Brian Fargo ist eine der ersten Legenden des Gamedesigns, die es jemals gab, auch wenn er im Gegensatz zu Kollegen wie Richard Garriott (Vater der Ultima-Reihe und exzentrischster Spielemillionär der Welt) und Peter Molyneux (»Dungeon Keeper« und »Fable«) eigentlich immer eher unter dem Radar geflogen ist. Er war unter anderem mit verantwortlich für große Klassiker (»Bard’s Tale«, »The Lost Vikings« oder »Stone Keep«), aber seine jüngsten Werke sind eher in der Versenkung verschwunden. Zuletzt der Dungeoncrawler »Hunted: The Demon’s Forge« von 2011, der sowohl bei der Presse als auch bei Spielern eher lau warm aufgenommen worden ist. Allerdings ist Brian auch der Schöpfer des ersten »Wasteland« von 1988. Fun Fact des Tages: Das erste postapokalyptische PC-Rollenspiel EVER! Fun Fact des Tages #2: Der Nachfolger von »Wasteland« ist die »Fallout«-Reihe, wo Brian am ersten Teil mitgearbeitet hat.
Die Vorgeschichte ist verhältnismäßig schnell erzählt: In einer alternativen Weltgeschichte (nur politisch – kein Steampunk, keine atomgetriebene 50er Jahre-Ästhetik) kommt es im Jahr 1998 zu einem großen Atomkrieg, der den meisten Teil der Welt abfackelt und relativ unbewohnbar macht. Nachdem sämtliche Kommunikation zusammengebrochen ist, besetzt ein Ingenieursbatallion der US-Army ein neu gebautes Hochsicherheitsgefängnis in Arizona und baut es zu einer Art Festung aus. Dort harren die Soldaten aus und tun einfach weiter das, wofür sie eigentlich da sind: Sie bewahren Recht und Ordnung, versuchen ein Mindestmaß an Zivilisation aufrecht zu erhalten und beschützen den Rest der friedlichen Bevölkerung vor den immer größer werdenden Banden von Plünderern und Mördern. Da die Anzahl der Soldaten allerdings nicht unerschöpflich ist, rekrutieren sie irgendwann auch viel versprechende Zivilisten und ihre Tätigkeitsfelder erstrecken sich immer mehr auch auf zivile Angelegenheiten, weswegen sie sich nach einigen Jahren umbenennen: Ab jetzt sind sie die Desert Rangers in der Tradition der Arizona- und Texas-Rangers und eher Polizei und Kopfgeldjäger als wirkliche Armee. Die US-Regierung gilt hier übrigens als nicht mehr existent, da von der schon seit Jahren niemand mehr etwas gehört hat. Der Spieler erstellt sich jetzt eine bis zu vierköpfige Truppe von neuen Rekruten und schon erscheint der erste Hinweis darauf, dass es sich hier um die ganz alte Schule handelt: Ein Intro mit ECHTEN Schauspielern. Realfilm, keine gerenderten Figuren. Wer sich vielleicht noch an die alten Westwood-Games wie »Lands of Lore« erinnert, der weiß, dass das damals gang und gäbe war, wenn die Entwickler was ganz hochwertiges produzieren wollten, denn let’s face it: Rendergrafiken sahen damals aus, als ob man mit der Bastelschere Figürchen aus einem nassen Pizzakarton ausgeschnitten und mit Buntstiften angemalt hätte. Hier passt das Intro aber sehr gut, ist atmosphärisch und so gar nicht kitschig und ungewollt komisch und holprig wie viele von damals.
Wir sehen die Beerdigung des Desert Rangers Ace, dessen Körper verstümmelt in der Wüste gefunden worden ist, nachdem er von einer Routinemission nicht mehr zurückgekommen ist. Seltsamer Zufall: Zur gleichen Zeit ertönt auf allen Funkfrequenzen die entrückt klingende Stimme eines älteren Mannes, die etwas vom glorreichen neuen Zeitalter der Maschinen erzählt und wie das gesamte Ödland unter metallenen Stiefeln erzittern wird. Was auch immer das ist, es klingt verheißungsvoll und so gar nicht positiv und lebensbejahend.
Law in a Lawless Land
Es gibt keine Klassen und alle Charaktere dürfen komplett frei aus jeder Menge Talenten und Attributen zusammengebaut werden (Drei unterschiedliche Überredungstalente, jede Menge Waffen, Reparatur von Mechanik, Überlebenskunst in der Wildnis, usw). Witziges Detail, aber komplett ohne Einfluss auf das eigentliche Spiel: Wer es mit der Charaktererstellung WIRKLICH ernst nimmt, kann für seine Leute eine Kurzbiografie in den Charakterbogen schreiben. Aus der Kategorie „Unnötig, denn niemand außer mir wird diese Charaktere eh jemals sehen… Aber schön, dass ich es kann, wenn ich möchte.“.
Nach der Beerdigung von Ace im Intro, erzählt General Vargas, Kriegsveteran und Anführer der Rangers, wie es nun weitergeht. Mein jungfräuliches Gesetzeshütertrüppchen soll hinaus in die Welt und erstmal Aces Mission beenden (Funktürme reparieren) und gleichzeitig die Stelle seines Ablebens auf Hinweise untersuchen. Sich vorher noch mal in der Gefängnisfestung ausrüsten ist nicht, denn wir haben uns ja noch nicht bewiesen und wertvolle Ausrüstung könnte ja so verloren gehen. „Aber General. Ace war ein erfahrener Ranger und Sie sehen ja wie er geendet ist. Was ist, wenn wir dem, was auch immer ihn umgebracht, auch in die Arme laufen?” fragt der Anführer meiner Gruppe, Gesprächstalent sei Dank. „Ja, aber wir haben euch ja nicht ohne Grund hier aufgenommen. Ihr seid ja nicht ganz wehrlos und ich bin mir sicher, ihr schafft das schon. Und im Zweifelsfalle wissen wir dann, dass Ihr wohl eh kein Rangermaterial gewesen wärt, hm?” witzelt Vargas. Ja, danke… Arsch.
Auf geht’s also ins Ödland, wo ich als erstes mal den Mordschauplatz untersuche und dabei das Interface in ersten kleinen Taktikgefechten lerne, als mir ein paar ortsansässige Gangmitglieder blöd kommen. Schließlich finde ich in einer Höhle einen seltsamen Roboter: Kein Cyborg, aber auch nicht ganz aus Metall. Er scheint künstliche Haut und ein organisches Gehirn zu haben, blutet aber trotzdem Maschinenöl. Viel Zeit zum Rätseln ist aber nicht, denn ich bekomme zwei Funksprüche in Form von Notrufen rein. In der Nähe befindet sich eine Siedlung, die verantwortlich für ein paar seltene, weil saubere Wasserquellen ist – auch für die Rangerfestung – und die von Gesetzlosen angegriffen wird. Gleichzeitig ist da aber auch noch eine agrare Forschungseinrichtung, die an einem Projekt gearbeitet hat, um das Ödland wieder fruchtbar zu machen und genug Essen für jeden seiner Bewohner anbauen zu können. Dort haben Pflanzen ein Eigenleben angenommen und irgendwie haben Mensch und Tier angefangen zu mutieren und die verbliebenen Forscher anzugreifen… Leck mich, Vargas! Wenigstens ein paar Kästchen Munition hättest du mir mitgeben können. Geiziger Sack!!
httpv://youtu.be/oKcBWGw93L0
Hier entfaltet sich eine der wahren Stärken von »Wasteland 2«, denn an solchen Punkten verzweigt und verästelt sich die riesige Story samt Subquests immer mehr. Ich kann aus Zeitgründen nicht beide Missionen annehmen und wenn ich mich dafür entschließe, der Forschungsstation zu helfen, kann ich die Siedlung mit den Wasserquellen komplett vergessen. Helfe ich dagegen den Siedlern, gleicht die Station einem Schlachthaus und alle Wissenschaftler sind tot, wenn ich dort ankomme. Das wiederum bringt immer neue Entscheidungsmöglichkeiten mit sich, da solche Situationen immer und immer wieder auftauchen, weshalb jedes Durchspielen tatsächlich eine komplett neue Erfahrung wird, zumal manche Lösungswege für Dialoge oder Level schlicht verschlossen bleiben, wenn ich nicht die richtigen Fähigkeiten im Schlösser knacken, Mechanik, Hacking oder dergleichen mitbringe.
Harsh Times, Mean People
Das Spiel an sich ist im Vergleich zu vielen anderen Vertretern des Rollenspielgenres relativ fordernd. Man kann sich schnell mal verskillen und dann hat man wertvolle Attributspunkte umsonst verplämpert. Die Kämpfe sind ebenfalls knackig, aber nicht immer auf die gute Art und manchmal auch von Balancingproblemen geplagt. Nicht etwa, weil sie besonders unfair wären, aber weil es Strecken im Spiel gibt, in denen sich Auseinandersetzungen sehr häufig gleich anfühlen. In der Mission mit der Forschungsstation etwa tauchen unglaublich häufig dieselben mutierten Fliegen, Maden und Kaninchen auf und es läuft nach Schema F, da es unter diesen Gegnertypen keinerlei Variation gibt. Zumal man sich keine Hoffnung auf neue Items/Waffen zu machen braucht. Wofür braucht eine riesige Made auch Munition für ein Maschinengewehr? Das ist zwar realistisch, aber auch eintönig und manchmal sogar frustrierend. Anders sieht es dagegen hinterher aus, wenn es gegen Banden, Roboter, Mutanten und andere, variantenreichere Gegner geht. Außerdem Spielen sich Charaktere manchmal relativ ähnlich, da es keine Klassen gibt. Erlernbare Manöver/Spezialangriffe wären gut für die Abwechslung gewesen. Ein weiterer „Schwachpunkt“ ist auch die isometrische Grafik aus der Draufsicht, die an vielen Stellen im Spiel zwar wirklich coole, atmosphärische Schauplätze zaubert, aber in Zeiten von Gesichtsmotioncapturing schlicht zu grob und zu detailarm ist, um nennenswert oder relevant zu sein. Sie erfüllt ihren Zweck, das sogar recht erfolgreich, aber eben auch nicht mehr. Der allergrößte Teil der Geschichte wird allerdings in Textform beschrieben, samt schriftlichen Beschreibungen des Settings in einem Textkästchen unten rechts im Bildschirm.
Auf der Habenseite steht dagegen ein echt großes Spiel mit vielen Stunden Spielzeit. Man merkt ihm an, dass es ein Autorenprojekt für Hardcore-Rollenspieler geworden ist. Es gibt schräge, seltsame, bedrohliche, vielschichtige Charaktere, auch wenn die eigenen Gruppenmitglieder keine wirkliche, eigene Persönlichkeit besitzen. Außerdem wären da, (zumindest in der englischen Fassung) sehr gut vertonte Dialoge mit ausgiebigen, verzweigten Gesprächen, die großen Einfluss auf den Handlungsverlauf haben und wo einige Antworten wirklich wohl überlegt sein wollen. Story, Atmosphäre und Worldbuilding sind die unbestrittene Stärke des Titels, zumal die Handlung oft auch angenehm unvorhersehbar ist. Dagegen steht, dass man als Spieler komplett selbst mit seinen Vorräten und der Munition haushalten, um zu überleben. Das ist zwar eine Herausforderung für Hardcorespieler, aber manchmal rennt man damit auch in Sackgassen, wo einem gegen eine plötzlich auftretende Übermacht plötzlich die Munition ausgeht und man sich mit Brechstangen und Messern gegen Kampfroboter und deren Plasmakanonen wehren darf. Ein zweischneidiges Schwert also, das zum Tüfteln anregt, aber auch sehr frusten kann.
»Wasteland 2« ist ein Pflichttitel für jeden, der ein schweres, forderndes, sehr großes Rollenspiel mit spannender Handlung, tollem Soundtrack (das hab ich noch gar nicht erwähnt: Der Soundtrack ist toll.) und gleichen Anteilen an Science Fiction und Western sucht, das aus einer Zeit zu stammen scheint, als noch nicht alles kinderleicht, allzu idiotenfreundlich und gestreamlined war. Allerdings bin ich mir nicht sicher, ob auch all jene soviel Spaß damit haben werden, die nach etwas fürs Auge suchen, nicht gerne seitenweise Dialoge lesen oder sich schnell von einem Spiel frustrieren lassen.