»Dead Cells« wird vom Entwickler Motion Twin als Mischung aus Metroidvania und Roguelite beworben. Letztes Jahr im Mai habe ich mir eine sehr frühe Early Access Version angesehen und war so begeistert, dass ich das Spiel willentlich beiseite gelegt habe, um auf den finalen Release zu warten. Dieser steht nun vor der Tür – und ich bin unerwartet hin- und hergerissen.
Nach »A Robot named Fight!« (Zum Test) ist »Dead Cells« das zweite Indie innerhalb weniger Wochen, welches ein Roguelite-Korsett auf ein Metroidvania-Grundgerüst stülpt. In der klassischen 2D-Seitenansicht hüpft und klettert man durch prozedural erstellte Levels, zerhackt Monster mit unterschiedlichsten Fern- und Nahkampfwaffen und schalten immer weitere Waffen, Upgrades und Fähigkeiten frei. Nach dem Tod ist alles vorbei, die Levels werden zufällig neu zusammengesetzt und man beginnt wieder am Anfang. Einmal freigeschaltete Gegenstände und Upgrades bleiben jedoch erhalten und können vom Zeitpunkt des Freischaltens an erneut zufallsbasiert in den Leveln gefunden werden.
Ziel des Spiels ist, über den Verlauf zahlreicher Durchgänge gut genug zu werden, um sich dem Endboss stellen zu können. Den Weg dorthin kann der Spieler dabei in gewissen Rahmen selbst bestimmen. Die meisten Level haben mehrere Ausgänge, die zu unterschiedlichen Abschnitten des Spiels – und unterschiedlichen Zwischenbossen – führen. Während zu Beginn lediglich ein einzelner Pfad offen steht, öffnen die sammelbaren Fähigkeiten die Möglichkeit, neuen Ausgänge zu erreichen und so in zuvor unbekannte Level vorzudringen.
Dead Cells ist kein gutes Metroidvania…
Leider verspielt Entwickler Motion Twin die an sich gute Idee, ein Metroidvania mit einem Roguelite zu kombinieren. Zunächst scheitert »Dead Cells« nämlich daran, dass es kein gutes Metroidvania ist. Zwar findet sich prinzipiell die übliche Metroidvania-Struktur (ein zunächst unüberwindbares Hindernis kann überwunden werden, nachdem man neue Fähigkeiten findet) auch in »Dead Cells« – allerdings auf denkbar rudimentäre Art und Weise.
Mit neuen Fähigkeiten gelangt man zwar an zuvor unzugängliche Stellen innerhalb der Levels, diese sind jedoch ausnahmslos uninteressant. Man findet mit Shops, Waffen und Edelsteinen lediglich Dinge, die man auch zuvor schon zigmal gesehen hat. Außerdem enden diese neuen Pfade grundsätzlich in Sackgassen. Dass man dank einer neuen Fähigkeit in einem Level nun Zugriff auf drei statt zwei Shops hat, ist selten ein Gewinn.
Darüber hinaus besitzt »Dead Cells«, anders als im Genre üblich, keine zusammenhängende Welt. Man bewegt sich stattdessen abschnittsweise durch linearen Gebiete. Lediglich an festen Ausgängen kann man in das nächste Level wechseln. Umkehren und einen Level erneut betreten, ist nicht möglich.
Hier erklärt sich auch der eigentliche Zweck hinter den Fähigkeiten. Sie dienen nicht zur Erschließung einer non-linearen Spielwelt, sondern als Gatekeeper. So ist der Ausgang zu den Toxic Sewers grundsätzlich unerreichbar, solange man nicht die Fähigkeit hat, an vordefinierter Stelle eine Ranke wachsen zu lassen. Dadurch reduziert Dead Cells das zentrale Progressions- und Motivationssystem von Metroidvanias auf eine simple Schloss-und-Schlüssel-Mechanik. Die weiter oben erwähnten Sackgassen dienen daher auch eher als mäßig erfolgreiche Verschleierung der linearen Natur des Spiels, als dass sie Erkundungsanreize bieten würden.
… kein gutes Roguelite…
Wenn »Dead Cells« schon kein gutes Metroidvania ist, können dann wenigstens die Roguelite-Elemente überzeugen? Die Antwort darauf fällt leider ebenfalls negativ aus. Pacing- und Spannungsprobleme verhindern auch hier, das Fans dieses Genres auf ihre Kosten kommen. Dafür ist jedoch nicht ein einzelner Faktor verantwortlich, sondern eher eine unglückliche Kombination mehrerer Schwächen.
Relativ schnell fällt auf, dass die Levels in »Dead Cells« zu lang sind und der Schwierigkeitsgrad zu gering ausfällt. Zwar ist das Spiel nicht im strengen Sinne linear, aber durch die umfangreichen Gebiete und häufigen Wiederholungen, wirkt das Spiel trotzdem schnell repetitiv. Gleichzeitig ist es häufig anspruchslos, aber zeitaufwendig, sich zum Ort des letzten Scheiterns zurück zu kämpfen. Das Spiel verkommt hier zur Fleißaufgabe.
Zusätzlich fehlt es dem Leveldesign an Überraschungen. Normalerweise reichern Roguelites ihre Levels mit zufällig erscheinenden Spezialräumen, Events und einem Pool aus unterschiedlichen Zwischenbossen an, um Abwechslung zu erzeugen. Nichts davon steckt in »Dead Cells«. In den Leveln passiert nichts Außergewöhnliches, ihre Reihenfolge ist fest und man trifft grundsätzlich an den selben Stellen auf die selben Bosse.
Doch das ist nur die eine Hälfte des Problems. Die andere Hälfte ist die schon erwähnte Freischaltmechanik für Ausrüstung. Startet man »Dead Cells« zum ersten Mal, beginnt man das Spiel mit einem rostigen Schwert. In den Leveln selbst können zunächst etwas über einem Dutzend zufällige weitere Waffen gefunden werden, etwa Eisgranaten. Diesem Pool fügt man mit der Zeit weitere hinzu, indem man Blaupausen findet und anschließend mittels einer Währung dauerhaft freischaltet.
Im Umkehrschluss bedeutet das: Nicht nur bewegt man sich in »Dead Cells« immer durch die gleichen Levelabschnitte, man muss sie auch zunächst mit den immer gleichen Waffen bestreiten. Nur langsam schwillt der Pool der verfügbaren Ausrüstung an. Erschwerend kommt hinzu, dass man sehr schnell rausfindet, welche Waffen und Gegenstände stark sind (Eisgranaten!) und welche man besser links liegen lässt.
Da man die Blaupausen nicht nur finden, sondern in einem zweiten Schritt gezielt freischalten muss, kommt es zu einem weiteren Problem: Eher experimentell-verspielte Ausrüstung ignoriere ich schon beim Freischalten zugunsten von Gegenständen, die nützlicher klingen. Schwachen Items freizuschalten ist sogar kontraproduktiv. Da alle Gegenstände aus dem Pool zufällig in den Leveln auftauchen, nimmt ein schwacher Gegenstand in der Lotterie potentiell einem starken den Platz weg.
Wie auch beim Leveldesign ist hier ist eine Abkehr von der “Best Practice” der Roguelites zu erkennen. Normalerweise wird der Spieler in diesem Genre durch Unmengen kreativer Gegenständen und Gegenstandskombinationen motiviert. Kern des Spielspaßes ist das Unerwartete und die Aussicht, im nächsten Spiel eine möglichst optimale Ausrüstung zu erhalten. Nicht von ungefähr erinnert das an Glücksspiel. Zusätzlich wird der Spieler üblicherweise in einem Roguelite dadurch motiviert, trotz vermeintlich schwacher Ausrüstung möglichst weit zu gelangen, bislang unbekannte Gegenstände zu finden und neue Spielstrategien zu entwickeln.
»Dead Cells« geht den umgekehrten Weg und gibt erst nach und nach den Zugriff auf eine immer größere Auswahl an Gegenständen frei. Dadurch nimmt mir das Spiel die Freude daran, mit einer Vielzahl von Ausrüstungsgegenständen zu experimentieren und mich ständig auf neue Situationen einstellen zu müssen. Peu à peu tröpfelt neue Ausrüstung in meine Werkzeugkiste, die ich sofort in Kategorien wie “nützlich” und “nicht nützlich” sortieren kann. Gleichzeitig werden die starke Waffen dadurch entwertet, dass ich sie ständig in den Händen halte. Der Kardinalsfehler ist, dass »Dead Cells« zu berechenbar ist.
… aber mehr als die Summe seiner Teile
Ein Metroidvania ohne zusammenhängende Welt und kreativen Fähigkeitseinsatz, ein Roguelite ohne Abwechslung und Unberechenbarkeit: Nein, »Dead Cells« gelingt es weder, den einen noch den anderen Teil seiner Vorbilder gelungen zu emulieren. Dennoch habe ich in den letzten Tagen nichts anderes gespielt – und hatte Spaß dabei.
Denn unverhofft ist es das Kampfsystem, das »Dead Cells« trotz all vorangegangener Kritik über die Ziellinie schleppt. Wunderbar geschmeidig bewegt man sich durch die Levels, zerhackt aus dem vollen Lauf einen Gegner, legt mit dem Bogen an, schießt einen weiteren Feind nieder, um anschließend im letzten Moment unter einem Geschoss hindurch zu tauchen.
Entwickler Motion Twin ist es gelungen, dieses Moment-to-Moment-Gameplay zu perfektionieren. Die direkte Steuerung macht schon das reine Navigieren durch die prozeduralen Welten zur Freude und auch die Soundeffekte, etwa beim Zuschlagen mit dem Schwert oder beim Abfeuern des Bogens, geben jederzeit exaktes akustisches Feedback über das Bildschirmgeschehen. Dadurch fühlt sich »Dead Cells« außerordentlich responsiv an und entwickelt einen diablo-esquen Flow, der mich ständig dazu motiviert, doch noch ein bisschen weiter zu spielen.
So sehr ich Leveldesign- und Freischaltmechanik vor dem Hintergrund kritisiert habe, was sie für die jeweiligen Metroidvania- bzw. Roguelite-Aspekte des Spiels bedeuten, so motiviert mich das Kampfsystem dennoch, neue Waffen zu suchen und neue Level, Gegner und Bosse zu sehen. Denn auch beim Umfang muss sich »Dead Cells« nicht verstecken. Siebzehn unterschiedliche Level habe ich bislang gesehen, gut möglich, dass weitere existieren. Zusätzlich gibt es mehrere Schwierigkeitsgrade, die nach dem erfolgreichen Beenden eines Durchlaufs sukzessiv freigeschaltet werden – auch das alles erinnert an Diablo.
Letzte Gedanken
Mit »Dead Cells« habe ich über ein Jahr auf etwas gewartet, dass der Entwickler als ein Roguelite-Metroidvania beworben hat. Bekommen habe ich etwas, was mich überrascht hat, im positiven wie im negativen Sinne. Ich bin weiterhin hin- und hergerissen. Als Fan sowohl von Roguelites als auch von Metroidvanias hat mich das Spiel enttäuscht. Weder in der einen noch in der anderen Kategorie macht »Dead Cells« eine gute Figur. Dennoch ist es ein launiges 2D-Actionspiel, das mich schon viel zu lange fesselt, um nicht zumindest empfehlenswert zu sein. Am Ende ist es mehr als die Summe seiner Teile. Andererseits tauchen mittlerweile trotz des gelungenen Kampfsystems erste Ermüdungserscheinungen auf. Das ständige Wiederholen der immer gleichen, abwechslungs- und überraschungsarmen Level fordern ihren Tribut. Wer prinzipiell auf actionreiche 2D-Plattformer steht, kann jedoch trotzdem »Dead Cells« eine Chance geben. Man muss nur damit rechnen, möglicherweise ein anderes Spiel zu erhalten, als man erwartet.