
Glaubt ihr an Liebe auf den ersten Blick? Man spricht ja immer davon, wie wichtig der berühmte erste Eindruck ist. Wie viel Wahrheit in dieser Erzählung tatsächlich steckt, kann ich nicht beurteilen, aber wenn diese ersten Sekunden einer Begegnung so entscheidend sind, wie behauptet, dann macht »Xenoblade Chronicles X« alles richtig. Es ist ganz schwer, sich nicht augenblicklich in dieses Spiel zu verlieben, dessen Startbildschirm bereits von herrlich bekloppter Sci-Fi-Ästhetik strahlt. Eine weite Landschaft, ein Blick ins Tal, im Vordergrund kleine Menschen und ein riesiger Mech mit neongrünen Lichtern. Geil! Ich will sofort mehr wissen! Eigentlich ist Nachmittag, eigentlich bin ich im Homeoffice, eigentlich wollte ich nur mal kurz das Menü anschauen, eigentlich, eigentlich, eigentlich….
Und schon läuft das Intro: Aliens greifen die Erde an, im Orbit kommt es zur Schlacht. Überall Mechs, Raumschiffe, Bullethell. Im Hintergrund der blaue Planet und im letzten Moment entkommt ein Archenschiff und rettet ein paar Überlebende. Wahnsinn. Großartiger Premium-Schwachsinn. Genau so soll es sein!
Kurze Zeit und eine Bruchlandung auf einem fremden Planeten später bin ich schon im Spiel und versuche, ein wenig die inneren Werte von »Xenoblade Chronicles X« auszukundschaften. Und schon wieder bin ich begeistert: Sechzehn Klassen, zwischen denen ich frei wechseln kann, stehen zur Verfügung. Und das Menü verrät noch mehr: Ganze zweiundzwanzig Slots werden für diverse Begleiter bereitgehalten, die ich wohl im Verlauf der Handlung aufsammeln kann. Wow! Bereits da schimmert durch, dass »Xenoblade Chronicles X« ein Spiel für Unlock-Fans und Build-Optimierer sein will.
Später wird klar: Es kommt noch viel mehr. So kann ich etwa diverse Waffen- und Rüstungshersteller mit Ressourcen upgraden, die dann wiederum neue Ausrüstung zum Crafting anbieten. Die Landkarte ist in Hexfeldern segmentiert, die alle jeweils eine Survey-Mission besitzen. Das sind irgendwelche Kleinigkeiten, die man beim Erkunden nebenbei machen kann, wie einen zerstörten Mech zu bergen oder eine Vermessungssonde zu aktivieren. Dadurch zahlt man auf ein Survey-Konto ein, wodurch wiederum andere Dinge wie neue Missionen verfügbar werden. Bei »Xenoblade Chronicles X« ist System auf System gestapelt, überall ist irgendwas zu tun, zu sammeln und freizuschalten. So besitzen die Charaktere etwa ein Level, aber auch einen Klassenrang, der seperat aufsteigt. Mit dem Klassenrang verbunden sind wieder aktive und passive Fähigkeiten für den Kampf, die man später sogar klassenübergreifend kombinieren kann.
Und irgendwie fühlt sich das Ganze dann auch ein bisschen wie Diablo an: Spielt man nicht gerade eine der durchinszenierten Storymissionen, wird man mit zahllosen Sammel- und Killquests zugeschüttet und zieht in die Welt hinaus, um seine Charaktere zu leveln, auszurüsten, Ressourcen zu sammeln und all die verschiedenen Systeme zu befüllen, die am Ende immer irgendeine Verbesserung ausspucken. Und dann geht es von vorne los.
Das Coole ist, dass diese ganzen Tätigkeiten alle ohne Cutscenes inszeniert sind, sodass die Einstiegshürden immer sehr gering sind. Man kann hier Stunden um Stunden verbringen, frei spielen und diverse Werte, Konten und Leisten verbessern, ohne durch Storysequenzen, Dialoge oder Videos unterbrochen und gestört zu werden. Verstärkt wird dieser hypnotische Effekt dadurch, dass kaum Downtime existiert: Stets befindet sich ein Gegner in Reichweite oder funkelt ein Gegenstand in der Nähe, den man aufsammeln kann. Anders als in Diablo jedoch ist die Welt nicht flach, sondern besteht aus weiten, leicht surrealen Landschaften mit hohen Bergen, steilen Klippen und versteckten Pfaden, wodurch man durch genaues Hinschauen an den unwahrscheinlichsten Orten noch Geheimnisse wie einzigartige Gegner aufspüren kann. So bietet »Xenoblade Chronicles X« neben dem Fokus auf sein weitläufiges, aber mathematisch-vorhersehbares Upgradesystem trotzdem noch den Reiz der Entdeckung und des Unbekannten.
Mit Liebe auf den ersten Blick ist das ja immer so eine Sache: Manchmal erlischt die Flamme so schnell, wie sie entstanden ist. Meine ersten zehn Stunden mit »Xenoblade Chronicles X« waren voller spontaner Leidenschaft. Gleichzeitig bin ich sehr gespannt, ob mich dieses systemgetriebene, auf Steigerung von Werten fokussierte Gameplay auch längere Zeit begeistern kann oder ob dem Spiel irgendwann mangels Überraschungen die Luft ausgeht. Und natürlich muss mich die Story mitnehmen, denn das habe ich ja schon zu Beginn angedeutet: Ich mag diesen over-the-top-Quatsch. Ich hoffe, davon kommt noch ganz viel mehr!