Forgotton Anne 0

Rebellion im Land der Vergessenen

Bereits auf der Gamescom 2017 hat mir »Forgotton Anne« beim Anspielen sehr gut gefallen, nun ist das Spiel endlich erschienen. Zeit für mich, um zu überprüfen, ob das Spiel halten kann, was es damals versprochen hat.

Artdesign, Prämisse und Charaktere

Artdesign und Prämisse sind nach wie vor das große Plus von »Forgotton Anne«. Der Anime-Stil und seine Animationen sind eine Augenweide und ich erwische mich dabei, wie ich jede Menge Screenshots mache, weil mir die aktuelle Szene so gut gefällt – die Mischung aus westlichem und japanischem Stil ist wirklich sehr gut gelungen. Das Spiel führt mir wieder mal vor Augen, warum Instagram Accounts wie videogamepostcards ihre volle Daseinsberechtigung haben.

Die Story-Prämisse ist einzigartig und kreativ zugleich: Anne und ihr Ziehvater Bonku leben als einzige Menschen in einer Welt, in der alle Dinge landen, die vergessen wurden und dort zum Leben erwachen – so läuft man sprechenden alten Schuhen, Wischmopps, Röhrenmonitoren oder Lavalampen über den Weg. Bonku hat offenbar einen Weg gefunden in die normale Welt zurückzukehren, davon scheint jedoch nicht jeder Forgotling (so der Name der vergessenen Gegenstands-Lebewesen) begeistert zu sein. Und so beginnt das Spiel mit einem rebellischen Anschlag, dem wir als Anne auf den Grund gehen sollen. Warum es überhaupt eine Rebellion gibt und was deren Anliegen ist, das erzählt »Forgotton Anne« im Laufe des rund 7 Stunden langen Spiels.

Moralische Entscheidungen

Die Story ist insgesamt solide und bietet wenig Überraschungen, dafür aber durchaus die ein oder andere interessante, moralische Fragestellung. Denn im Kern erzählt »Forgotton Anne« eine Coming-of-Age Geschichte und behandelt dabei Themen wie das Hinterfragen durch die Erziehung vermittelter Werte und Einstellungen, die Herausbildung des eigenen moralischen Kompasses oder die Frage, ob ein Leben mehr Wert sein kann als ein anderes.

Für die letzten beiden Themenkomplexe bietet das Spiel gelegentlich Entscheidungen an, die mir erlauben, nach eigener moralischer Vorstellung zu spielen. Der Verlauf der Handlung ändert sich dabei nie, es werden lediglich einzelne Nuancen beeinflusst. Jedoch führt mir »Forgotton Anne« viele der moralischen Auswirkungen zu einem späteren Zeitpunkt wieder vor Augen und gibt mir so die Möglichkeit, meine eigenen Positionen zu reflektieren. Das Spiel schafft es dadurch, einzelnen Entscheidungen Gewicht zu verleihen, obwohl diese keine direkte Auswirkung auf den eigentlichen Plot besitzen.

Nettes Detail am Rande: Ähnlich wie Blackwood Crossing oder Life is Strange bietet auch »Forgotton Anne« explizit Orte zum Hinsetzen an und gibt der Reflexion dadurch Raum.

Gameplay

Spielerisch ist eine Mischung aus 2D Walking Simulator, Jump & Run sowie Adventure/Rätsel geboten, das Stichwort lautet hier „solide“, denn die Sprungpassagen sind in aller Regel eher simpel gehalten und die Lösung der Rätsel schnell erfassbar. An manchen Stellen stehen sich jedoch Gameplay und Animationssystem gegenseitig im Weg.

Bedingt durch seinen Artstyle hat das Spiel lange Animationsphasen und damit eine gewisse Behäbigkeit und Ungenauigkeit in der Bewegung. Das ist bei einigen Laufpassagen gelegentlich anstrengend, weil langatmig, und an einer Sprungpassage hat es mich richtig fuchsig gemacht, da das Spiel in dem Moment von mir ein Timing und eine Präzision gefordert hat, die es einfach nicht bietet. ThroughLine Games möchte hier wohl allerdings nachbessern und die entsprechende Szene entschärfen.

Die Rätsel sind eher simpler Natur und beschränken sich auf Schalterrätsel in unterschiedlichen Ausführungen. Manchmal ist ein wenig trial & error gefragt und wenn man ausnahmsweise irgendwo festhängt, dann liegt das wahrscheinlich daran, dass man genau eine Möglichkeit noch nicht ausprobiert hat. Angenehmerweise kann man im Spiel nicht sterben, wodurch alle Rätsel in Ruhe gelöst werden können.

Fazit

»Forgotton Anne« bietet eine nette Coming-of-Age Geschichte mit manchmal esoterischem Hauch und solidem Gameplay. Der Artstyle ist einzigartig, die Vertonung der Charaktere ist fantastisch und der Humor sitzt – generell gefällt mir die Kreativität, die hier ausgelebt wurde richtig gut. Es hat einfach eine gewisse liebenswürdige Skurrilität, wenn sich ein Schuh und ein Wischmopp streiten und dabei Sätze fallen wie „Niemand mag Wischmopps! Geh deinen Kopf in eine Toilette stecken“ oder „Hör auf, sonst wisch ich mit deinem Kopf den Boden auf“. Highlight ist für mich jedoch die Konsequenz der moralischen Entscheidungen, die sich bis zum Schluss des Spiels hin durchziehen. Für mich hat das Spiel seine Versprechungen der Gamescom gehalten, den Kauf zum Vollpreis von 19,99€ kann ich guten Gewissens empfehlen.

Transparenz-Hinweis: »Forgotton Anne« wurde uns von ThroughLine Games per Steam-Key zur Verfügung gestellt.

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Dominik mag Storyspiele und Shooter und findet die meisten Open World- und Grinding-Mechaniken ganz furchtbar.

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