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Mortal Shell: Soulslike mit Macken

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»Mortal Shell« wurde zwar erst im April vorgestellt, erscheint aber trotzdem bereits in dieser Woche. In den wenigen Monaten zwischen Reveal und Release hat das Erstlingswerk von Entwickler Cold Symmetry dabei bereits so viel Hype generiert, dass man als Soulsfan kaum drum herumkam, mal etwas genauer hinzuschauen. Nun muss sich zeigen, ob die Vorschusslorbeeren gerechtfertigt waren. You died – oder nicht?

Symbiose aus Soulslike und Character-Action-Game

Prinzipiell funktioniert »Mortal Shell« nach der bekannten Formel: Wie das große Vorbild kombiniert es ein wuchtiges Nahkampfsystem, in dem es auf schnelle Reaktionen, Positionierung und Ausdauermanagement ankommt, mit einem vertrackten Leveldesign und einer düsteren, verfallenden Welt.

Erste Unterschiede offenbaren sich jedoch, sobald man zum ersten Mal zu Mortal Shells Firekeeper – Entschuldigung! – zu Sester Genessa kommt, der obligatorischen NPC-Dame, die im Austausch gegen Ressourcen den Charakter verbessert. Überraschenderweise besitzt »Mortal Shell« entgegen der üblichen Gepflogenheiten nämlich kein Levelsystem. Stattdessen lassen sich insgesamt vier der namensgebenden Shells finden, zwischen denen frei gewechselt werden kann. Jede Shell besitzt unterschiedliche, jedoch feste Werte für Attribute wie Lebensenergie und Ausdauer, sowie eine Reihe einzigartiger, freischaltbarer Perks. So hat Eredrim nicht nur die meisten HP aller Shells, sondern erhält mit jedem getöteten Gegner einen zusätzlichen Schadensbonus für seine Angriffe – bis das unvermeidliche Scheitern den kumulierten Bonus irgendwann wieder auf Null zurücksetzt. Autsch!

Auch an anderer Stelle haben Cold Symmetry die Formel reduziert: So lassen sich im gesamten Spiel keine neuen Rüstungen finden und auch Waffen gibt es lediglich vier – plus einer Fernkampfwaffe. Diese unterscheiden sich dafür stark voneinander und lassen sich mit einzigartigen Spezialangriffen aufrüsten. In Sachen Charakterprogression ähnelt »Mortal Shell« daher eher einem Character-Action-Game wie »Devil May Cry« als einem Rollenspiel.

Auch Schilde und somit das Blocken von Nahkampfangriffen fallen weg. Als Ersatz gibt es jedoch eine andere spannende Fähigkeit: Harden. Beim Druck auf L2 versteinert der eigene Charakter, wird völlig unbeweglich und übersteht den nächsten Angriff garantiert unverletzt. Interessant an Harden ist, dass es sich zu jedem beliebigen Zeitpunkt einsetzen lässt, selbst während eine Angriffkette. Damit lassen sich ungewöhnliche Taktiken ausprobieren: Man stürmt gegen einen Gegner, schlägt zweimal zu und kontert noch während der Aufladeanimation der dritten Attacke den unweigerlichen Gegenangriff mit Harden. Durch den eingesteckten (doch unverletzt überstandenen!) Schlag löst sich Harden auf und die zuvor gestartete Combo wird nahtlos fortgeführt, um den Feind ein weiteres Mal zu strafen. Selbst die Ausdauer regeneriert sich, während man versteinert dasteht. So eignet sich Harden planerisch sowohl für die Offensive als auch Defensive, aber auch als Notfallbutton, wenn man sich mal massiv verschätzt. Damit die Fähigkeit aber nicht zu mächtig wird, liegt sie auf einem etwa zehnsekündigen Cooldown, währenddessen man auf die üblichen Verteidigungsmanöver wie Ausweichen und Parieren angewiesen ist.

Apropos Parieren: Auch ein Gegenstück zur Estus Flask – dem nach dem Tode automatisch aufgefüllten Heiltrank – fällt den Kürzungen zum Opfer. Stattdessen besteht die Möglichkeit zur Parade mit anschließender Riposte. Gelingt das Manöver, wird etwas Lebensenergie regeneriert. So wird die Heilung noch mehr als ohnehin im Genre üblich zur Risk-vs-Reward-Abwägungsentscheidung. Um sich am Leben zu halten, ist daher genaue Kenntnis gegnerischer Angriffsmuster vonnöten, um abschätzen zu können, wann sich der Versuch der Selbstheilung lohnt und wann dieser nur im Verlust von noch mehr Lebensenergie resultiert.

Starkes Kampfsystem und entscheidende Probleme

Nur vier Waffen, keine wechselbaren Rüstungen, kein Levelsystem: Was für den Soulsfan wie ein Affront klingt, erweist sich während des Spielens dennoch als ziemlich authentische Soulserfahrung. In der Reduktion liegt schließlich immer auch die Chance, die wenigen vorhandenen Mittel optional zu nutzen. Natürlich lassen sich im Vergleich etwa in Dark Souls mehrere Dutzend unterschiedliche Waffen finden. Doch das Upgradesystem und die generelle Nutzlosigkeit viele der gefundenen Waffen sorgt in Dark Souls der Praxis dafür, dass während eines Spieldurchlaufes kaum mehr als eine Handvoll davon auch wirklich benutzt werden. »Mortal Shell« mangelt es in dieser Hinsicht also tatsächlich nicht an Abwechslung. Auch der Kampf selbst fühlt sich hervorragend an und ist so wuchtig und träge, wie es Soulsfans lieben.

Weniger gelungen hingegen sind die Shells: Trotz verschiedener Perks zeigt sich schnell, dass man lediglich vier Varianten desselben Nahkämpfers spielt. Unverständlich etwa, warum man die Symbiose aus Souls und Character-Action-Game nicht weiter vorantreibt, indem man die vier Waffen fest jeweils einer Shell zuteilt. Denn es sind die Waffen und nicht die Shells, die sich durch ihre speziellen Eigenschaften und Movesets grundlegend verschieden anfühlen und so unterschiedliche Spielweisen nahelegen.

Da aber jede Waffe mit jeder Shell benutzt werden kann, verschwimmen die Grenzen zwischen den Charakteren. Ob man den schweren Zweihänder nun mit Eredrim oder Harros nutzt, die beide dem Archetypen des stark gepanzerten Ritters entsprechen, bleibt austauschbar. Am eigenständigsten der vier ist noch Tiel, der mit wenig Lebensenergie und hoher Ausdauer der Rolle des Diebs übernimmt und dessen Perks sich um Giftschaden drehen. Aber auch Tiel wird mit dem Zweihänder zum langsamen Koloss, der sich nur marginal von Eredrim oder Harros unterscheidet.

Festgelegte Waffen, die in Kombination mit den unterschiedlichen Attributen und Perks spezifische Vor- und Nachteile für jede Shell ergeben, hätten vom Spieler deutlich interessantere Abwägungsentscheidungen und das Ausprobieren immer neuer Lösungsansätze verlangt. So jedoch wird jeder Spieler schnell eine dominante Spielstrategie entwickeln, von der abzuweichen sich kaum lohnt – zumal »Mortal Shell« durch das Upgraden seiner wechselbaren Hüllen zusätzlich zum Waffenupgrade ein schon aus Dark Souls bekanntes Problem nur noch verstärkt: Wenn eine Shell bereits deutlich ausgebaut wurde, sinkt der Anreiz massiv, im späteren Spielverlauf noch auf eine der anderen zu wechseln.

Das entscheidende Problem von »Mortal Shell« jedoch ist ein anderes: Für ein Genre, bei dem das taktische Kampfsystem so zentral ist, mangelt es dem Spiel an Gegnervielfalt. Zwar unterscheiden sich die Gegnertypen prinzipiell in den verschiedenen Spielarealen, aber sie sind sich dennoch zu ähnlich und wiederholen sich zu häufig. Das dürfte vor allem durch das Budget erklärbar sein: Cold Symmetry ist ein Indie-Studio bestehend aus lediglich 15 Leuten, die allerdings bereits an großen AAA-Produktionen (unter anderem Halo) mitgearbeitet haben. Das merkt man »Mortal Shell« auch an: Handwerklich, optisch und technisch ist das, was dieses kleine Studio auf die Beine gestellt hat, über jeden Zweifel erhaben. Zu keinem Zeitpunkt macht das Spiel den Eindruck, es würde an Know-How oder schöpferischer Qualität fehlen. Wie häufig in solchen Fällen wird es daher vermutlich der finanzielle Rahmen gewesen sein, der den Ambitionen Grenzen setzt.

Konventionell, aber kompetent

Am Ende setzt sich Cold Symmetrys Debut leider ein bisschen zwischen die Stühle. Anders als »The Surge 2« orientiert sich »Mortal Shell« trotz sanfter Innovationen zu sehr an From Softwares Vorbild, während eigene Ideen nur halb zünden. Für ein bereits vor mehr als zehn Jahre geschaffenes Subgenre fühlt sich das Spiel daher zu konventionell an, um wirklich aufregend zu sein. Zwar schaden ihm nicht die Reduktion der Charakterprogression und die nur kleine Auswahl an Waffen, wohl aber die geringe Abwechslung bei den Auseinandersetzungen.

Dem gegenüber steht allerdings die grundlegende Kompetenz des Entwicklers und eine hohe technische Qualität. »Mortal Shell« mag keinen Innovationspreis gewinnen, es ist mehr Kunsthandwerk als Kunst. Das, was es will, erreicht es aber dennoch: Es ist ein kompetent gemachtes, kleines Soulslike, mit dem sich Cold Symmetry auf der Bühne der Spielentwicklung etabliert und auf zukünftige Werke hoffen lässt.

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