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Review: Viel Spaß in Italien mit Sniper Elite 4

Sniper Elite 4 Review

Mein kleines Motorboot, das ich durch die Wellen steuere, schaukelt in der Sonne. An einem kleinen Strand in der Nähe eines Dorfes hüpfe ich an Land. Ich laufe den Strand entlang, vorbei an alten Fischernetzen, an halb im Sand vergrabenen Kisten und Fässern und nähere mich langsam einer Hafenmauer. Bunte Häuser reihen sich an einer malerischen Bucht, Möwen kreisen über dem Wasser. In der Ferne sehe ich einen Leuchtturm. Alles sieht nach einem einladenden Urlaubsort aus … wären da nicht die Soldaten, die die Straßen entlangschlendern und die schwer bewachten Panzerfahrzeuge und Zeltlager. Meine Aufgabe: Wichtige Unterlagen in Sicherheit bringen und wenn möglich, drei feindliche Geschütze zerstören.

Ich schleiche geduckt um eine Ecke und inspiziere mit meinem Fernglas die Gegend. Hinter einer Mauer rappelt ein kleiner Generator. Mit einem gekonnten Tritt habe ich ihn sabotiert und das laut knallende Aggregat übertönt jetzt meine Schüsse, die ich gezielt auf die Soldaten auf der anderen Seite des Hafens abgebe. Wie aufgescheuchte Hühner rennen sie von Deckung zu Deckung, was ihnen aber nicht viel nützt. Zwei Minuten später rührt sich keiner mehr und ich kann unbehelligt meinen Weg fortsetzen.

Willkommen in Italien

Ich bin wieder einmal mir Karl Fairburne unterwegs. »Sniper Elite 3« mit allen seinen DLCs hatte ich ja vor über zwei Jahren mit großer Begeisterung gespielt. Als Wüstenfan fand ich das damalige Setting einfach genial, obwohl da die Meinungen sehr auseinander gingen. Die Geschmäcker sind eben verschieden. Nun befinde ich mich mit »Sniper Elite 4« in Italien. Wir schreiben das Jahr 1943. Der zweite Weltkrieg tobt und an der Seite der Partisanen versucht Karl, die Machenschaften der Nazis zu stoppen. Klingt erst einmal spannend, wer allerdings eine tiefgehende Story erwartet, der wird ziemlich enttäuscht werden.

Obwohl Karl nun in längere Dialoge verwickelt wird und dadurch auch manchmal interessante Nebenmissionen freigeschaltet werden, geht nichts wirklich in die Tiefe. Muss es meiner Meinung aber auch nicht. Auch einige NPCs, wie z.B. Sophia, eine Anführerin der Separatisten, gibt ein paar Informationen aus ihrer Vergangenheit preis, aber auch hier bleibt die Figur relativ flach. Karl ist nach wie vor der einsame Wolf, der mit tödlicher Gewissenhaftigkeit seine Aufträge ausführt.

Da ich mir ausschweifende Hintergrundstories sowieso meist kaum merken kann und da immer etwas überfordert bin, stört mich das auch nicht. Aber vielleicht erwartet sich da der eine oder andere doch etwas mehr und ist etwas enttäuscht.

Lautloses Schleichen durch die Missionen

Hat »Sniper Elite 4« nun gegenüber seinem Vorgänger einen Sprung nach vorne gemacht? Ja, ich glaube schon. Während die vorherigen Teile teilweise noch heftige Feuergefechte als integralen Bestandteil aufwiesen, wurde in »Sniper Elite 4« darauf ganz verzichtet. Zwar kann ich mich auch mit brachialer Gewalt durch die Missionen ballern, aber damit spielt man an der Zielsetzung dieses Spiels vorbei, wie ich meine.

»Sniper Elite 4« ist wirklich auf eine leise und verdeckte Vorgehensweise ausgelegt. Schon alleine wegen der schieren Anzahl der Kontrahenten ist dies meist sinnvoll. Aber obwohl viele Stealth-Elemente vorhanden sind, steht ganz klar das Ausknipsen der Gegner ganz oben in der Prioritätenliste und ist teilweise sogar als Primärziel vorgegeben. Ohne Todesopfer geht es nicht und das macht das Spiel gleich am Anfang schon klar. Das zeigen auch die Sammelgegenstände, wie Abschiedsbriefe oder Dienstpläne, an die ich nur gelange, wenn ich die Person, die sie bei sich tragen, ausschalte und durchsuche.

Auch die KI der Gegner hat gefühlt zugenommen. Leiseste Geräusche führen dazu, dass eine Suchaktion gestartet wird. Erhärtet sich der Verdacht, dass ein Fremder umherschleicht, werden ganz schnell die Kameraden alarmiert. Auch wenn ich denke, dass eine Suchaktion jetzt endlich vorbei ist, gibt es oft immer noch mal einen ganz Misstrauischen, der doch noch einmal genauer nachsieht. Man sollte sich also nicht zu schnell in Sicherheit wiegen.

Die verborgene Vorgehensweise wird jetzt allerdings mit neuen Features unterstützt. Beispielsweise kann ich mich jetzt in Gebüschen verstecken und daraus ahnungslos vorbeilaufende Zeitgenossen anspringen und gleich lautlos ausschalten. Und wenn Kontrahenten nicht freiwillig näher kommen, dann werden sie kurzerhand durch leises Pfeifen angelockt. Sehr praktisch. Das Ganze erinnert mich etwas an Assassin’s Creed, wo ich in Heuhaufen verborgen auf meine Opfer gewartet habe.

Überhaupt war der Nahkampf in »Sniper Elite 4« für mich das Mittel der Wahl. Denn wie bereits in den vorherigen Teilen konnten Geräuschquellen meine Schüsse übertönen und damit meinen Standort verbergen, aber gefühlt gab es von diesen Geräuschquellen erheblich weniger als in den vorherigen Teilen, weswegen ich meine Taktik etwas geändert habe. Heimliches Fallenstellen, Manipulieren von Generatoren oder das Auslegen von Minen sorgen immer für den einen oder anderen Kill, auch wenn ich ein Gebiet schon lange verlassen habe. Gute Vorbereitung ist auch hier wieder alles.

Als neues Feature wurde Karl übrigens ein Skilltree verpasst. Hier hatte ich schon mit dem Schlimmsten gerechnet. Ich weiß nicht, warum immer auf Biegen und Brechen versucht wird, in jedem Spiel so etwas unterzubringen. Weil es alle haben? Ich bin ja kein Rollenspielfan, habe aber gegen ein Aufleveln meines Charakters nichts, soweit es überschaubar bleibt und wirklich sinnvoll ist. Aber hier werden nur kleinere Veränderungen freigeschaltet, von deren Anwesenheit ich so gut wie nichts bemerkt habe. Das hätte man sich meiner Meinung nach ganz sparen können.

Nützliches Waffenarsenal

Das Markenzeichen der Serie, die Killcam, bei der ich zugegebenermaßen auch nach dem 20. Kill immer noch fasziniert auf die Szenerie starre, zeigt jetzt nicht nur splitternde Knochen und platzende Eingeweide bei Treffern (sorry, ist aber wirklich so) aus meinem Sniper-Rifle, auch vor Melee-Opfern wird nicht mehr Halt gemacht. Der Weg meiner Messerklinge wird da akribisch verfolgt und ich sitze wieder einmal mit meinem WTF-Gesicht und aufgerissenen Augen vor dem Monitor.

Das Waffenarsenal ist groß, aber nicht unübersichtlich. Allerdings unterscheiden sich die Waffen jetzt nicht eklatant voneinander, weswegen ich beim Scharfschützengewehr auch meist bei der Springfield geblieben bin, di mir standardmäßig zur Verfügung steht. Zusätzliche Verbesserungen konnte ich zwar erspielen, die haben mir aber auch nicht wirklich gefehlt. Ein besseres Zoom wäre allerdings manchmal hilfreich gewesen, es ging aber auch ohne. Schön ist übrigens auch, dass man nun die Flugkurve des Geschosses mit einberechnen musste. Je nach Entfernung des Ziels gilt es hier jetzt, sein Gewehr genau zu justieren. Eine kleine zusätzliche Herausforderung.

Mein Gewehr und auch die Pistole kann ich mit „Ultraschallmunition“ ausrüsten. Ich bin mir nicht sicher, ob das in den Vorgängern auch schon möglich war. Damit hören die Gegner zwar meine Schüsse, können aber nicht orten von woher sie kommen. Diese Munition habe ich allerdings nicht gleich am Anfang einer Mission zur Verfügung, sondern finde die immer im Laufe der Zeit. Überhaupt finde ich sehr viel an Ausrüstung, weswegen ich mir am Start einer Mission auch keine Gedanken darüber mache, was ich alles einpacken könnte. Da wird der Standard so belassen und fertig. Das mag vielleicht an meinem gewählten mittleren Schwierigkeitsgrad liegen, aber um Munition oder etwas durchschlagendere Waffen, wie z.B. eine Panzerfaust, musste ich mir eigentlich nie Sorgen machen. Mit der Zeit findet sich alles. Allerdings nehme ich mir auch diese Zeit. Ich erkunde ziemlich viel und lange die Gegend und umherstehende Gebäude. Ich habe gelesen, dass man für eine Mission gut 40 Minuten braucht. Natürlich geht das. Bei meiner Vorgehensweise brauche ich allerdings 2-3 Mal so lange und ich finde, dass viel an Spielspaß verloren geht, wenn man hier einfach durchhetzt. Es wird so viel für’s Auge geboten, kleine Nebenmissionen wollen entdeckt und Sammelbares zumindest teilweise eingesackt werden.

Übrigens habe ich erst am Ende des Spiels festgestellt, dass ich mit Abschluss der Missionen auch Geld verdient habe und ich davon neue Waffen hätte kaufen können. Aber wie schon erwähnt, habe ich auch mit dem Standardarsenal nichts vermisst.

Wunderbare Spielumgebung

Was sich grundlegend verändert hat, sind die verschiedenen Missionsgebiete. Wo in Sniper Elite 2 ein zerbombtes Berlin die Hauptkulisse war und in Sniper Elite 3 zwar sehr unterschiedliche aber doch wüstenorientierte Spielgebiete vorherrschten, ist jetzt alles bunt und abwechslungsreich geworden.

Es wurde versucht, die unterschiedlichsten Umgebungen Italiens einzubinden, was meiner Meinung nach wunderbar gelungen ist. Hier ein kleines Dorf am Meer, dort eine riesige Eisenbahnbrücke in einer bewaldeten Gebirgsregion, da ein schwer befestigter Hafen oder eine ländliche Idylle mit Obstbäumen und Weinreben, optisch ist Sniper Elite 4 jedenfalls ein Genuss. Wer hier einfach nur zum Primärziel sprintet, verpasst einfach viel zu viel.

Felsige Berge mit engen Pfaden, dunkle Höhlen oder sonnendurchflutete Schluchten sowie zahlreiche Gebäude mit einigen Stockwerken oder verwinkelten Kellern bieten viel Abwechslung und die Möglichkeit mich auf verschiedenen Ebenen durch das Missionsgebiet zu bewegen. Hier heißt es dann, die Umgebung genau auszukundschaften, wo sich strategisch günstige Positionen befinden, um den Feind unbemerkt ausschalten zu können. Das kommt meinem Entdeckerfieber wieder sehr entgegen und ich freue mich immer wieder wie ein Schnitzel, wenn ich ein paar Gegenspielern dadurch erfolgreich in den Rücken fallen kann.

Kleine Nebenmissionen versüßen die Arbeit

Am Beginn jeder Mission kann ich mit verschiedenen NPCs reden, die dann manchmal interessante Nebenmissionen bereithalten. Und ich muss zugeben, dass ich die gerne angenommen habe. Damit konnte ich noch ein paar unentdeckte Bereiche der jeweiligen Missionskarten abgrasen und hatte noch ein paar Stunden mehr Spielspaß.

Nebenmissionen finden sich aber auch unterwegs. Hier entdecke ich ein geheimes Munitionslager, das vernichtet werden muss, dort lese ich eine geheime Depesche, die mich zwingt, eine neue Zielperson auszuschalten … es gibt viel zu tun.

Sammelgegenstände gibt es natürlich auch. Briefe oder andere Dokumente können da zum Beispiel gehortet werden. Das nehme ich zwar immer gerne mit, habe aber nicht den Ehrgeiz alles zu finden. 80%-90% reichen mir völlig.

Leider gibt es die Weitschüsse aus »Sniper Elite 3« nicht mehr. Dafür können jetzt Steinadler abgeschossen werden, die teilweise wirklich gut versteckt sind. Das ist eine Herausforderung, die ich gerne annehme und dafür einige Wege mehrfach ablaufe.

Bei weiteren Spieldurchgängen stehen dann zusätzliche Ziele und Herausforderungen bereit, die interessante Variationen bieten. Der Wiederspielwert ist somit auf jeden Fall gegeben. Ich kann mir dabei dann auch bestimmte Missionen immer wieder gezielt auswählen und neu probieren.

Mein Fazit

Wirklich große Änderungen gab es in »Sniper Elite 4« nicht. Aber die vielen Kleinigkeiten haben doch dazu geführt, dass das Spiel sich schöner und erfrischend neu anfühlt. Wer es mag, mitten im Kugelhagel zu stehen, der ist hier wahrscheinlich falsch aufgehoben. Wen aber eine detailreiche Umgebung, ein wenig taktisches Geschick und eine verborgene Vorgehensweise interessieren, der wird mit »Sniper Elite 4« sicher seinen Spaß haben.

Allerdings, und ich wundere mich jetzt selbst über meine Aussage, finde ich »Sniper Elite 4« etwas weichgespült. Der Schwierigkeitsgrad scheint mir etwas gesunken zu sein. Nicht, dass ich nicht gestorben wäre, aber es gab kaum Situationen, in denen ich wirklich in Bedrängnis kam und ich wirklich gefordert wurde. Vielleicht schaue ich mir einzelne Missionen deshalb noch einmal mit einem höheren Schwierigkeitsgrad an.

Trotzdem habe ich mich jedenfalls gerne über 20 Stunden mit Karl Fairburne durch die Landschaft Italiens geschlichen und war dabei keine Sekunde gelangweilt. Wahrscheinlich geht das auch viel schneller, aber dann hätte ich wirklich den Eindruck, etwas verpasst zu haben.

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