Ich habe vor ein paar Wochen in einem anderen Artikel von Präsentationen auf Spielemessen gesprochen, wo man sich am Liebsten Scheuerpulver in Augen reiben möchte, damit jeweils diese großartige Präsentation das Letzte ist, was man jemals sieht. Nachdem ich mir »The Witcher 3« auf der Gamesom in der Pressevorführung gegeben habe, muss ich CD Projekt Red eines lassen: Auch wenn kein Mensch mein vielleicht etwas überspitztes Szenario je in die Tat umsetzen wird (Hoffe ich…), so kommen die Jungs und Mädels aus Warschau sehr nah an dieses Level dran. Fast jeder Rollenspieler liebt diese Reihe und der dritte Teil hat bereits rund 140 Messe Awards einkassiert, „meist erwartetes Spiel“, sowas eben.
Aber warum eigentlich? Hat das jemals jemand anderes außer den Entwicklern bei den Livevorführungen gespielt? Hat jemals jemand etwas anderes vom Spiel gesehen, außer den fertigen, unheimlich detailreichen Arealen, die als Aushängeschild genommen werden, um den Leuten die Augen glasig und die Münder wässrig zu machen? Äh… Nein. Nicht soweit ich weiß. Ich weigere mich, einfach blind ins Euphorieorchester mit einzustimmen und darum dekonstruieren wir doch mal ein bisschen, warum dieses Stück Rollenspiel-Goodness so ein Phänomen geworden ist, obwohl sich keiner jemals eine richtige, eigene Meinung durch bloßes Zocken hat bilden können.
1. Der Entwickler
Vor dem ersten »The Witcher« hatte noch niemals jemand etwas von CD Projekt Red gehört. Und es war vor allem unglaublich verbuggt. So verbuggt, dass die Gamestar als großes Spielemagazin es z.B. relativ zerrissen hat. Daraufhin brach etwas los, dass man heute als Shitstorm bezeichnen würde (Ich hasse dieses Wort, aber es trifft.) und die Leute argumentierten mit Stil, Seele und cooler Story. Es wurde ein Geheimtipp und erreichte später weitverbreitet den Status, den es verdient hat, als die Entwickler jede Menge Bugfixes und DLC samt Editor in der Form der »The Witcher – Enhanced Edition« (für Käufer der Basisedition umsonst) rausgebracht haben. Das hat damals bewiesen, dass sie hinter ihrem Spiel standen, Liebe reingesteckt haben und die Spieler ernst nehmen.
Was dann folgte war eine irre Erfolgsgeschichte. Rollenspielfans standen auf die Serie und der zweite Teil war in fast allen belangen sehr großartig. Man hatte einige der bescheuerteren Aspekte des ersten Teil (die Sammelkärtchen, wann immer man eine Frau ins Bett gekriegt hatte…) über Bord geworfen, alles weniger linear gemacht und es gab eine neue Engine, die super aussah und stabiler gelaufen ist. Natürlich war auch das Ding noch hier und da verbugged, aber erneut hatten die Entwickler mit Upgrades, Fixes und wahnsinnig viel gratis DLC und einem Editor nachgelegt. Zu dem Zeitpunkt hatten CD-Projekt Red schon ihre Onlineplattform Good Old Games – Ja, die Seite für Spieleklassiker und Indiegames gehört den Typen, die »The Witcher« machen! – und somit noch weiter expandiert. Warum erwähne ich GOG? Weil es da, im Vergleich zu anderen Onlinestores keinen accountgebundenen DRM gibt. Man kauft kram und kann ihn dann auf sovielen Rechnern installieren wie man will, keine Beschränkungen, keine maximalen Aktivierungen auf unterschiedlichen Systemen. Ich will nicht, dass das hier in Werbung ausartet, aber diese Politik á la „Wir vertrauen unseren Kunden, dass sie uns nicht verarschen und uns mit ihrer Kohle unterstützen, wenn sie uns mögen, also haben sie Ehrlichkeit und umgekehrt auch keine Verarsche verdient.“ ist auch für den Ruf des Fan Favorites des polnischen Entwicklers verantwortlich.
httpv://youtu.be/Q-9t8ppBDLU
2. Die Spiele
Wie schon erwähnt, war das erste Spiel des Teams alles andere als perfekt. Der erste Teil der »Witcher«-Reihe enstand noch mit der damals schon grafisch etwas angestaubten Engine von »Neverwinter Nights 2« und war für die damals herrschenden Verhältnisse vielleicht ein wenig ungewöhnlich. Es kam aus Polen, in einer Zeit in der Polen nicht gerade DAS Spiele- oder Fantasyland auf Erden war, genau wie der Rest Osteuropas. Es basierte auf einer Romanreihe, die unter Kennern bereits Ruhm geerntet hatte, aber bei weitem nicht so bekannt war, wie sie es heute ist. Das Szenario war finster und dreckig und vor allem irgendwie historisch korrekter, als vieles, was polierte AAA-Titel so hergegeben
Die Reihe wagt es durch „historischen“ Detailgrad, in einem Genre und in einer Zeit, in der Optik häufig alles ist und unbequeme Themen oft zugungsten der Massenkompatibilität oft nur wage umrandet werden – und auch das nur, wenn man „edgy“ sein möchte – die düsteren, oft grausamen und ungerechten Aspekte auch unserer eigenen, europäischen Geschichte zu thematisieren. Zugegeben, mit Trollen, Drachen und Mutanten, aber dennoch hatte ich immer das Gefühl, dass es unter der Oberfläche doch ein relativ realistisches Abbild einer sehr realen Epoche ist, die viel zu oft in Filmen oder sonst wo romantisch und verklärt dargestellt wird, mit Königreichen wie etwa Nilfgaard, Temeria und Kaedwen als Analogen zu Russland, Frankreich und England.
3. Bottom Line
Im Grunde genommen haben CD Projekt Red 140 Awards für ihre Fähigkeit bekommen, krasse Präsentationen zu bauen.
Wird »The Witcher 3 – Wild Hunt« tatsächlich so extrem geil, wie jeder glaubt, dass es wird? Keine Ahnung! Es könnte das großartigste, intelligenteste Rollenspiel in der Geschichte der Rollenspiele werden. Zumindest für Leute, die es gern sehr finster haben. Es könnte aber auch ein fast unspielbarer, übermäßig Hardware-hungriger, verbuggter Reinfall werden. Das ist mein springender Punkt – Wir wissen es einfach nicht. Es ist die Aufgabe einer Messepräsentation ohne Anspielbarkeit, das Spiel einzig von der bestmöglichen Seite zu präsentieren. Im Grunde genommen haben CD Projekt Red 140 Awards für ihre Fähigkeit bekommen, krasse Präsentationen zu bauen.