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Monster Train: First Class im Test

Ich mach’s kurz: »Monster Train: First Class« macht süchtig. Das weiß ich bereits nach dreißig Minuten. Daraus sind mittlerweile über 30 Stunden geworden und noch immer vergeht kaum ein Tag, an dem ich nicht spontan die Switch aus dem Dock ziehe und ein paar neue Runs starte.

Monster Train ist Strategie- statt Rollenspiel

Bereits der Ansatz ist clever: »Monster Train: First Class« nistet sich in der Nische der Deckbuilding-Roguelikes ein, die erst vor einigen Jahren das (vollkommen zurecht!) hochgelobte Slay the Spire geschaffen hat. Doch Entwickler Shiny Shoe hat viel mehr als einen Klon eines erfolgreichen Vorbilds abgeliefert, sondern ringt dem grundlegenden Prinzip ein völlig anderes Spielgefühl ab. Slay the Spire ist ein klassischer Dungeoncrawler, »Monster Train: First Class« hingegen ein Strategiespiel mit Tower-Defense-Elementen.

In »Monster Train: First Class« brause ich mit einem vierstöckigen Zug durch eine erkaltete Hölle. An Bord: Die letzte Höllenglut. Mit der soll das Feuer erneut entzündet werden – falls der Zug sein Ziel erreicht. Klar, dass die himmlischen Heerscharen dies verhindern wollen. Also muss ich den Zug mit kartenbasierten Monsterhorden gegen eindringende Engel verteidigen, die sich rundenweise zur Schatzkammer im höchsten Stock des Zuges vorarbeiten wollen.

Der Kampfbildschirm. Das Interface wirkt auf den ersten Blick kompliziert, man lernt es jedoch innerhalb weniger Partien zu lesen.

Das alles ist viel mehr als nur Kosmetik. »Monster Train: First Class« dreht sich vor allem um die geschickte Nutzung des Raumes, sowie die richtige Positionierung und Kombination verschiedener Monster. So muss ich die Rollen der Kreaturen beachten (zB Tank, Debuffer, Damage Dealer), ihren Platzbedarf und ihre Synergien, sowie zahlreiche passive Effekte, die zum Beispiel nach einem eingesteckten Treffer oder beim Tod anderer Figuren ausgelöst werden. Zudem stehen in zahllosen Varianten Schadens-, Heil-, Buff-, Debuff- und Ressourcenzauber zur Verfügung, die ebenfalls via Karten ausgespielt werden.

Der Fokus des Spiels liegt dabei vor allem auf den eigenen Kreaturen. Bin ich an der Reihe, konzentriere ich mich auf die Optimierung der Aufstellung, den Status der Monster und die bestmögliche Abfederung zukünftig eintreffenden Schadens. Entsprechend komme ich in »Monster Train: First Class« nur weiter, wenn ich im Verlauf der Partien immer mehr über die Stärken und Schwächen der Höllenbrut lerne. Ein explizites Eingehen auf die Fähigkeiten der Gegner und Bosse verlangt das Spiel hingegen selten, die verschiedenen Engelsspezies bleiben weitestgehend gesichtslos und austauschbar. Tragisch ist das jedoch nicht: Man merkt schnell, dass die eigenen Truppen ihren Platz im Scheinwerferlicht mehr als verdient haben, weil die stete Knobelei um die ideale Aufstellung (und der süße Erfolg, wenn ein Plan funktioniert!) einen Heidenspaß macht.

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Unendliche Abwechslung

Das alles macht es auch für Slay-the-Spire-Veteranen interessant, die bei einem flüchtigen Blick auf einen Trailer womöglich dem Irrtum erlegen sind, es handle sich bei »Monster Train: First Class« um eine schlichte Kopie ihres Lieblingsspiels. Jenseits dieser nur oberflächlichen Verwandtschaftsverhältnisse brilliert »Monster Train: First Class« aber auch mit einer Qualität, die man erst beim selberspielen erkennt: Die schiere Masse an Abwechslung.

Strategie und Deck entwickeln sich in »Monster Train: First Class« in jedem Run in eine unvorhergesehene Richtung. Der wichtigste Kunstgriff erfolgt direkt zu Beginn: Jeweils zwei der sechs Monsterclans darf ich mit auf die Reise nehmen. Dadurch lassen sich die grundverschiedenen Fähigkeiten der Clans frei miteinander kombinieren und wilde Strategien austüfteln. Weil ich außerdem im Laufe des Runs meine Karten verbessern kann und weil diese Verbesserungen nicht an eine bestimmte Karte gebunden sind, sondern sie beliebig verteilt werden können, entsteht auch hier eine enorme Vielfalt. Hinzu kommen die genreüblichen Artefakte mit passiven Mutatoren, die den Run auf den Kopf stellen und neue Strategien eröffnen können – oder die genutzte Spielweise perfekt ergänzen.

Zwischen den Kämpfen steuert man auf der Karte verschiedene Stationen wie Händler und Events an.

Gut gefällt mir außerdem, dass ich nicht nur die in den Spielmaterialien angelegten Synergien nutze. Stattdessen kann ich häufig auch mit weniger naheliegenden Spielweisen erfolgreich sein. Das heißt jedoch nicht, dass »Monster Train: First Class« anspruchslos wäre. Eine so improvisierte Strategie muss schon durchdacht sein, sonst scheitert man.

Fazit

Ich könnte noch wahnsinnig viel erzählen. Über das fröhliche Freischalten am Ende jeden Runs, das geniale Logbuch, welches meinen Fortschritt genauestens protokolliert oder den angenehm steigenden Schwierigkeitsgrad. Wie es dem Spiel gelingt, mich alleine durch die Endabrechnung zu einer weiteren Partie zu motivieren, verdient eigentlich einen eigenen Artikel. Aber ganz ehrlich: Spielt es einfach selbst. »Monster Train: First Class« ist genial. Ich wollte es ja kurz machen.

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