The Surge 2: Größer, besser, aufregender 0

Lords of the Fallen, The Surge und nun »The Surge 2«: Dass sich ausgerechnet ein deutsches Studio mit einem Soulslikedem Trendgenre des letzten Jahrzehnts, am internationalen Markt etabliert, hätte noch vor kurzer Zeit wohl kaum jemand für möglich gehalten. Während Lords of the Fallen bei aller Ambition lediglich eine durchwachsene Kopie von Dark Souls war, hat man es 2017 geschafft, einen Überraschungshit mit eigener Identität zu entwickeln: The Surge war in jeder Hinsicht ausgereifter, ideen- und erfolgreicher als sein Vorgänger im Geiste. Daher durfte Deck 13 mit »The Surge 2« gleich einen Nachfolger mit größerem Umfang entwickeln – und das hat sich gelohnt. 

Im Zentrum steht der Kampf 

Neben dem Transfer der Soulsformel in ein Science-Fiction Szenario waren der eigentliche Twist von The Surge die richtungsabhängigen Angriffe, mit denen man gezielt einzelne Körperteile von Gegnern abschlagen konnte. In »The Surge 2« folgt mit direktionalen Paraden die konsequente Evolution dieser Idee: Auch gegnerische Angriffe erfolgen nun aus verschiedenen Richtungen und können mit dem richtigen Timing pariert werden. Gelingt das Manöver, strauchelt der Gegner und gibt einem die Möglichkeit zu kontern. 

Wie in einem Soulslike üblich, kann man gegnerische Angriffe aber auch schlicht blocken oder ihnen ausweichen. Während Blocken Ausdauer kostet, eröffnet das Ausweichen manchmal Möglichkeiten, sich zu besser zu positionieren, kann aber auch dafür sorgen, dass man sich zu weit vom Gegner entfernt, um einen Gegenangriff zu starten. Daher bietet »The Surge 2«, ähnlich wie bei der Wahl zwischen Blocken und Parieren, auch beim Ausweichen die Wahl für risikoreiche Alternativen: Flache Angriffe können übersprungen werden, unter hohen Angriffen duckt man sich weg. So bleibt man am Gegner und kann augenblicklich zurückschlagen. Doch wie schon beim Parieren besteht auch hier die Gefahr, den gegnerischen Angriff falsch zu lesen, das Timing zu verpassen – und schon wird aus einem eleganten Ausweichmanöver eine volle Breitseite, die einem die Hälfte der Lebensenergie raubt.

Risk-versus-Reward

Und hier muss man vor Deck 13 einfach mal den Hut ziehen: Was kompliziert klingt, erweist sich mit dem Gamepad in der Hand schnell als extrem spaßiges Nahkampfsystem, welches hohe Kampfdynamik und motivierende Risk-versusReward-Mechaniken mit angenehmer Kontrollierbarkeit kombiniert. Greift man ungepanzerte Körperteile an, um den Gegner schneller zu besiegen, oder schlägt man gezielt auf gepanzerte Körperstellen, um die dort getragene Ausrüstung für sich selbst zu erobern? Blockt man einen gegnerischen Angriff auf Kosten der Ausdauer oder probiert man die Parade, auch auf die Gefahr hin, bei falschem Timing den kompletten Schaden einzustecken? Weicht man weiträumig aus oder bleibt man am Gegner und riskiert den Treffer? 

Obwohl »The Surge 2« so viele Optionen und Reaktionsmöglichkeiten in den Gefechten bietet, hat Deck 13 das Kampfsystem perfekt balanciert und gestrafft, so dass man niemals von all den Möglichkeiten überfordert ist. Die Reaktionszeiträume sind kurz, aber nicht zu kurz, die eigene Figur reagiert direkt, aber nicht zu sensibel, die Zeiträume für Angriffe und Gegenangriffe sind gut abschätzbar, ohne jedoch die Herausforderung zu nehmen. Hier wirkt alles schlicht “richtig”. 

Hinzu kommt ein tolles Feedback und eine belohnende Inszenierung: Angriffe besitzen Wucht, Körperteile werden in Zeitlupe abgetrennt, Soundeffekte weisen auf eine leere Ausdauerleiste oder sich abbauende Energie (eine sich im Kampf aufbauende Ressource, die z.B. für Heilung genutzt wird) hin. Damit hat Deck 13 im Grunde schon alles richtig gemacht: Der Kampf ist zentral in einem Soulslike und »The Surge 2« hat ein brillantes Kampfsystem. Die Gefechte machen von der ersten bis zur letzten Minute Spaß, der Rest ist im Grunde zweitrangig, denn allein der Nervenkitzel der nächsten Auseinandersetzung hält einen im Spiel. 

In den Eingeweiden

Tatsächlich hat »The Surge 2« aber noch weitere Stärken. Mit der für das Genre üblichen, labyrinthischen Welt haben es Deck 13 dabei sogar beinahe übertrieben: Die Menge an Abkürzungen, Abzweigungen, Höhenstufen und Schleichwegen ist überwältigend, man kann sich keine zehn Meter bewegen, ohne in den weitläufigen Eingeweiden der Spielwelt die Orientierung zu verlieren. Plötzlich läuft man unter Brücken hindurch, die man vorhin noch überquert hat, guckt von oben auf bekannte Levelabschnitte, findet Abstiege in stockfinstere Gewölbe oder tritt durch eine Tür, nur um verblüfft festzustellen, dass man wieder dort ist, wo man vor dreißig Minuten losgelaufen ist. 

Selbst kleinere Metroidvania-Elemente gibt es in »The Surge 2«: So verlaufen Zip-Lines durch die Spielwelt, mit der man sich schnell zwischen verschiedenen Orten bewegen kann oder mit denen neue Abschnitte erst erreichbar werden. Um diese zu verwenden, benötigt man jedoch zunächst den passenden Haken, der irgendwo in der Spielwelt versteckt ist. Oder man findet immer wieder Türen, die sich nur mit der passenden Begleitdrohne öffnen lassen – auch diese muss man erst im Labyrinth auftreiben, solange bleiben die Tore verschlossen. 

Dem Gegner abgenommen

Neben Kampf und Erforschung der Level motiviert auch die Ausrüstungsjagd: Entdeckt man an einem Gegner eine neue Waffe oder einen unbekannten Rüstungstyp, wird der Sammeltrieb geweckt und man probiert – koste es, was es wolle – dem Gegner die begehrten Teile abzunehmen. So hat man bereits nach kurzer Zeit futuristische Gegenstücke vieler bekannter Waffengattungen im Inventar, wie Einhandschwerter, Speere oder Zweihandstreitkolben. Aber auch kreative Waffengattungen existieren, wie eine schwere Axt, die sich auf Wunsch in zwei leichte Waffen aufteilt oder einer Waffe, die einen an einer Hand mit einer Kreissäge und an der anderen mit einem mechanischen Greifarm ausstattet. Viel Auswahl gibt es auch bei den Rüstungssets: Diese bestehen aus jeweils sechs Teilen und bieten spezielle Boni bei drei bzw. sechs getragenen Teilen des selben Sets. So lassen sich spannende Kombinationen ausprobieren und die Ausrüstung dem eigenen Spielstil oder den Erfordernissen des nächsten Hindernisses anpassen.

Das Beutesystem funktioniert auch deshalb so gut, weil es sich natürlich in das Gameplay einfügt. Die Gegner lassen nicht zufällig Teile fallen, man muss sie sich erspielen – so motiviert zwar die Aussicht auf Beute, gleichzeitig fühlt sich »The Surge 2 «aber nicht wie ein Glücksspielautomat an, bei dem es nur um den Gewinn geht. Die Motivation ist immer zunächst der Kampf selbst und erst an zweiter Stelle der mögliche Loot.  

Handlung und Fazit

Die Handlung hingegen und insbesondere Dialoge und Audiologs sind bei aller Begeisterung jedoch – Sorry! – grauenhaft. Bereits nach wenigen Minuten zeigt eine Videoübertragung, was vom Spiel zu erwarten ist: »The Surge 2« bietet plumpe Exposition, es hat Charaktere, die einem zur Begrüßung ihre Lebensgeschichte erzählen, unpassende und unlustige Humoreinlagen und auch sonst begeht das Writing jeden nur denkbaren Fehler, den man aus 40 Jahren Videospielgeschichte gewohnt ist. So behauptet das Spiel etwa, in der erst seit kurzer Zeit verwüsteten Spielwelt hätte sich ein religiöser Technokult entwickelt – und natürlich gibt es auch bereits Apostaten, welche sich unironisch wieder vom Glauben abgewandt haben…  

Auswirkungen auf den Spielspaß hat das jedoch nicht. Es geht bei dieser Sorte Spiel nicht primär um Story und Lore, sondern um das Gameplay. Auch wenn es einen beim Anhören der Dialoge schüttelt, bereits an der nächsten Weggabelung ist alles wieder vergessen und man konzentriert sich auf die Kernkompetenzen von »The Surge 2«: Das exzellente Kampfsystem, die Erkundung der Welt und die Aussicht auf spannende neue Bauteile für die eigene Rüstung. »The Surge 2« ist mehr als nur ein guter Nachfolger: Es ist der logische nächste Schritt für die Serie und Beleg für die Weiterentwicklung eines der derzeit aufregendsten deutschen Studios.

Offenlegung: The Surge 2 wurde uns vom Entwickler zur Verfügung gestellt.

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Sebastian spielt auf der Playstation 4 samt PSVR und der Nintendo Switch aktuelle Blockbuster und Indies.

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