Zockwork Orange

Im Zug nach Blackwood Crossing

Ich mag Walking Simulatoren. Virginia und SOMA waren 2016 für mich zwei der besten Spiele des Jahres, 2017 fiel »Blackwood Crossing« in diese Kategorie. Das liegt vor allem an den Charakteren und der emotionalen Tiefe des Spiels – was beweist, dass es für eine eindrückliche Spielerfahrung keine ausgefeilte Steuerung oder Spielmechanik braucht.

Spoilerwarnung: Das Review enthält milde Spoiler zu den Inhalten des Spiels.

A Tale of two Siblings

»Blackwood Crossing« hat mit dem Teenagermädchen Scarlett eine für Spiele ungewöhnliche Protagonistin. Vordergründig handelt das Spiel von der Beziehung zu ihrem Bruder Finn, hintergründig erzählt es eine Geschichte über Verlust und den Umgang damit sowie Scarletts Weg zurück in die Normalität. Dargestellt wird das größtenteils mittels Traumsequenzen, bei denen man sich oftmals gar nicht so sicher sein kann, ob man nun träumt, halluziniert oder sich doch einfach nur in einer Fantasiewelt befindet.

Scarletts Katharsis funktioniert deswegen so gut, weil wichtige Elemente des Spiels herausragend umgesetzt sind: Sprecher und Animationen fangen die Emotionen perfekt ein, die visuelle Umsetzung ist sowohl aus ästhetischer als auch aus erzählerischer Sicht beeindruckend und das detaillierte Setdesign sorgt für glaubwürdige Orte. All das macht die Erzählung authentisch und die Beziehung zwischen Finn und Scarlett greifbar. Zwar hat man schon relativ früh eine Ahnung, worauf diese vordergründig hinausläuft – das macht das Ende für mich als Spieler aber nur umso schmerzvoller, denn insgeheim wünsche ich mir die ganze Zeit, dass doch noch eine Wendung eintritt.

In der hintergründigen Erzählung bietet »Blackwood Crossing« durch seine visuelle Umsetzung, metaphorische Elemente sowie popkulturell etablierte Symbolik viel Raum für eigene Interpretation. Die Entscheidung, alle Figuren außer dem Geschwisterpaar nur mit Masken auftreten zu lassen, hatte sicherlich auch finanzielle Gründe – diese Maskerade passt von ihren Deutungsmöglichkeiten jedoch hervorragend zu Scarletts Persönlichkeitsentwicklung.

Raum für Muße und Reflexion

Ich mag es, wenn man in Spielen stehen bleiben und die Umgebung genießen kann. Life is Strange hat das sogar explizit eingebaut, in BioShock Infinite habe ich häufiger innegehalten und Columbia bestaunt und in Hellblade bin ich regelmäßig am Strand geblieben und habe dem Meeresrauschen gelauscht. »Blackwood Crossing« spielt in Teilen in einem Zug und bietet mir dort die Möglichkeit, die Landschaft verträumt am Fenster vorbeiziehen zu lassen. Und diese Gelegenheit nutze ich, minutenlang. Ich finde das unglaublich beruhigend und bin jedem Spiel dankbar, wenn es mir auf diese Art und Weise Momente der Muße gestattet, die es mir ermöglichen, meine eigene Interpretation der Geschehnisse innerhalb der Spielwelt zu reflektieren.

Überflüssiges Gameplay

Spielerisch ist das alles in einem Walking Simulator mit Mängeln verpackt. Die Steuerung ist ungenau und die Bewegung ist nicht nur quälend langsam (wie in fast jedem Spiel dieser Art), sondern sie fühlt sich durchweg wie auf Schlittschuhen an, weil Scarlett nach dem Stehenbleiben noch einen kurzen Moment lang weiterrutscht. Das macht die Bedienung mit Maus und Tastatur unerträglich – ein Gamepad ist mit seinen analogen Sticks, aufgrund der geringeren Diskrepanz zwischen Eingabe und Bewegung, erheblich besser geeignet.

Die eingebauten Spielmechaniken hätte man sich größtenteils sparen können, denn weder Wimmelbildmechanik noch der Transport von Gegenständen von A nach B ist sonderlich spannend. Zusätzlich dazu ist die aktuelle Aufgabenstellung nicht immer transparent, sodass gelegentlich Trial & Error gefragt ist. Das nervt und wertet das Spiel leider mehr ab, als es verdient hätte. Die Möglichkeiten, Dunkelheit zu vertreiben, Licht zu schaffen oder Gegenstände zum Leben zu erwecken sind wiederum gut gemacht und passen zur Charakterentwicklung.

Fazit

Trotz seiner Defizite im Gameplay ist »Blackwood Crossing« für mich eines der besten Spiele des Jahres 2017. Das liegt vor allem an seiner Charakterzeichnung sowie der kompakten, auf wenige Personen beschränkten Erzählung. Das Spiel hat mich emotional so sehr gepackt, dass ich nach den zwei bis drei Stunden Spielzeit erstmal abschalten und reflektieren musste – und das erreichen nicht viele Spiele. Es ist deswegen jeden Euro wert und zeigt, welche großartigen erzählerischen Möglichkeiten in Games stecken.

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