Zockwork Orange

Über die Berechenbarkeit von Spielzeiten

Ein allgemein anerkanntes Messinstrument dafür, ob sich die Investition des sauer ersparten Geldes in Spiel X lohnt, ist die sogenannte Spielzeit. Damit wird im allgemeinen die Zeitdauer bezeichnet, die ein Spieler benötigt, um vom ersten Tutorialscreen bis zur hoffentlich bombastischen Endsequenz zu gelangen, oder einfacher gesagt: um das Game durchzuzocken.

Spielzeiten werden meist in netto angegeben (“8-10 Stunden“), seltener auch in brutto (“Nach einem Wochenende ist man durch“). Auf Basis dieser Angabe kann sich dann jeder selbst überlegen, wieviel Geld ihm das Spiel pro Stunde wert ist. Dies wird dann gern mit Kinobesuchen verglichen, und zwar der Luxusversion am Samstagabend mit Riesenpopcorn, Riesen-Cola, 3D-Vorstellung und Überlänge. Auf der anderen Seite werden beim Spiel Wiederspielwert und Verbesserungen durch DLCs für vergleichsweise wenig Geld häufig ignoriert.

Die Spielzeit wird zumeist heiß in Foren diskutiert, häufig gibt es auch vor Release Angaben von den Entwicklern, auf was sich die Spieler so einstellen können. Wie das mit PR-Aussagen immer so ist, kann man für die finale Meinung der Spieler nochmal ein paar Prozent abziehen. Das ist dann ähnlich wie mit den Akkulaufzeiten.

Ihr merkt schon, das ganze ist eine sehr schwammige Angelegenheit, bei der auch mal Äpfel mit Birnen verglichen werden. Da auch jeder Spieler ein anderes Tempo an den Tag legt, kann man ja noch akzeptieren, dass stets von einer Durchschnittszeit die Rede ist. Aber welche Zeitmessung wird überhaupt herangezogen? Viele Spiele haben eine interne Uhr mitlaufen, die man dann häufig vergraben im Pausenmenü findet. Schauen wir nach, was am Ende dort auf dem Tacho steht? Aber was ist, wenn ich an einer Stelle sterbe und zum letzten Checkpoint zurückgesetzt werde? Wird dann auch die Uhrzeit zurückgesetzt? Der erste, misslungene Versuch hat doch schließlich auch Zeit in Anspruch genommen und hoffentlich Spaß gemacht. Hier gibt es vermutlich keinen einheitlichen Standard über alle Spiele hinweg. So ganz traue ich diesen internen Uhren eh nicht:

Als vor vielen Jahren Final Fantasy VII auf dem PC noch ganz aktuell war, habe ich dieses mit großer Freude gespielt. Brav tickte auch eine interne Uhr mit, die zeigte aber gefühlt viel weniger Zeit an als ich tatsächlich mit dem Spiel verbracht hatte. Als ich mal genauer hinsah, fiel mir dann auf, dass nur jede zweite Sekunde gezählt wurde. Das lag wohl einfach daran, dass mein Pentium II mit 233 MHz und ohne 3D-Karte damit ausgelastet war, das Spiel anderweitig halbwegs unfallfrei am Laufen zu erhalten. Nachdem ich dann meine Voodoo I-Karte in der Kiste verbaut hatte, lief auch die Zeit richtig. Solche Anekdoten dürften sich heute ja zumindest bei Konsolen nicht mehr ereignen, trotzdem habe ich immer noch das Gefühl, dass viele Spiele mir weniger Zeit anzeigen als ich tatsächlich gespielt habe. Wenn das anderen auch so geht, bleibt ja eigentlich nur noch, eine Stoppuhr nebenher laufen zu lassen und manuell zu messen. Macht das ernsthaft jemand? Oder wird einfach die vom Spiel gemessene Zeit genommen? Machen wir doch mal die Probe auf’s Exempel.

Ich spiele den ersten DLC von Heavy Rain namens The Taxidermist. Hier gibt es Meinungen, dass diese Episode in 10 bis 20 Minuten durchzuspielen sei. Versuchen wir es doch mal, ich wollte den eh schon längst mal spielen. An dieser Stelle natürlich die übliche Spoilerwarnung, ich versuche aber nichts von der Story selbst verraten.

Zutaten:
* Eine handelsübliche PS3 Slim
* Heavy Rain Chronicles 1: The Taxidermist
* Eine Stoppuhr (iPhone 3G, App “Uhr”)
* Zettel und Stift für Notizen

Regeln:
* Ich spiele die Episode mit meiner handelsüblichen Geschwindigkeit zu einem Happy End
* Points of Interest halte ich mit aktueller Spielzeit in den Notizen fest
* Bevor ich den Stift in die Hand nehme, pausiere ich die Stoppuhr

00:00 – Ich wähle “The Taxidermist” aus dem Hauptmenü von Heavy Rain, Unterpunkt “Extras”
03:58 – Einmal das Haus rundherum abgesucht, bin an der Hintertür, will aber es erst noch durch die Vordertür probieren
06:32 – Vordertür und Hintertür gehen nicht, was nun?
08:11 – Bin im Haus
14:57 – Das Erdgeschoss fertig durchsucht, gehe an anderer Stelle nach draußen
16:49 – Gehe ins Obergeschoss
22:46 – Hui, jetzt wird es gemein
28:13 – Erstes Mal gestorben, mir wird gesagt, dass ich jetzt eines von fünf möglichen Enden gesehen habe
31:04 – Zweites Mal gestorben, viel Trial and Error jetzt
39:17 – Erfolgreich entkommen, zweites Ende gesehen

Ich habe jetzt noch einige Male weiter probiert, um die anderen Enden zu sehen und dabei unterschiedliche Strategien auszuprobieren. Das ganze ist ziemlich cool gemacht, da man die Protagonistin Madison und den Bösewicht ständig im Split-Screen sieht. Ingesamt zeigte meine Uhr 01:20:11 an, in denen ich hervorragend unterhalten wurde. Für einen 3,99 EUR teuren DLC ist das vielleicht kein Weltrekord, aber seriously: 10 bis 20 Minuten?! Das kann man doch nur schaffen, wenn man dank eines Walkthroughs genau weiß, was zu tun ist und dann durchrennt, ohne nach links und rechts zu schauen.

So einen Speedrun legt noch niemand hin, der ein Spiel zum ersten Mal zockt? Es ist jetzt natürlich schwierig, dieses kleine Experiment auf ein Spiel mit voller Länge hoch zu skalieren. Aber immerhin passt hier wieder der Eindruck, dass ich die Spielzeiten, die so gerüchteweise kursieren, immer überschreite. Keine Ahnung, was die anderen falsch anders machen.

Wie ist es mit euch? Sind euch die Angaben von Spielzeiten wichtig? Decken sie sich mit euren Erfahrungen? Und falls nicht, könnt ihr sie zumindest auf eure Spielweise umrechnen?

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