Wir stehen auf einem kleinen Hügel. Hinter uns das Meer, vor uns eine bezaubernde Gebirgskette, um uns herum wiegen sich sanft Kirchblüten im Wind. Wir müssen uns im idyllischen Japan befinden. Doch zoomt man einmal hinaus, ergibt sich plötzlich ein völlig anderes Bild. Ihr findet euch wieder, umringt von Elite Soldaten, eurer Leibwache und am Fuße des Hügels donnern gerade Hunderte Samurai ineinander, die Erde bebt, der Stahl scheppert.
Wir befinden uns also in einer Zeit vor Mangas, Nintendo und gebrauchten Schlüpfern in Automaten. Das feudale Japan des 16. Jahrhunderts, genauer gesagt die Sengoku-Periode. Zeit der Bürgerkriege. Eine Zeit wie geschaffen, um sich vom kleinen Provinz-General, der sich Daimyô nennt, bis zum Shogun, dem militärischen Herrscher über das ganze japanische Archipel, aufzuschwingen.
Die Entwickler dahinter heißen Creative Assembly, sitzen in Großbritannien und haben eine unstillbare Gier nach Details. Aber fangen wir vorne an. TOTAL WAR: SHOGUN 2 ist der Nachfolger zu Shogun Total War. Im Jahre 2000 warfen die britischen Entwickler diesen Strategie-Brocken auf den Markt. Ursprünglich wollten sie nicht einmal ein Echtzeit-Strategie-Spiel entwickeln. Fühlten sich dann aber von dem Erfolg Command & Conquers herausgefordert. Shogun bestach durch eine rundenbasierte Kampagne, auf der ihr Provinzen verwaltet, Gebäude erbaut, Truppen zusammenstellt und zu guter Letzt auch noch diplomatisch mit anderen Clans interagiert. Hat dann alle Diplomatie versagt, stürzte man sich in ein brachiales Gefecht und hier liegt eindeutig die Stärke der Total War-Reihe. Nach einer Ladezeit findet man sich auf einem dreidimensionalen Schlachtfeld wieder. Stellt die Truppen auf, die ihr zuvor auf der Kampagnenkarte erstellt habt, und messt eure Kräfte schließlich in Echtzeit mit eurem Gegner. An diesem Prinzip hat sich in elf Jahren nichts verändert. Nach Abstechern in das feudale Europa, das antike Rom, zurück ins feudale Europa, die Zeit Kolonialisierung und die Kriege Napoleons ist die Serie nun wieder zu ihren Wurzeln zurückgekehrt.
Eins gleich vornweg. Ich bin ein großer Fan seit Shogun Total War und die Serie hat mich mit ihren Ablegern Empire und Napoleon, die oben beschriebenen “kolonialen” Spiele, sehr enttäuscht. Das Schießpulver hat alle Dynamik aus den Schlachten genommen und Regimenter Musketiere in die Schlacht zu führen, war mir sehr zuwider. Umso glücklicher war ich mit der Ankündigung, dass Speere, Schwerter und Pfeile endlich wieder Einzug halten.
Die Optik ist atemberaubend schön. Die Jahreszeiten auf der frei zoom- und drehbaren dreidimensionalen Kampagnen-Karte wechseln jede Runde und haben natürlich auch Einfluss auf Wirtschaft und die Schlachten selbst. So habt ihr regelmäßig die Aussicht auf ein Meer an Kirschblüten, auch während der Schlachten. Die Details der Einheiten sind enorm und wenn man während der Schlacht auf ein, zwei Meter an das Kampfgeschehen heranzoomt, dann erkennt man auch die per Motion-Capture aufgenommene Kampfanimationen der Soldaten. Das Interface ist in traditioneller japanischer Kunst gehalten, rundet den optischen Gesamteindruck somit wunderbar ab. Die Krönung ist aber meiner Meinung nach die musikalische Untermalung. Ein traditionelles japanisches Orchester hat zig Stücke aufgenommen, die einem situationsabhängig sanft oder bedrohlich um das Ohr schleichen.
Der Einzelspieler bietet neun verschiedene Clans und fünf Schwierigkeiten, um einen Strategie-Fan Stunde um Stunde mit der Eroberung Japans zu beschäftigen. Rundum gelungen, mit wichtigen Verbesserungen vor allem in der extrem fordernden KI, hat man mit dem Einzelspieler sicherlich Total War-typisch eine Menge Freude. Am meisten überrascht hat mich jedoch der komplett überarbeitete Multiplayer-Modus.
Es ist möglich, benutzerdefinierte Schlachten online oder im LAN gegen Freunde oder Fremde zu bestreiten. Neu dabei ist, dass diese Schlachten in ein Online-Turniersystem eingebettet wurden. Ihr schließt euch per Steamgruppe einem Clan an und versucht dann als Clan die Vorherrschaft über Japan zu erlangen. Nach 14 Tagen steigen erfolgreiche Clans eine Liga auf und vom Misserfolg gebeutelte Clans steigen ab und das Turnier startet in eine neue 14-tägige Runde. Ziel ist es hier, Siege in verschiedenen Provinzen zu erlangen. Dies generiert Punkte für den Clan – und hat ein Clan die meisten Punkte in dieser Provinz, dann gehört sie ihm. Jede Provinz bietet dann auch noch Vorteile für die eigene Armee, es sollte also wohl überlegt sein, welche Provinz man als Nächstes erobert. Besonders kampferprobte Soldaten sammeln Erfahrung und steigen zu Veteranen auf, die man allerdings, sollten sie einmal in der Schlacht verletzt worden sein, nicht sofort wieder in der nächsten Schlacht zum Einsatz bringen kann. Errungenschaften aus dem Einzel- und aus dem Mehrspieler-Modus schalten dann auch noch weitere Boni für eure Armee und Flotte frei. Die Möglichkeiten für die eigene Taktik sind enorm. Euer Avatar kann von euch freigestaltet werden. Außerdem kann er noch eine Schar an Gefolge mit sich führen, die wieder verschiedene Boni verleihen. Vor jeder Schlacht stellt ihr euch dann aus euren Soldaten eure Armee zusammen und sucht noch das passende Gefolge zur Abrundung heraus. Mein erster Eindruck nach 14 Tagen Mehrspieler ist, dass Creative Assembly hier ein sehr motivierendes System aufgebaut hat, das irrsinnig viel Spaß bringt und durch viele Customizations sehr individuell gestaltbar ist.
Shogun 2: Total War (PC)
Entwickler: Creative Assembly
Publisher: Sega
Erscheinungsdatum: bereits erschienen
USK-Einstufung: ab 12 freigegebenShogun 2: Total War für PC kaufen.
Creative Assembly hat solide Arbeit abgeliefert, endlich eine wirklich schlaue und fordernde KI programmiert und einen sehr guten Mehrspielermodus erschaffen. Das Fazit sollte also lauten: Wem ein feudales Setting gefällt, wer mit japanischer Ästhetik etwas anfangen kann und strategische Komplexität sucht, der sollte sich das PC-exklusive TOTAL WAR: SHOGUN 2 nicht entgehen lassen.
Gastautor Sebastian Röhrig
Sebastian startete seine Videospiel-Karriere am NES seines Onkels. Ein eigener Gameboy und SNES folgten dann auch recht schnell. Als Nintendo-Kind blieb es dann aber bei einer Wii und so fristet Sebastian heute sein Dasein als PC-Spieler und erinnert sich an bessere Zeiten ohne Xbox-exklusive Titel.