»Wolfenstein: Youngblood« heißt der vierte und jüngste Ableger der erfolgreichen Wolfenstein-Reihe, die uns seit Jahren mit riesigen Wummen durch schießwütige Nazihorden pflügen und mächtige mechanische Kontrahenten zerbomben lässt. Ob »Wolfenstein: Youngblood« mit seinen Vorgängern mithalten kann? Ich war gespannt. Der Name Wolfenstein steht ja seit jeher für jede Menge Ballerspaß und solide Action und, soviel sei verraten, das kommt im neuen Teil auch nicht zu kurz.
Story? Wo ist die Story?
Wir schreiben das Jahr 1980. B.J. Blazkowicz, mit dem ich mich durch die vorherigen Teile geschnetzelt habe, hat sich nach der Befreiung Amerikas vom Naziregime endlich zur Ruhe gesetzt. Zusammen mit seiner Frau und seinen Töchtern Jess und Soph hat er sich in ein Häuschen auf dem Land zurückgezogen. Allerdings ist der Kampf noch nicht vorbei, denn das feindliche Regime hat Europa immer noch fest im Würgegriff. Als Blazkowicz dann heimlich nach Paris verschwindet, ist man doch ein wenig besorgt. Jess und Soph machen sich deshalb auf den Weg, ihren Vater dort zu suchen.
Dieser Start sieht zwar vielversprechend aus, doch leider wird der Plot im Verlauf des Spiels nicht weiter ausgebaut. Mich erwarten bedauerlicherweise kaum Dialoge oder Cutscenes, die die Handlung vorantreiben oder weitere Hintergründe aufdecken. Da trösten auch Sammelobjekte, wie Zeitungen oder Dokumente, die Aufschluss über die Zustände in Paris geben sollen, nicht viel über die mangelnde Story hinweg. Natürlich kann man jetzt argumentieren, dass ein fesselnder Shooter das nicht unbedingt braucht, doch die Wolfenstein-Reihe ist eigentlich auch für seine tiefergehenden und teilweise selbstironischen Hintergrundgeschichten bekannt. Danach suche ich in »Wolfenstein: Youngblood« leider vergebens.
Zudem gibt es einige irritierende Unstimmigkeiten, die mir während des Spiels auffallen. Paris ist, abgesehen natürlich von den Gegnerhorden, doch ziemlich leer. Es gibt zum Beispiel keine Zivilisten bzw. Bewohner, bis auf eine Handvoll Gefangener, die ich in Nebenmissionen befreien soll. Für wen wurde denn dann eigentlich die ganze Propagandamaschinerie aufgebaut, wenn das Zielpublikum komplett fehlt? Diese und andere logische Fragen stellt man sich in »Wolfenstein: Youngblood« besser nicht.
Solides Gameplay
Trotz mangelnder inhaltsschwerer Story, gibt’s am Gameplay kaum was zu meckern. Das Waffenarsenal ist gewohnt umfangreich und mit hoher Durchschlagskraft versehen. Es macht einen Heidenspaß, sich durch die Gegner zu ballern, Granaten zu werfen oder mit Flammenwerfern die Gegend zu verwüsten. Die Kontrahenten sind übrigens oft mit unterschiedlichen Panzerungen ausgestattet, weswegen ich meine Waffenwahl dahingehend immer etwas anpassen muss. Ein nettes Feature, das jetzt aber nicht wirklich herausfordernd ist. Zudem finde ich es teilweise fummelig, immer wieder die Waffe wechseln zu müssen, um unterschiedliche Gegner effektiv niederstrecken zu können. Leider bekomme ich auch die richtig coolen Kampfgeräte erst relativ spät im Spiel, was den Spielspaß für mich anfangs ein wenig getrübt hat.
Neu ist jetzt eine Art Boost-Sprung, mit dem ich auch höhergelegene Bereiche in der jeweiligen Spielumgebung ohne Probleme erreichen kann. Das kann ich oft zu meinem Vorteil nutzen, wenn ich beispielsweise gut geschützt von Balkonen die Kontrahenten auf dem Boden ausschalte oder mich unentdeckt durch ein Areal schleiche. Auch geheime Durchgänge und Abkürzungen lassen sich auf diese Weise erschließen oder ich hüpfe durch offene Fenster in Wohnungen, um diese zu plündern.
Um noch einmal auf das Thema Schleichen zurückzukommen: Mein Kampfanzug bietet mir praktischerweise die Möglichkeit, mich für kurze Zeit unsichtbar zu machen. Damit kann ich mich oft aus brenzligen Situationen retten oder einen heimlichen Kill für mich verbuchen. Trotzdem habe ich das Gefühl, nicht unbedingt unerkannt durch ganze Level schleichen zu können. Dafür ist dieses Feature nicht effektiv genug … oder ich stelle mich zu blöd an. Da ich eine Trophäe freischalten kann, wenn ich eine Mission unerkannt beende, scheint es aber irgendwie zu gehen. Ich bleibe dran!
Gemeinsam geht es besser
Ebenfalls eine Neuerung in »Wolfenstein: Youngblood« ist der Coop-Modus. Das gesamte Spiel ist darauf ausgelegt, zu zweit gespielt zu werden. Dabei können auch Spielpartner mitgenommen werden, die das Spiel nicht besitzen, was ziemlich cool ist.
Steht kein zweiter Spieler zur Verfügung, nehme ich einfach eine KI mit. Die stellt sich in den Standardgemetzeln nicht mal so blöd an und ich bin positiv überrascht. Geht es allerdings darum, einen stärkeren Gegner in die Zange zu nehmen und von zwei Seiten aus taktisch zu attackieren, dann kann ich hier nicht auf eine überragend intelligente Unterstützung hoffen.
Ich teile mir auch mit meinem Coop-Partner maximal drei Leben. Ein Leben bleibt dabei so lange erhalten, bis wir beide gleichzeitig ins Gras beißen. Wird nämlich nur einer von uns tödlich verletzt, belebt der andere ihn kurzerhand wieder und das gemeinsame Leben bleibt bestehen. Außerdem können sich beide Partner gegenseitig mit Gesten unterstützen, die zum Beispiel die Rüstung oder Lebensenergie erhöhen.
Vertrautes Leveldesign
Im Leveldesign erkenne ich eutlich die Handschrift der Arkane Studios wieder, die zusammen mit MachineGames diesen Titel entwickelt haben. Die Straßenzüge mit mehreren Ebenen und die Möglichkeit Wohnungen nach Sammelbarem zu durchsuchen, erinnern mich ziemlich stark an Dunwall von »Dishonored«. Auch das coole Steampunk-Design ist in beiden Spielen ähnlich umgesetzt. Zudem ist auch irgendwo in »Wolfenstein: Youngblood« ein „Souvenir aus Dunwall“ als Easteregg versteckt. Ein witziges Detail, wie ich finde.
Aber natürlich treibe ich mich nicht nur auf der Straße herum. Riesige Maschinenhallen, verwinkelte Krankenhäuser oder schummerige Gänge im Untergrund von Paris bieten jede Menge Abwechslung und bis an die Zähne bewaffnete Feinde. Da heißt es dann geschickterweise Ausschau nach versteckten Durchgängen oder Schächten zu halten, denn oft bietet sich hier eine Möglichkeit, einen besonders starken Gegner zu umgehen, oder es findet sich eine wertvolle Beutekiste. Holzkisten lassen sich übrigens wieder durch beherztes Draufschlagen öffnen und plündern.
Leider besteht Paris aus mehreren unterschiedlichen Gebieten, die nicht untereinander verbunden sind. Hier kann ich dann die Pariser Metro als Schnellreisesystem verwenden. Und das muss ich ziemlich oft, denn viele Nebenmissionen führen mich immer wieder in unterschiedliche Gebiete. So ganz Open World ist »Wolfenstein: Youngblood« nun eben doch nicht. Die angesprochenen Nebenmissionen muss ich übrigens fast schon zwingend abarbeiten, denn nur so bekomme ich genug Erfahrungspunkte und Geld, um meine Spielfigur und meine Waffen upgraden und die Hauptmissionen erledigen zu können.
Etwas nervig ist dabei die Tatsache, dass alle Gegner, die ich in einem Teil des Gebiets gerade erst ausradiert habe, teilweise wie durch Geisterhand wieder auferstehen. Das passiert fast immer, wenn ich ein paar Minuten später auf dem Rückweg nach einem erledigten Auftrag wieder um die Ecke biege. Aber ich bin ja zum Ballern hier …
Was mich allerdings wirklich extrem gestört hat, sind die nicht vorhandenen Speicherpunkte. Manuelles Speichern ist nicht möglich und nach einem Ableben beider Coop-Partner wird man am Anfang der Mission wieder abgesetzt. Zwar sterbe ich nicht oft, denn das gegenseitige Wiederbeleben funktioniert wirklich bestens, aber es ist schon ziemlich ärgerlich, wenn eine Stunde gemeinsame Anstrengung völlig für die Katz war oder ich das Spiel nicht pausieren kann, weil ich gerade keine Zeit habe, die komplette Mission bis zum Ende durchzuspielen. Hier hätten ein paar zusätzliche Aufsetzpunkte nicht geschadet.
Hauptmissionen gibt es in »Wolfenstein: Youngblood« übrigens nur wenige und die hätten meiner Meinung nach etwas abwechslungsreicher sein können. Die „Bossgegner“ lassen sich nämlich meistens von einem geschützten Bereich aus attackieren, so dass ich selten irgendwelche Risiken eingehen muss. Lediglich das Finale bietet eine größere Herausforderung. Schade eigentlich.
Mein Fazit
»Wolfenstein: Youngblood« hat mir trotz kleinerer Mängel wirklich Spaß gemacht. Die Spielumgebung war definitiv nach meinem Geschmack, das mag aber auch daran liegen, dass ich mich nach Dunwall zurückversetzt fühlte (ich sollte wohl »Dishonored« mal wieder spielen). Mehr als einmal habe ich mich ertappt, dass ich lieber in den Gebäuden nach lohnender Beute gesucht habe, als auf der Straße mit Gegnern um die Wette zu ballern.
Lediglich das Speichersystem hat mich extrem genervt und auf Grund der fehlenden Story hat das Spiel meiner Meinung nach auch viel Potential verschenkt. Die beiden Charaktere Jess und Soph werden nämlich erfrischend sympathisch dargestellt und das hätte durchaus noch ausgebaut werden können. Allerdings zahlt man für »Wolfenstein: Youngblood« auch nicht den Preis eines ausgewachsenen Wolfenstein-Teils, deshalb finde ich das, was man für sein Geld bekommt, durchaus angemessen.
Und hier noch meine persönliche Meinung zu den „fehlenden“ Hakenkreuzen: Ich persönlich brauche die nicht, um in einem Spiel Spaß zu haben. Die Gegner werden dadurch für mich nicht realistischer oder furchteinflößender. Und von historischer Authentizität, die unbedingt beachtet werden soll/muss, kann ja in »Wolfenstein: Youngblood« auch keine Rede sein. Ich verstehe die ganze Aufregung darum nicht. Im Gegenteil, für mich zeugt die „realitätsnahe“ Darstellung eher davon, dass sich Spieleentwickler vielleicht nicht genug bemühen wollen, von sich aus ein überzeugendes Feindbild zu schaffen und lieber auf Altbewährtes zurückgreifen. Diesen Eindruck habe ich bei Spielen mit Zombies übrigens auch …
Ein Reviewexeplar zu »Wolfenstein: Youngblood« wurde uns netterweise kostenlos zur Verfügung gestellt. Danke dafür :)