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State of Mind und der Plot als MacGuffin

MacGuffin ist ein Begriff aus dem Film und bezeichnet Objekte oder Personen, die eine Handlung vorantreiben, ohne dabei für die Handlung selber relevant zu sein. Eines der bekanntesten Beispiele dürfte der Koffer aus Pulp Fiction sein und auch Luke Skywalker zählt in Star Wars Episode VII: Das Erwachen der Macht als MacGuffin. Für mich zählt der Plot von »State of Mind« ebenfalls dazu, denn die eigentliche Erzählung ist eine andere.

MacGuffin in Film und Serie

Vordergründig erzählt das Spiel eine für das Cyberpunk-Genre recht konventionelle Geschichte: Es gibt den bösen Konzern, den größenwahnsinnigen Wissenschaftler, Augmentierungen und Transhumanismus, Cyborgs als Teil der Gesellschaft sowie den Protagonisten, der die große Verschwörung entdeckt. Die Handlung ist nicht allzu überraschend, die Spannung entsteht vor allem durch die fragmentarische Erzählung, denn ähnlich wie beispielsweise der Film Following von Christopher Nolan offenbart »State of Mind« seine Geschichte nicht linear, sondern springt in der Zeit immer wieder vor und zurück – das Interessante entsteht dadurch vor allem darin, dieses Puzzle richtig zusammenzusetzen.

Die Handlung von Inception kann als MacGuffin gelesen werden

Ähnlich wie in LOST oder Inception halte ich den Plot von »State of Mind« außerdem lediglich für ein Vehikel, um eine Geschichte über das Schicksal der Protagonistinnen und Protagonisten zu erzählen. So fungiert das Mysterium der Insel in LOST als Vehikel, um die Charakterentwicklung der einzelnen Charaktere wie Kate oder Sawyer zu erzählen und wie diese sich als Gruppe zusammenfinden und entfalten. Der Aufbau mit unterschiedlichen Traumebenen und das Einpflanzen von Gedanken in Inception ist wiederum Vehikel dafür, Dom Cobbs Geschichte zu erzählen. Im Verlauf der Handlung verarbeitet er den Verlust seiner Ehefrau und überwindet die innere Blockade, die ihn von seinen Kindern trennt.

State of MacGuffin und das Leib-Seele-Problem

»State of Mind« funktioniert für mich ähnlich: Die Geschichte rund um Augmentierung, Roboter und Transhumanismus sind für mich nur ein Medium, um der Charakterstudie und Charakterentwicklung des Protagonisten Richard Nolan einen Rahmen zu geben. Dass sie in Bruchstücken erzählt wird ist für mich in der Hinsicht eine große Stärke: Weil es keine lineare Entwicklung gibt, kenne ich zu unterschiedlichen Zeitpunkten unterschiedliche Puzzlestücke und verbringe viel Zeit damit, die Lücken selbst zu füllen und mir ein Bild von Richard und seinem moralischen Kompass zu machen. Der narrative Fokus der meisten Fragmente dreht sich um die Frage, wie er durch seine Handlungen zu dem Mensch geworden ist, der er ist und wie er sich ausgehend davon weiterentwickelt. Die Tatsache, dass die Auflösung des vordergründigen Konfliktes im letzten Akt abseits der Kamera und ohne Zutun von Richard passiert ist nur konsequent und betont den Fokus der Erzählung auf ihn.

State of Mind fokussiert sich auf die Charakterentwicklung von Richard Nolan

Anders als viele andere Protagonisten und Protagonistinnen in Videospielen ist Richard außerdem kein polierter Held, sondern ein Mensch mit all seinen Makeln und Problemen und damit für mich greifbarer. Viel zu oft sind für mich die kaputten Charaktere nur die Antagonisten, umso mehr interessieren mich deshalb Spiele wie State of Mind, Hellblade oder Max Payne, die mich unterschiedliche Facetten der menschliche Psyche erleben lassen. Eingebettet in die Handlung rund um die künstliche Stadt City5 entsteht zudem eine interessante Polarität, denn die makellose Stadt ist das genaue Gegenteil vom Protagonisten.

City5 ist mit seiner Makellosigkeit das genaue Gegenteil von Richard

Die Annäherung dieser beiden Pole im Verlauf des Spiels thematisiert das klassische Leib-Seele-Problem der Psychologie, sowie die damit zusammenhängende Frage, was es bedeutet Mensch zu sein. Durch ähnliche erzählerische Mittel wie SOMA wirft das Spiel die Frage auf, ob man noch man selber bleibt, wenn man den Geist kopiert und somit Leib und Seele voneinander trennt. Bereits vor Jahren hat sich der Neurowissenschaftler Gulio Tonini in seinem philosophischen Werk „Phi: A Voyage from the Brain to the Soul“ damit auseinandergesetzt: „With all these copies I may be well insured, but won’t the value of each copy diminish in proportion? If my own shape – that of my consciousness – is replicated, if a thousand Galileos can be produced identical to me, like hordes of Chinese warriors, then yes, I would be immortal, but I would not be precious, and not unique”.

Eine Entwicklung Richards ist es, sich damit auseinanderzusetzen, was Menschsein für ihn bedeutet und was ihm wichtig ist im Leben. Der Plot mit City5 im Mittelpunkt ist dabei das Mittel, um das Leib-Seele-Probleme aufzuspannen und Richard dadurch eine persönliche Reifung zu ermöglichen. Er wird zur Nebensache, zum MacGuffin.

Transparenz-Hinweis: »State of Mind« wurde uns von Daedalic kostenlos zur Verfügung gestellt.

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