Wer schon einmal Artikel über Rollenspiele von mir gelesen hat weiß, dass ich meinen Enthusiasmus für »Baldur’s Gate«, »Planescape – Torment« und »Icewind Dale« nur sehr schwer verbergen kann. Diese Titel sind fast immer unter meinen Go To-Beispielen für tolle Atmosphäre und tolles Writing in Rollenspielen und zurecht absolute Klassiker ihres Genres. Aus heutiger Sicht mögen sie grafisch zwar angestaubt sein und der Umstand, dass in jedem dieser Spiele etwa die zu lesende Textfülle eines George R.R. Martin Romans steckt, mag für manche ein wenig abschreckend wirken. Trotzdem schaffen sie es, allein mit dem Text (auch wenn es natürlich für die damalige Zeit relativ ansehnliche Grafik gab) mehr Witz, Epik, denkwürdige Momente und Emotionen zu wecken als manche Entwickler, die ein riesiges Budget und Gesichts-Motion Capturing im Rücken haben. Echtes Rollenspielfeeling eben. That being said… Vor uns liegt »Pillars of Eternity«, entwickelt von Obsidian Entertainment (den Machern u.a. von »Fallout – New Vegas« und »Neverwinter Nights 2«) und entstanden durch Crowdfunding auf Kickstarter.
Riders on the Storm
»Pillars of Eternity« beginnt gleich mit einer kleinen Anspielung, die keinerlei Zweifel an seiner Herkunft lässt: Nach der angenehm vielseitigen und komplexen Charaktererschaffung beginnt die Handlung (und jeder darauf folgende Akt des Spiels) mit einer Illustration, samt Hintergrundmusik und einem vertonten Erzählertext, der darlegt, wie unser eben erschaffener Charakter sich auf einer Siedlerkaravane befindet. Diese Kombination aus Musik und einleitender Erzählung ist auch exakt, wie seinerzeit »Baldur’s Gate« begonnen hat. Unser Charakter ist einer von vielen Neuankömmlingen in Dyrwood, wo der ortsansässige Lord Raedric, einen Aufruf gestartet hat, um das Land neu zu bevölkern, nachdem es vorher von einem religiös geprägten Bürgerkrieg verwüstet worden ist. Dort ist ein Fleisch gewordener Gott mit einer mächtigen Bombe – dem „Godhammer“ – in die Luft gejagt worden, worauf hin ein Großteil der neugeborenen Kinder der Landbevölkerung ohne Seele auf die Welt gekommen ist. Die kleinen Körper sind zwar alle funktionsfähig, aber scheinen ansonsten darauf zu warten, mit „Leben“ befüllt zu werden. Mag vielleicht damit zusammenhängen, dass man dem frisch gegrillten Gott Eothas neben Licht und Morgendämmerung auch der Gott der Wiedergeburt gewesen zu sein. In Eora, der Welt von »Pillars of Eternity«, sind Seelen sehr real und fassbar. So gibt es dort zB. ein Sanatorium einzig für Leute, deren Seele sich plötzlich an frühere Inkarnationen erinnert und die deshalb eine Art Schizophrenie entwickeln… Viel pressierender ist der Umstand, dass unser Held bzw. unsere Heldin sich eine Lebensmittelvergiftung zugezogen hat und ein dicker Baumstamm auf der Straße liegt. Der Anführer der Karawane bringt selbige in ein paar Ruinen zum stehen, schickt uns auf die Suche nach ein paar Beeren, die unseren Dünnpfiff kurieren sollen und warnt uns vor dem Auftauchen eines sogenannten Bîawic – eines Seelensturms, der alles in seinem Weg zerfetzt.
Alsbald tauchen wie auf Kommando auch ein paar Äxte schwingende Fanatiker aus den Wäldern auf. Die haben den Baumstamm auf die Straße gelegt und sind überhaupt nicht glücklich darüber, dass wir unsere Karawane in ihren heiligen Ruinen geparkt haben. Außerdem sind sie wild darauf aufs Fressbrett zu bekommen, beißen ins Gras und wir (einschließlich einer raubeinigen Kämpferin und eines schleichtechnisch begabten „Händlers“ aus dem Siedlertross) sind als einzige Überlebende gezwungen, vor dem aufs Stichwort aufziehenden Bîawic in den Ruinen Unterschlupf zu suchen. Das ist gleichzeitig der Tutorialdungeon, in dem Obsidian uns das vielschichtige Kampfsystem und noch einen ganz anderen Umstand näher bringen. Anders als in den berühmten RPG Urahnen von Pillars, erhalten Helden nämlich keine Erfahrung für Kämpfe, sondern ausschließlich für den Abschluss von Quests, die Erkundung von Schauplätzen und die Entdeckung z.B. neuer Monster und Gegner.
Es gibt ein sehr ausladendes Ingame-Compendium, in dem jedes Monster samt Hintergrundgeschichte, jeder Gott, jeder Schauplatz und sogar die eigene Autobiografie beschrieben ist. Bekämpft man z.B. ein bestimmtes Monster öfter, erhält man mehr Informationen über dessen Stärken und Schwächen und wenn ein Eintrag vollendet ist, gibt es einen Erfahrungsbonus, so einfach ist das. Das ist eine angenehme Abwandlung der typischen Rollenspielformel, denn es macht alle Herangehensweisen an eine Aufgabe gleichwertig. Wer lieber mit einem fies aussehenden Oger redet, anstatt ihn gleich umzunieten, kann das genauso tun, wie jemand der lieber die Waffen sprechen lässt. Einzig die Resultate sind unterschiedlich: Wer den hypothetischen Oger vom Leben zum Tode befördert, kann danach nachsehen, ob der Riese nicht vielleicht ein paar Wertsachen in seiner Höhle versteckt hat. Auf der anderen Seite ist es auch praktisch so einen Riesen als Kumpel zu haben…
Nach dem ersten Dungeon findet sich der Protagonist auf der anderen Seite der Ruinen wieder. Der Seelensturm ist abgeklungen, aber dafür wird er Zeuge eines Rituals, das in einer Explosion gipfelt, die die beiden ersten Begleiter leider einäschert, ihn oder sie aber selbst unverletzt, dafür allerdings mit der nützlichen Gabe zurücklässt, Seelen und deren vergangene Leben sehen zu können. Von da an entspinnt sich allerdings eine wahrhaftig epische Geschichte um geheime Kulte, die eigene Herkunft, urböse Gottwesen tief in der Erde und vieles, vieles mehr.
I live here now!
»Pillars of Eternity« hat eine ganze Menge Designelemente, die dazu beitragen sollen, dem gesamten Titel mehr Tiefe zu verleihen als vielen anderen Rollenspielen. Dazu gehören ein Rufsystem und nicht zuletzt auch eine eigene Festung, die man nach und nach von der Ruine zum stolzen Bollwerk ausbaut. Natürlich samt Kerker, Händlern und einem Kopfgeldjäger, der einem sehr gut bezahlte aber auch sehr schwere Aufträge anbietet, wo man entweder Monster oder humanoide Gegner wie entflohene Gesetzlose zur Strecke bringt. In der Festung kann man auch Gruppenmitglieder, die man gerade nicht auf das nächste Abenteuer mitgenommen hat, auf ihre eigenen Quests schicken. Das ist allerdings etwas unspektakulär: Man wählt in einem Menü lediglich aus, wer los pilgern soll und nachdem ein Timer abgelaufen ist, kehrt das Gruppenmitglied mit Gold und Gegenständen zurück und ist um Erfahrungspunkte reicher. Während die Festung in »Pillars of Eternity« von der Tiefe nur sehr schwerlich an die Spielerfestung aus »Never Winter Nights 2« oder die Kämpferburg oder den Druidenzirkel aus »Baldur’s Gate 2« herankommt, ist sie dennoch eine nette, atmosphärische Dreingabe, aus der sich ja möglicherweise noch in zukünftigen Addons und Updates mehr herausholen lässt. So ein Addon ist übrigens bereits in der Mache.
httpv://www.youtube.com/watch?v=HKoDTzea79Y
Wesentlich interessanter ist aber das eben erwähnte Rufsystem. Jede getroffene Entscheidung, jede Questauflösung und viele Dialogoptionen fördern den Ruf der eigenen Heldentruppe und dementsprechend auch, wie viele andere Personen in Gesprächen auf einen reagieren. Als moralisch fragwürdiger Assassinencharakter hatte ich einmal den Ruf unehrlich zu sein und als ich dann in einem späteren Gespräch jemand anderem die Wahrheit erzählt habe, war diese doch so unwahrscheinlich, dass diese Person mir aufgrund meines Rufes nicht geglaubt hat. Schön gemacht, Obsidian! Das bringt eine ganze Menge unerwartete, aber letztlich nachvollziehbare Konsequenzen in die Handlung. Außerdem gibt es natürlich noch Crafting, ein vielschichtiges Talentsystem und eine ganze Hand voll anderer Features, die das Spiel abrunden.
Ist wirklich alles Gold was glänzt?
Überhaupt ist das Spiel voll mit kleinen Andeutungen, Referenzen, schönen Geschichten und ist dank der Lichteffekte und der liebevoll gebauten Schauplätze auch grafisch sehr stimmig, wenn auch bisweilen etwas zweckmäßig. Obsidian haben genau die richtige Stelle zwischen neuen Ideen und klassischer Fantasy getroffen. Wo es sinnvoll war, hat man mit altbackenen Stereotypen aufgeräumt und gleichzeitig ist alles auf eine angenehme Art vertraut. Als wäre man lange Zeit auf Urlaub gewesen und würde endlich nach Hause kommen. Natürlich hat man als Spieler immer kleine Details, die man anders gemacht hätte, aber das ist rein subjektiv. Ich zum Beispiel hätte mir ein paar mehr Begleiter mit eigener Persönlichkeit gewünscht, wenigstens einen für jede Klasse, aber so gibt es leider nur eine Handvoll, die vielleicht nicht immer jedermanns Geschmack sind (Ich finde den Priester Durance echt unausstehlich!). Aber wofür gibt es denn die Funktion, sich sein eigenes Gruppenmitglied erstellen zu können, wenn alle Stricke reißen? Einziges Manko: Die sind dann natürlich nicht vertont, haben keine eigene Quest und melden sich leider auch nicht in Gesprächen. Da ist dann wohl das eigene Kopfkino gefragt.
Eora ist eine der durchdachtesten, neuen Fantasywelten, die ich seit langem gesehen habe. Gerade im heutigen Spielemarkt habe ich oft das Gefühl, dass es eines der schwersten Unterfangen für Designer ist, eine neue Marke begründen zu wollen. Häufig endet es in solchen Debakeln wie vor drei Jahren beim eigentlich sehr schönen »Kingdoms of Amalur – Reckoning«, dessen Entwicklung alle Beteiligten hochverschuldet zurückgelassen hatte. Obsidian dagegen scheinen mit Pillars den verdienten Erfolg einzuheimsen und ich gönne es ihnen von Herzen. Dafür spricht auch das Kickstarter-Budget von 3,9 Millionen Dollar gegenüber dem ursprünglich angepeilten Betrag von 1,1 Millionen Dollar.
Deswegen auch die uneingeschränkte Empfehlung von mir an alle, die mal wieder Lust auf ein richtig gutes, gruppenbasiertes Rollenspiel mit Tiefe und wunderschöner Geschichte haben und sich dieses Stück noch nicht zugelegt haben. Anfängliche Macken, wie kleine Grafikbugs und die etwas unterentwickelte Wegfindungs-KI in Kämpfen sind mittlerweile dank Patches komplett verschwunden. Ich liebe dieses Spiel und freu mich jetzt schon auf das in der Entwicklung befindliche Addon, wie ich mich mit dreizehn Jahren auf das »Baldur’s Gate 2«-Addon »Thron des Baal« gefreut habe!