Zockwork Orange

Hyperstilisierte Action mit Astral Chain

Platinum Games hat es wieder getan: »Astral Chain« ist SciFi-Action für die Nintendo Switch, die mit Neonfarben, Elektromusik und einem ungewöhnlichen Kampfsystem seine Spieler mitreißt. Ob in den Straßen einer bladerunneresquen Großstadt, ob in der außerdimensionalen Astralebene, in der metallene Würfel über schwarzem Schiefer schweben oder ob in der Quarantänezone, in der die ursprünglichen Bewohner auf den Dächern verfallender Hochhäuser ums Überleben kämpfen»Astral Chain« wirkt stets wie ein hyperstilisiertes Kunstwerk, bei dem Ästhetik, Gameplay, Schnitt und Soundtrack wie Zahnrädchen ineinander greifen. 

Kampf mit der Astral Chain

Zentrale Rolle im Gameplay spielt das Kampfsystem, bei dem zwei Charaktere parallel kontrolliert werdenNeben typischen Actionelementen wie leichten und schweren Nahkampfwaffen, Pistolen und Ausweichrollen, hat man ein besonderes As im Ärmel: An einer leuchtend blauen Kette, der namensgebenden Astral Chain führt man seine Legion in den Kampf. Dabei handelt es sich um eine der extradimensionalen Kreaturen, welche die Erde angreifen, Menschen entführen und in ihresgleichen verwandeln. Die Legion gilt als letzte Geheimwaffe der Menschheit: Gezähmt und unterjocht, wird sie von einer Spezialeinheit in den Kampf geführt, um es den Dämonen heimzuzahlen.

  

Weil man beide Figuren steuert, fühlt sich »Astral Chain« zunächst an, wie ein ProgMetal-Album klingt. Man versteht lange nicht, was vor sich geht und doch begreift man instinktivwie großartig alles ist. Eausreichend zu würdigen und zu erfassen braucht Arbeit und Zeit, aber wenn dranbleibt, kann man die Aufgabe meistern: Man beginnt zu verstehen, wird eins mit dem Controller und erklimmt den Berg, der sich vor einem auftürmt. 

Allzu leicht macht einem »Astral Chain« diese Aufgabe jedoch nicht: Natürlich werden sukzessiv neue Legionen freigeschaltet, die wiederum besondere Fähigkeiten, Funktionen und Schwerpunkte haben. Die Schwertlegion kann mit dem richtigen Timing Angriffe parieren, die Arm-Legion kann als Rüstung dienen und Gegenstände auf Gegner schleudern und auf der Beast-Legion lässt sich sogar reiten. Um das alles in den Griff zu bekommen und zu erkennen, wann für welche Legion und welches Manöver der richtige Zeitpunkt gekommen ist, muss man viel seiner Game Literacy neu erlernen. Zwei Figuren mit den Daumen parallel nach links und rechts zu bewegen, um einen anstürmenden Gegner mit der gespannten Astralkette abzufangen, ist nichts, was typischerweise im Muskelgedächtnis von Actionspielern vorhanden ist. 

Es sind genau solche kreativen Einsätze des Gamepads, die dem Kampfsystem seinen Reiz geben: Mit »Astral Chain« hat man ein Actionspiel in der Hand, das neues wagt und dadurch von seinen Spielern Konzentration und Hingabe verlangt. Das Erlernen des neuartigen Spielprinzips macht es interessant, Belohnung für die Einarbeitung sind die grandios choreographierten Kampfszenen: Wenn man mühelos zwischen den Attacken der Gegner hin- und hertänzelt, im Matrix-Stil einem Schwerthieb ausweicht, zum Gegenangriff übergeht und gemeinsam mit seiner Legion den Gegner in Schnitt/Gegenschnitt-Kameraeinstellungen in Stücke haut, ist man so nah im Kampfgeschehen wie selten in einem Spiel.

Doch trotz des komplexen Kampfes macht »Astral Chain« nicht den Fehler, seine Spieler zu häufig scheitern zu lassen: Antrieb ist, die Begegnungen mit den Monstern möglichst effektiv zu bewältigen, die Manöver zu verinnerlichen und sich dabei an den coolen Bildern zu erfreuen – man kann sich aber auch durchstolpern und wird dies zunächst zwangsläufig tun. Man will besser werden, die Legionen beherrschen, die Gegner effektiver kontern, Angriffen schneller ausweichen, um am Ende den begehrten höchsten Rang in der Kampfwertung zu erhalten. So gelingt Platinum Games die Balance, seine Spieler gleichermaßen zu fordern, jedoch ohne sie übermäßig zu frustrieren und ständig Abschnitte wiederholen zu lassen. Man schafft die Kämpfe immer irgendwie, aber ärgert sich über die fehlende Eleganz.

Leise Töne

Um die Kämpfe als Highlight zu inszenieren braucht es allerdings Kontraste und so enthält »Astral Chain« auch leise Töne: Platinum Games nimmt sich genügend Zeit für Worldbuilding durch Gespräche, Erforschung und Nebenmissionen, vermeidet dabei aber allzu starke Formelhaftigkeit. Zunächst scheint es, als würde jede Mission stets nach derselben Vorlage ablaufen: Auf eine Ermittlungsphase, in der Hinweise gesucht und Passanten befragt werden, folgt der Sprung auf die Astralebene, in der Gegner warten.

Doch schon bald bricht »Astral Chain« mit diesem Muster und inszeniert abwechslungsreiche Missionsstränge, in denen über mehrere Stunden hinweg Geschichlichkeitspassagen, Erforschung, Erzählsequenzen, Puzzle- und Schleichelemente, sowie – natürlich! – immer wieder Kämpfe kombiniert werdenAn diesen Stellen zeigt sich dann endgültig, mit welcher Kunstfertigkeit Platinum Games agiert: »Astral Chain« ist voller Tempowechsel, in dem Dramatik und Adrenalin auf Momente der Ruhe und Reflexion folgen und in dem vom einen auf den anderen Moment plötzlich alles wieder ganz anders sein kann.

So stimmt am Ende alles: Die japanische Anime-Geschichte um Dämonen und die Menschen, die sich ihnen entgegen stellen, die stylisch inszenierte Action, die toll aussieht und Umdenken verlangt, sowie die stillen Momente, in denen nichts kracht und explodiert und die Spiel und Spieler so Luft zum atmen lassen. Mit »Astral Chain« zeigt Platinum Games, wie moderne Action aussehen muss und wie man Gameplay und Schauwerte zu einem großen Ganzen vereint – und das ausgerechnet exklusiv auf der leistungsschwächsten Konsole.

Offenlegung: »Astral Chain« wurde uns von Nintendo zur Verfügung gestellt. 

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