Es kommt nicht oft vor, dass sich Dominik und Sebastian einig sind, was Spiele angeht. Bei »Rage 2« sind wir es uns allerdings: Der Open World Shooter überzeugt erst mit grandiosem Shooter-Gameplay, macht dann aber mit einer generischen Spielstruktur wieder alle positiven Eindrücke zunichte. Zusätzlich begegnen beide unterschiedlichen Abturnern: Dominik ärgert sich über die technischen Probleme am PC und Sebastian langweilt sich bei Leveldesign aus der Retorte. Es folgen zwei Meinungen einer Hassliebe.
Rage 2 – Der gute Teil
Was sich letztes Jahr bereits auf der Gamescom abgezeichnet hat, wurde dieses Jahr bestätigt: »Rage 2« ist für mich einer der besten Shooter der letzten Jahre – selten habe ich ein Spiel gespielt, das sich in seiner Shootermechanik so gut anfühlt. Jede Waffe hat Wucht, jeder Schuss knallt: das Trefferfeedback ist wirklich hervorragend. Totenköpfe über dem Fadenkreuz, zerspringende Rüstungen und durch die Gegend fliegende Schergen – »Rage 2« spricht eine klare Sprache und dadurch weiß ich immer, was Sache ist, ob der Gegner noch lebt und wie lange ich noch draufhalten muss.
Die eigene Spielfigur hat spürbar Gewicht, dadurch kann ich sie unfassbar gut steuern. Erst Recht, weil die Steuerung eine fast schon makellose Flüssigkeit besitzt und durch zusätzliche Fähigkeiten, wie Doppelsprung oder einem Faustschlag auf den Boden, der mehrere Feinde erfasst (Slam), eine sehr angenehme Variabilität aufweist. Mit besagtem Doppelsprung vor die Gerade-Raketenwerfer-beladende Widersacherin springen und sie in der Luft mit der Schrotflinte wegzuballern – das macht richtig Laune.
Weil auch die Gegner klettern, springen und mit Baseballschlägern Granaten in meine Richtung schlagen, besitzen die Gefechte außerdem eine anregende Dynamik, sodass ich ständig in Bewegung bleibe, Fässer anvisiere, Granaten ausweiche, Raketen ausweiche – und die nächste Salve auf den Keith Flint (RIP) Gedächtnis-Goon loslasse, serviert aus der besten Schrotflinte der Shooter-Geschichte. Das dreckige Sounddesign, allem voran der Soundtrack, tun ihr übriges und ich will gar nicht mehr aufhören dieses Spiel zu spielen, so unfuckingfassbar gut finde ich diesen Shooter.
Rage 2 – Der schlechte Teil
Was sich letztes Jahr noch nicht auf der Gamescom abgezeichnet hat, vermiest mir gehörig den Schieß-Spaß: Alles außer dem Shooter-Teil in »Rage 2« ist maximal generischer Fluff, der sich laufend und sich nach Copy & Paste anfühlt – die Open World ist leer und öde. Ja, ich fahre zwar immer wieder an Bandenkämpfen, Banditenlagern oder feindlichen Geschütztürmen vorbei, aber ich bin eben auch minutenlang auf freier Straße zum nächsten Shooter-Dungeon unterwegs. Die Welt fühlt sich dadurch wie ein schlechtes Menü an, über das ich nur sehr umständlich den nächsten Level auswählen kann.
Den höchsten Abfucktor haben für mich allerdings die technischen Probleme. Durch eine Änderung der Tastenbelegung kann ich den Overdrive (vergleichbar mit dem Berserker-Modus im 2016er Doom) Tastatur nicht aktivieren – daran ändert auch der erste große Patch nichts.
Daneben gibt es unfassbar viele nervige kleine Fehler wie Dialoge, die nicht abgespielt werden, verschwindende Kartenmarker, fehlerhafte Navigationsangaben, ein Schnellreisesystem, das mir am Zielort einfach mein Standardfahrzeug vor die Nase setzt, unabhängig davon in welchem Auto ich gerade saß und, mein Favorit, die Tatsache, dass man im Photo Modus die Uhrzeit ändern kann – und diese Änderung dann auch im Spiel übernommen wird. Aus Tag macht Nacht! All das bringt mich in Rage (haha) und ich will dieses Spiel nur noch beenden und nicht wieder anfassen, so sehr regt mich das alles auf.
Ich muss zugeben: Als ich hörte, dass die Macher der mäßigen Just-Cause-Reihe die Entwicklung von »Rage 2« übernehmen würden, war ich skeptisch. Klar, sie bekommen von Bethesda vermutlich ein erheblich höheres Entwicklungsbudget, als für irgendeinen Just-Cause-Teil je vorhanden war, aber ob das genügt? Nachdem ich den Shooter nun gespielt habe, ist die Antwort ein klares: Teils-Teils.
Was »Rage 2« richtig gut macht, ist Action und Stil. Die Kämpfe machen immer Spaß, sie gehen leicht von der Hand, das Waffenfeedback ist super und die spektakuläre Feuer- und Physikeffekte gefallen mir richtig gut. Überhaupt ist das Spiel toll anzusehen: Die Artdirection der Welt, das Gegnerdesign, die knalligen Effekte – Klasse! Wenn man durch die kargen Wüsten fährt, ist die Landschaftsgrafik teilweise ununterscheidbar von dem, was man sonst aus Filmen gewöhnt ist. Was soll bei so viel Begeisterung also noch schief gehen? Nun…
Offensichtlich wollten die Avalanche Studios einen Shooter-Spielplatz schaffen, zu dem man – ganz Servicegedanke – immer mal wieder für ein paar Minuten unverbindlichen Spaß zurückkehren kann. Prinzipiell klappt das auch: Ein ums andere Mal musste ich mich vom Fernseher losreißen, um nicht noch ein weiteres Gefecht zu starten. Dabei stört es mich nicht mal mehr, dass all das Geballer ohne großen Storykontext auskommen muss, eine tolle Geschichte benötige ich in so einem gameplaygetriebenen Spiel ohnehin nicht. Doch die fragmentierte Spielwelt dämpft massiv den zentralen Anreiz einer Open World: Das Erkunden.
So gut wie jede Ballerei in »Rage 2« findet innerhalb der Grenzen von klar abgesteckten Zonen statt. Diese sind zwar quer über die Karte verteilt und man kann sie zudem nahtlos betreten, gleichzeitig ist aber immer vollkommen klar, dass nur innerhalb dieser Gebiete Gameplay stattfinden wird. Zwischen den Minileveln befindet sich spielerisches Niemandsland: Es gibt keinen Grund, sich dort länger als nötig aufzuhalten, weil dort nichts passiert. Die offene Welt wird so zum Ballast: Als lineare Abfolge von Leveln würde »Rage 2« erheblich besser funktionieren – zumal man dann vermutlich auch die Ressourcen gehabt hätte, dem Spiel ein vernünftiges Leveldesign zu gönnen
Denn das Leveldesign wirkt auf die Dauer wie bei einem Roguelike. Egal, wie spektakulär ein Ort aussieht: Schon beim Aussteigen aus dem Auto weiß ich, dass es nichts ungewöhnliches oder interessantes zu entdecken geben wird. Jeder der zahlreichen Minilevel ist immer nur eine Variante von bereits Bekanntem: Ein Gegnercamp, ein Abwasserkanal, eine Tankstelle. Ähnlich wie bei prozeduraler Generierung werden die Levels mit der Zeit ununterscheidbar. Da kann das Gameplay noch so gelungen sein: Als nach zehn Stunden die Credits über meinen Bildschirm rollen, gibt es für mich keinen Grund mehr, nochmal zu »Rage 2« zurück zu kehren.
Mir fehlen im Spiel schlicht die Überraschungen. Die überflüssige Open World bietet keine Erkundungsanreize und macht auch darüber hinaus das Spiel deutlich schlechter. Anders als etwa in der Fallout-Serie durchstöbert man keine Häuser und Städte, stolpert nicht über Dungeons, findet keine interessanten Geschichten, kein Environmental Storytelling oder gar spannende Quests. Das generische Leveldesign tut sein Übriges: Es existiert keinerlei Grund, sich irgendwie mit der Spielwelt zu beschäftigen. Für ein Spiel, das im Kern so exzellentes Gameplay bietet, sind Quest-, Welt-, und Leveldesign bemerkenswert schlicht. So bleibt »Rage 2« am Ende ein verdammt guter Shooter, der leider in einem sehr mäßigen Spiel steckt. Schizophren.
Transparenz-Hinweis: Rage 2 wurde uns von Bethesda sowohl für PC per Steam-Key als auch für PS4 als Disc-Version zur Verfügung gestellt.