Vor kurzem ist mit »Torna – The golden country« die eigenständig lauffähige Erweiterung des Switch-exklusiven RPG »Xenoblade Chronicles 2« aus dem letzten Jahr erschienen. Für mich ein willkommener Anlass, mir das Hauptspiel mal genauer anzusehen. Dabei stellt sich heraus, dass ich mit dem Spiel aus dem Hause Monolith Soft bislang eines der besten Spiele für die Switch verpasst habe.
Story & Charaktere
Rex ist Schatztaucher und wohnt auf dem Rücken eines drachenähnlichen Wesens, einem Titanen. Eines Tages wird er für einen Spezialauftrag angeheuert, der enorme Gewinne verspricht: Für die Organisation Torna soll er das Wrack eines versunkenen Schiffs bergen. Doch selbstverständlich täuschen ihn seine Auftraggeber über das Geheimnis, das an Bord verborgen liegt. Kurze Zeit später ist Rex tot, aber die mysteriöse Pyra schenkt ihm das Leben, wenn Rex sie als Gegenleistung in das göttliche Land Elysium bringt.
Rex’ Auftrag wird rund sechzig Spielstunden dauern und ihn quer durch die Welt von Alrest führen. Dabei schließen sich ihm nach und nach weitere Charaktere an. Toll: Wie in einem guten Buch gewinnt man die charmanten Helden mit der Zeit lieb. Sie werden wie alte Freunde, die man schon lange kennt. Die Protagonisten haben eine klare Charakterzeichnung, unterschiedliche Facetten, sympathische Seiten und starke Auftritte. Manchmal lächle ich über Nia, die erfrischend direkt ist. Dann wieder fühle ich mit Pyra, die mit ihrer Vergangenheit hadert. Rex hingegen ist ein Springinsfeld, dem seine vorschnelle Art manches Mal zum Verhängnis wird, der aber stets loyal zu seinen Freunden steht. Ein Ensemble britischer Sprecher erweckt all diese Figuren mit zahlreichen Dialekten zum Leben. Alternativ können Puristen die original japanische Sprachausgabe, sowie deutsche oder englische Untertiteln auswählen.
Gut gefallen hat mir ebenfalls, wie viele unterschiedliche Töne die Autoren anschlagen. Das Spiel steckt voller Humor und Komik, teilweise liebenswert kindlichen Dialogen und Slapstickeinlagen, aber auch Action, Dramatik und Pathos. Inszeniert wird all das vor allem in zahlreichen, sehenswerten Videosequenzen, sowie in Dialogen ohne Sprachausgabe.
Das Pacing
Nach dem einführenden Abenteuer auf dem versunkenen Schiff wird die wachsende Gruppe um Rex zunächst etwas ziellos als Spielball der Ereignisse umher getrieben und lernt zusammen mit dem Spieler die Welt kennen. Währenddessen wird Stück für Stück die Spielmechanik ausgebaut. Allerdings verliert sich »Xenoblade Chronicles 2« hier ein wenig zu häufig auf Seitenpfaden. Etwas mehr Fokus wären an dieser Stelle besser gewesen. Wenn jedoch nach einem Drittel der Spielzeit sämtliche der zahlreichen Mechaniken und das Kampfsystem vollständig integriert sind, fängt das Spiel an, seine Figuren für das große Finale in Stellung zu bringen.
Nun zieht das Tempo merklich an, die Einsätze werden größer, die Ereignisse dramatischer. Und natürlich dürfen japanischen Tropes nicht fehlen: Mächtige Charaktere werden noch mächtiger, es gibt ins absurde ausufernde Kampfszenen und Kriegsgerät, dass sich in gewaltigen Explosionen gegenseitig in Staub auflöst. Obwohl »Xenoblade Chronicles 2« stark anfängt und in der ersten Hälfte zahlreiche Highlights für Freunde japanischer Popkultur bereit hält, steigert es sich gegen Ende nochmals deutlich. Zu gerne würde ich an dieser Stelle Details über das letzte Drittel verraten: Über den großen Reveal und wie Monolith Soft die von ihnen geschaffene Welt wieder dekonstruiert. Außerdem würde ich mich an dieser Stelle gerne über eine einzelne Szene zwanzig Minuten vor Schluss ärgern, welche die Wucht des Reveals durch unnötige Detailfülle und Exposition leider etwas abmildert.
Da ich JRPGs mittlerweile selten spiele, hat mich »Xenoblade Chronicles 2« vor allem an meine Stunden mit älteren Titeln wie »Final Fantasy 8« oder »Lost Odyssey« erinnert. Ironischerweise trägt zu diesem Gefühl der Nostalgie auch die schwache Technik im Handheld-Modus der Switch bei: Stellenweise sinkt die Auflösung in bemerkenswert tiefe Regionen, so dass mich das Spiel auch optisch an seine grobpixeligen Ahnen erinnert.
Die Kämpfe
Großes Lob verdienen die Kämpfe. Was anfangs noch wie ein passives Zuschauen mit Autoangriffen wirkt, eskaliert später zu einer komplexen Mechanik, bei der es vor allem auf Rhythmus, Timing und das Zusammenspiel der einzelnen Partymitglieder ankommt.
Ziel des mehrstufigen Kampfsystems ist es, unter Zeitdruck möglichst viele (aber unterschiedliche) Kombos an einem Gegner aufzubauen. In einem massiven, abschließenden Angriff werden die aufgebauten Kombos anschließend in riesige Mengen an Schaden umgewandelt. Nachdem ich die Feinheiten erst verinnerlicht hatte, erschloss sich mir ein wunderbares Micromanagement-Fest. Dieses erfordert Konzentration und macht – richtig angewandt – in den Kämpfen tatsächlich einen Unterschied. Nicht selten verlieren Bossgegner die Hälfte ihres Lebens und mehr, nachdem durch Voraussicht und Planung alle Puzzleteile an ihren Platz gefallen sind. Nicht unerwähnt bleiben soll an dieser Stelle, dass »Xenoblade Chronicles 2« keine Zufallskämpfe hat. Gegner befinden sich unmittelbar in der Spielwelt und werden in Echtzeit bekämpft.
Driver und Blades
Jeder spielbare Charakter besitzt einen Talentbaum, sowie Slots für Rüstungen. Hinzu kommen nicht-steuerbare Begleiter namens Blades. Partymitglieder (auch Driver genannt) können bis zu drei Blades ausrüsten und im Kampf einsetzen. Diese bestimmen die Waffe, Spezialangriffe und das Element, mit dem der Driver angreift, etwa Feuer oder Blitz. Während des Kampfes kann zwischen den Blades gewechselt werden, um unterschiedliche Kombos ausführen zu können.
Auch die Blades verfügen über Talentbäume und Ausrüstung und gewähren ihren Drivern unterschiedliche Boni, je nachdem ob sie eine Angriffs-, Heiler- oder Tankblade sind. Finden kann man die Begleiter in einer Art Lootbox, den Core Crystals. Je seltener das aus einem Core Crystal gezogene Exemplar ist, desto umfangreicher (und mächtiger) ist sein Talentbaum. Doch keine Sorge: Es gibt keinerlei Mikrotransaktionen in »Xenoblade Chronicles 2«, die Core Crystals findet man ausschließlich im Spiel selbst.
Sahnestück sind natürlich einzigartige Blades. Diese haben besonders starke Talente, eine individuellen Optik und kommen oftmals mit eigene Questreihen. Zudem spielen sie häufig zentrale Rollen im Verlauf der Handlung. Erhalten kann man sie durch besondere Core Crystals, oder sie stoßen im Rahmen der Geschichte oder von Nebenaufgaben zur Party. Andere hingegen muss man mit viel Glück finden.
Deutlicher Makel von »Xenoblade Chronicles 2« ist allerdings, dass viele der Systeme notorisch untererklärt sind. Das betrifft Charakterentwicklung und Kampfsystem. Zwar gibt es regelmäßig kurze Tutorials, richtig verstanden habe ich vieles jedoch erst mit Hilfe von externen Quellen.
Fazit
Nach über sechzig Stunden mit »Xenoblade Chronicles 2« frage ich mich, warum ich eigentlich nicht häufiger zu JRPGs greife. Die Charaktere und ihre Sprecher sind mir ans Herz gewachsen und die Geschichte motiviert gerade ab der zweiten Hälfte ständig zum weiterspielen. Auch die Spielmechanik der Kämpfe hat mich die ganze Zeit über am Ball gehalten. Über die stellenweise arg schwache Technik konnte ich hinweg sehen. Man muss allerdings etwas Zeit investieren, bis man die zahlreichen Systeme verstanden hat. Zur Not muss man dafür sogar YouTube oder ähnliches zu Rate ziehen. Außerdem hätte der ersten Hälfte des Spiels etwas Straffung gut getan. Jedoch: Wenn ich nur ein Lob über »Xenoblade Chronicles 2« aussprechen dürfte, dann dieses: Ich habe nur wenige Tage nach dem Durchspielen einen zweiten Durchlauf begonnen. Ich musste mit Rex, Pyra, Nia und dem ganzen Rest einfach noch ein wenig Zeit verbringen.
Offenlegung: Die Kopie von Xenoblade Chronicles 2 wurde von Nintendo zur Verfügung gestellt.