»Papers, Please« ist eine seltsame Erfahrung: Es ist ein fantastisches Spiel, aber nach nicht einmal 2 Stunden Spielzeit habe ich wenig Lust, es weiterzuspielen. Wie passt das denn zusammen?
Ich spiele einen Grenzkontrolleur im fiktiven, autokratischen Ostblockstaat Arstotzka und entscheide somit, wer ins Land darf. Was sich anfangs noch recht simpel gestaltet, weil ich lediglich überprüfen muss, ob Dokumente korrekt und gültig sind, wird aufgrund diverser Hürden immer schwieriger: Einreiseticket, Einreiseerlaubnis, Herkunftsland, Diplomatenstatus, Arbeitserlaubnis oder gefälschte Pässe – alles Dokumente, die auf ihre Richtigkeit hin kontrolliert werden wollen. Was „richtig“ aktuell überhaupt bedeutet und wie die Situation in Arstotzka gerade ist, wird mir im Spiel anhand eines Kontrolleurshandbuchs, einer Tageszeitung sowie dienstlichen Anordnungen mitgeteilt. An einem Spieltag findet beispielsweise ein terroristischer Anschlag statt, infolgedessen berichtet die Zeitung am nächsten Tag darüber. Ich erhalte ebenfalls den Befehl, alle Bürger eines bestimmten Landes ab sofort zu verdächtigen und sie ausnahmslos durch den frisch installierten Nacktscanner zu schicken. Gleichzeitig benötige ich das Handbuch, um zu überprüfen, ob Land und Ausstellungsort des Reisepasses überhaupt existieren.
Das Spiel ist in Tage unterteilt, bezahlt werde ich pro durchgelassener Person. Das täglich ausgezahlte Geld benötige ich um Miete, Essen sowie Medikamente für die Familie zu bezahlen. Die Idee, einfach jeden durchzulassen, um maximal viel Geld zu machen, klingt auf dem Papier super, scheitert aber an kontinuierlich steigenden Strafzahlungen – zumal das Spiel den „Trick“ erkennt und mir dann absichtlich viele Menschen mit fehlerhaften Dokumenten an den Schalter schickt und ich dadurch sehr einfach ins Minus rutsche: Game Over. Ich komme also nicht umhin, die Papiere ordentlich zu prüfen und den richtigen Stempel in den Reisepass zu setzen. Zwangsläufig muss ich deswegen unangenehme Entscheidungen treffen, etwa ob ich ein einreisendes Ehepaar auseinanderreiße, weil nur einer von beiden valide Dokumente besitzt und auch das Abweisen eines Einreisenden mit gültigen Papieren als Verstoß gilt.
Durch die Grundregeln aus dem Handbuch sowie die täglichen, neuen Anordnungen ist jeder einzelne Reisende pure Arbeit: Ist der Name auf allen Dokumenten gleich? Falls nicht, hat sich der Name der Person durch Heirat geändert? Wurde der Reisepass in einem zugelassenen Ort des Herkunftslandes ausgestellt? Sind Bürger dieses Landes gerade überhaupt erwünscht? Gibt es das Land überhaupt? Ist der Reisepass auch echt? Ist die Einreiseerlaubnis korrekt, sprich: Datum, Name, Dauer des Aufenthalts? Stimmen Person und Geschlecht, notfalls mittels Nacktscanner-Nachweis, überein? Verkompliziert wird das Ganze noch dadurch, dass eine Rebellengruppe versucht, Rebellen ins Land zu schmuggeln und auf meine Hilfe setzt. Außerdem ist da auch noch der Grenzbeamte, der pro Inhaftierten bezahlt wird und mir anbietet, mich an seiner Bezahlung zu beteiligen, wenn ich ihm denn genug Personen zum Einbuchten vorbeischicke…
Das laufende Trolley-Problem
Daraus ergibt sich eine interessante Melange aus tollen Spielmechaniken mit steigender Komplexität, die mir vor Augen führt, warum manche Anträge auf Ämtern eine so lange Bearbeitungszeit besitzen. Das Spiel erzählt seine Handlung recht clever über die Spielmechanik, weil fast alles, was im Spiel passiert, auch eine Auswirkung auf diese hat. Das sind nicht nur Ereignisse, wie der Terroranschlag oder das Installieren von Nacktscannern, sondern auch Handlungen, die ich, als Spieler, durchführe. Lasse ich das Ehepaar von vorhin gemeinsam durch, habe ich zwar nach meinem moralischen Kompass richtig gehandelt, riskiere aber gleichzeitig das Wohlergehen meiner Familie. Ich werde folglich laufend vor ein Trolley-Problem gestellt und muss infolgedessen unangenehme Entscheidungen treffen. Kombiniert mit der kontinuierlich zunehmenden Komplexität ist »Papers, Please« ein hervorragendes Spiel, auf das ich aber nach kurzer Zeit keine Lust mehr habe, weil es Schufterei und moralische Zwickmühlen bedeutet. Zurück bleibt damit eine unglaublich faszinierende Spielerfahrung, die die 9€ Normalpreis auf jeden Fall wert sind – selbst wenn man, wie ich, nicht länger als 2 Stunden aushält.