei den RetroGamern nicht um einen schwarzen Voodoo-Zirkel, sondern um aufgeschlossene Menschen, die freundlicherweise zweimal die Woche der untechnischen Öffentlichkeit ihre Pforten öffnen. Für einen lächerlich niedrigen Eintrittspreis von 3 EUR pro Nase darf man als Nicht-Mitglied dienstags und samstags den ganzen Abend flatratemäßig alle Automaten bespielen. Dazu gibt es günstige kalte Getränke und einen unbezahlbaren Nostalgieflash inklusive.

tl;dr: Automatenspiele! Mortal Kombat, Pacman und so! Und Flipper! Soviel man will!

Als ich mit zwei Freunden letzten Dienstag ankam, gerieten wir in eine größere Umräumaktion, für die sich die Mitglieder mehrfach entschuldigten – was für uns aber absolut kein Problem darstellte. Wir konnten zunächst “nur” etwa die Hälfte der Automaten ausprobieren, der übrige Bereich war abgesperrt. Als der Rest im Laufe des Abends dann schließlich geöffnet wurde, hatten wir gerade mal ansatzweise alles bis dahin verfügbare gesehen und angespielt, so dass es überhaupt nicht zu Einschränkungen kam (und selbst wenn…).

Was fasziniert an Automaten denn eigentlich so? Zunächst mal waren Automatenspiele üblicherweise technisch viel besser dabei als Heimkonsolen- oder Computerspiele derselben Generation. Das liegt daran, dass eine Konsole mit den unterschiedlichsten Arten von Spielen zurecht kommen muss, also doch eher universell ausgelegt ist. Ein Automat hat den großen Vorteil, dass er in seinem Leben nur dieses eine Spiel abspielen muss, bei dem vorab jede Rechenanweisung und jedes Frame bekannt und fest definiert ist. Statt eine CPU mit vorab unbekannter Software zu füttern, konnte man hier also vieles fest verdrahten und in Hardware gießen. Zusätzlich hatten viele Automaten geile Gimmicks dabei. Lightguns, Fahrersitze mit Gaspedal, riesige Bildschirme, Force Feedback – da konnte euer Amiga und Competition Pro-Joystick zuhause nicht mithalten.

Erster Publikumsmagnet war natürlich der Lightgun-Zombie-Railshooter House of the Dead. Die Knarre in der Hand verzeiht sofort alles, unter anderem um was für ein mieses Spiel es sich aus designtechnischer Sicht eigentlich handelt. Denn die unendlich vielen Continues nehmen natürlich eine Menge von dem Zauber eines Automaten: House of the Dead ist trotz oder gerade wegen tausender Tode netto in weniger als 20 Minuten durchgespielt und selbst in der kurzen Zeit recyclet das Spiel die Endgegner. Denn natürlich geht es Automaten primär darum, Dir das Geld aus der Tasche zu ziehen und so leben sie in ihrem Spielaufbau auch davon. Eine 1:1-Umsetzung wäre selbst für ein XBLA-Spiel undenkbar.

Apropos Umsetzung undenkbar: Bei dem großartigen Original-Asteroids-Automaten (leider ohne Foto) sind die Schüsse so unglaublich grell, dass sie sich fast in die Netzhaut brennen. So etwas habe ich noch nie gesehen. Der Trick ist hier, dass es sich bei dem Screen nicht um einen normalen Röhrenbildschirm handelt, bei dem ein Kathodenstrahl mehrfach pro Sekunde den gesamten Bereich anleuchtet und dadurch die bewegten Bilder entstehen. Stattdessen handelt es sich um einen Vektorbildschirm (auch X/Y-Bildschirm genannt), bei dem der Strahl genau die Flugbahn der Schüsse nachzeichnet. Ihr könnt also einen noch so tollen LED-Fernseher mit dem richtigen Schwarz zu Hause stehen haben, so geil wie hier wird Asteroids bei euch niemals aussehen!

Sehr großen Spaß hatten wir auch mit OutRunners – was das gute alte Out Run für zwei Leute ist: mit Fahrersitz, Gaspedal und als supergeilem Gimmick: einem Autoradio, wo man die Hintergrundmusik wählen konnte. Autorennen fährt man naturgemäß gegeneinander, wir haben uns aber schnell entschieden, so kooperativ wie möglich zu fahren, um möglichst viele Levels zu sehen, die alle unterschiedlich gethemed sind. Sehr schönes Ding!

Genau bei so Kleinigkeiten wie den Autoradios hat mich sehr geflasht, in welchem unglaublich guten Zustand nahezu alle Automaten sind. Da ich absolut keine Ahnung von Elektrotechnik habe, stelle ich mir vor, dass durch die individuelle Funktionsweise jedes Automaten diese auch von innen völlig unterschiedlich aussehen und funktionieren. Das macht es doch sicher schwer, da jedes Mal neu durchzusteigen. Und gerade bei gimmicky Spezial-Hardware muss es doch immer schwieriger werden, an Ersatzteile zu kommen. Wahnsinn jedenfalls. Auch bei den Flippern aus den 70er Jahren, wo es so richtig klackert und poltert, sieht das Spielfeld noch top aus und die Glasscheibe ist auf Hochglanz poliert. Man hört die einzelnen Spielgeräte geradezu jauchzen bei all der Liebe, die ihnen zuteil wird.

Eine komplette Übersicht aller Automaten findet ihr auf der Homepage des RetroGames e.V. Unmöglich, sie hier alle aufzuzählen, und um sich jedem einmal in Ruhe zu widmen, muss man schon etwas Zeit mitbringen. Zum Glück hat der Verein an den Freeplay-Abenden häufig bis in die Morgenstunden geöffnet, aber ein einziger Besuch könnte trotzdem knapp werden.

Und noch mehr so ein persönliches Ding: Es lief die ganze Zeit genau der 80er-Jahre-Pop bzw. NDW, der bei meinen Eltern im Wohnzimmer lief, während Klein-Fabian mit Legosteinen spielte. Ich kannte also jedes einzelne Lied und der Nostalgieeffekt wurde fast schon unerträglich hoch. Am Ende des Abends bin ich wie auf Wolken hinausgeschwebt und war erstmal nur sprachlos. RetroGames e.V. ist ein ganz einmaliges Geschenk und auch Nicht-Karlsruhern ist diese Reise in die Vergangenheit zu empfehlen. Ich werde jedenfalls bald wieder da sein, habe aber auch Angst, es mir totzuspielen – die Gefahr für jeden Ortsansässigen. Zwei Fragen bleiben nur noch offen: Kann man auch mit zwei linken Händen Mitglied werden, allein um über den Beitrag eine regelmäßige Spende abdrücken zu können? Und: Wann baut ihr uns einen Winnitron, Jungs?

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