Ende 2011 ist die kleine Softwareschmiede OMGPOP aus dem New Yorker Stadteil SoHo nur ein durchschnittliches Entwicklungsstudio mit 40 Mitarbeitern, überdurchschnittlich höchstens in seiner Beharrlichkeit. Dank der Überzeugungskraft der beiden Geschäftsführer Dan Porter und Charles Forman kann OMGPOP 17 Mio. US-Dollar Investorenkapital auftreiben, das im Anschluss sukzessive ausgegeben wurde, ohne dass sich der gewünschte Erfolg einstellte. Charles Forman verlässt daraufhin das Unternehmen. Dan Porter ist nach 43 veröffentlichten Spielen immer noch davon überzeugt, dass sich irgendwann, irgendwie der große Erfolg einstellen wird. Vielleicht mit Spiel Nummer 44. Oder 45. Oder doch nie. Denn zum jetzigen Zeitpunkt zeigt der Kontostand von Dan Porter noch genau 1.700 US-Dollar an.
Die Firma mit dem Namen im Internetslang hat sich auf Spiele für die Nutzer von sozialen Netzwerken wie Facebook, und mobile Spiele für Smartphones konzentriert. Mobil und sozial ist die Zukunft von Spielen, davon ist OMGPOP überzeugt.
Irgendwann in den ersten Tagen des jungen Jahres 2012 muss dann etwas mit Kandidat 44, Draw Something, passiert sein.
Vielleicht hat ein Blog das Spiel aufgegriffen, vielleicht war es ein Tweet, der virale Fahrt aufgenommen hat, oder ein User mit überdurchschnittlich vielen Facebook-Freunden – was genau kann selbst im alles aufzeichnenden Web nicht mehr mit Sicherheit nachverfolgt werden. Aber irgendetwas zündet einen Funken. Das Spiel gewinnt Fans. Fans, die es jeden Tag spielen und immer mehr Freunde einladen. Die wieder Freunde einladen, die wieder Freunde einladen. Die Mischung aus exponentiellem Hebel, den ein Social Network im besten Falle darstellen kann, und einer Spielmechanik, die auf einen nach Kreativität und Selbstdarstellung lechzenden Zeitgeist trifft kulminiert in einer gigantischen Reaktion. Eine Reaktion, die etwa so wahrscheinlich ist, als würde man mit einem Küchenmesser versehentlich einen Atomkern spalten. Die aber nach Social-Games-Maßstäben in etwa dieselbe Wirkung hat.
Einige Zahlen zum Vergleich: AOL brauchte in den Anfängen des Internets neun Jahre für seine erste Millionen User. Facebook brauchte dazu 2004 nur noch neun Monate. Draw Something erreicht diese Zahl in neun Tagen. Doch eine Millionen war erst der Anfang. In einer manischen Zeit, in der OMGPOP über acht Wochen Server aufkaufte, wo immer das Team welche her bekam, wurde der Titel knapp 40 Millionen Mal heruntergeladen, 6 Milliarden Bilder wurden von Usern gemalt, 12 Millionen Menschen spielen Draw Something jeden Tag. Selbst der beste Titel des 3.500 Mann starken Unternehmens Zynga, den Machern von FarmVille und Co., das bislang absolut unangefochten die Facebook-Spielecharts anführt, kommt nach Jahren der Verbesserung und des Feintunings nie über 10 Mio. tägliche User.
Während das geschieht, tobt hinter den Kulissen bereits ein internationaler Bieterwettstreit. Nach acht Wochen im Rausch des Erfolges verkauft Dan Porter das Studio. Zynga zahlt 180 Mio. US-Dollar für die komplette Übernahme. Und immernoch unken einige Brancheanalysten, das Unternehmen hätte in einem Jahr ein Vielfaches wert sein können. Ende gut, alles gut? Leider nein.
Teil der Abmachung mit Zynga ist, dass die OMGPOP-Mitarbeiter zum Konkurrenten nach San Francisco wechseln. Doch einer will nicht.
Shay Pierce ist Entwickler bei OMGPOP, der in seiner Freizeit das völlig unbekannte iPhone-Spiel Connectrode entwickelt hat. Zynga, die Firma mit 285 Mio. Spielern im Monat, will, dass Pierce das Spiel aus dem App Store nimmt, da man keine Aktivitäten der Mitarbeiter duldet, die Zynga Konkurrenz machen könnten.
Das Problem, oder eher die drei Probleme, die Pierce damit hat, sind:
- Connectrode macht so gut wie kein Geld und ist in keiner Weise Konkurrenz zu Zynga
- Es ist eine elektronische Liebeserklärung an seine Frau
- Er verkauft seine Werte und Überzeugungen nicht
Dan Porter, durch den Geldsegen offenbar zum Volldepp mutiert, ätzt auf Twitter gegen seinen eigenen Mitarbeiter:
Der einzige OMGPOP-Mitarbeiter, der nicht zu Zynga gegangen ist, war der Schwächste im ganzen Team. Eigennützige Menschen machen schlechte Spiele. Ich weine dir nicht nach.
Und nur für den Fall, dass irgendjemand seine Reaktion nicht richtig interpretiert schiebt er nach:
Was am Erfolg sehr interessant ist, ist die Zahl von Versagern, die versuchen auf deinem Rücken vorwärts zu kommen. Shay Pierce ist nur einer von denen…
Was Porter zu diesen Entgleisungen bewogen hat, wird man wohl nicht mehr nachvollziehen können. Der Deal selbst war dadurch in keiner Weise gefährdet, genauso wenig wie sein persönlicher Anteil, der sich laut seinen eigenen Angaben auf “erheblich mehr als 22 Mio.” beläuft.
Nachdem die einschlägigen Medien die Story aufgegriffen haben, löscht Porter seine Tweets, später versucht er sie zu relativieren. Als alles nichts nutzt, entschuldigt er sich sogar öffentlich. Nur nicht bei Pierce.
Was bleibt sind für mich neben der Bestätigung diverser Binsenweisheiten über Geld und Charakter die Äußerungen von Shay Pierce über seine Einstellung als Entwickler (und Arbeitnehmer, und Mensch):
Zynga wurde sowohl von Branchenbeobachtern als auch von ehemaligen Mitarbeitern als ‘böse’ bezeichnet. Ich kenne viele Entwickler, die das naiv finden. Eine Firma, die nach Profit strebt ist niemals ‘böse’ aus der Sicht ihrer Aktionäre und Mitarbeiter – Mitarbeiter sind normale, reale Menschen die nur versuchen Kredite abzubezahlen und ihre Familien zu ernähren. Was ist daran ‘böse’? Kann eine Firma ‘böse’ sein?
Wenn ein Teil eines Ökosystems sich in diesem kurzsichtig bewegt, in einer Art und Weise, die das Überleben des Systems und das der anderen Teile darin unmöglich macht – dann glaube ich, dass das böse ist. Und ich denke, Zynga tut genau das.
Ich ermahne alle Spiele-Entwickler: geht nicht zu einer Firma, deren Werte deinen eigenen widersprechen. Werte sind nicht nur etwas für Idealisten – sie sind wichtig. Wenn das Verhalten einer Firma dir nicht passt, höre auf deine Instinkte und folge ihnen.
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Gastautor: Frederik Hammes
Frederik schreibt hauptberuflich für das Handelsmagazin GamesMarkt. Das bringt ihm zwar einen sehr interessanten Blick hinter die Kulissen der Traumfabrik Daddelwood, ist aber zeitweise weit weg vom eigentlichen Sinn des Lebens – die Games tatsächlich zu spielen. Immer wenn er vor lauter DAU, CLV und CPC seine Arbeit nicht mehr von einem Fantas-Song unterscheiden kann, versucht er auf Zockwork Orange die beiden Welten wieder in Einklang zu bringen. Ommmm.