Nachdem Sebastian ja zu »Mortal Shell« so gelobhudelt hat, stelle ich doch gleich noch ein Soulslike-Game vor, das im Hype vielleicht etwas untergegangen ist.
»Hellpoint« entstammt der Feder von Cradle Games, einer kleinen kanadischen Softwareschmiede, die dieses Projekt vor ein paar Jahren engagiert als Kickstarter-Projekt und mit einem überraschend kleinen Budget startete. Zwar verschob sich der geplante Release um zwei Jahre, aber das passiert ja auch renommierten Entwicklerstudios, so munkelt man …
Jedenfalls war »Hellpoint« ab Ende Juli 2020 zu haben und ich habe es mir trotzt meiner Skepsis bei „Soulslike“-Games geholt, da mich das Sci-Fi-Setting irgendwie angesprochen hat. Weil mich schon viele Spiele aus diesem Genre enttäuscht hatten (denn nicht immer wurden die großen Versprechungen auch spannend umgesetzt), bin ich eigentlich ohne große Erwartungen an die Sache rangegangen.
Schwurbelige Story, also alles wie immer
Ich finde mich auf Irid Novo wieder, einer riesigen, verschachtelten Raumstation, die um ein schwarzes Loch kreist. Die Hintergrundstory von »Hellpoint« ist zunächst ziemlich verschwurbelt und nicht auf den ersten Blick erkennbar. Offensichtlich hat eine riesige Quantenkatastrophe namens Merge stattgefunden. Jedes Lebewesen auf der Station verschmolz dabei mit alternativen Versionen von sich selbst aus parallelen Universen. Zu allem Überfluss wurden dabei auch mächtige Wesen aus der Tiefe anderer Dimensionen angezogen und ich ahne schon, auf was die Sache hier hinauslaufen wird. Um diese schiefgelaufenen Dinge zu regeln, wird mein Charakter flugs durch einen mysteriösen „Architekten“ in einem 3D-Printer erzeugt und losgeschickt … wie praktisch. Auf Startklassen und eine Charaktererstellung verzichtet »Hellpoint« dabei komplett, wodurch ich angenehmerweise das Gefühl bekomme, nicht gleich schon am Anfang alles verbockt zu haben.
Dark Souls lässt grüßen
Ohne großartige Anweisungen laufe ich also los und versuche mich auf der Station zurecht zu finden. Mit Hilfe kleiner Hinweise, die »Hellpoint« selbst oder auch andere Spieler (ja, »Hellpoint« hat sogar eine Multiplayer-Funktion) für mich bereithalten, meistere ich so langsam den ersten Spielabschnitt.
Die Ähnlichkeit zu »Dark Souls« ist wirklich verblüffend, denn vieles scheint vom Grundprinzip übernommen und einfach in eine Sci-Fi-Welt übertragen worden zu sein. Vom Sammeln und wieder Verlieren der In-Game-Währung, über die Kampf- und Level-Systeme, bis hin zum Erforschen der Umgebung, alles scheint zwar anders zu sein, aber doch irgendwie vertraut. Ob das nun in diesem Umfang Absicht war, kann ich nicht beurteilen, aber hier macht »Hellpoint« eingefleischten Dark-Souls-Spielern den Einstieg wirklich leicht.
Das soll aber nicht über den hohen Schwierigkeitsgrad hinwegtäuschen. Zwar sind die „normalen“ Gegner relativ einfach zu besiegen, an anderen hat man schon länger zu knabbern bzw. geht ihnen erst einmal aus dem Weg. Trotzdem habe ich den Eindruck, mich hier etwas leichter durchzukämpfen als in »Dark Souls«.
Nächstes Ziel: Die Orientierung verlieren
Was mich vom ersten Augenblick fasziniert hat, ist das unglaubliche Level-Design von »Hellpoint«. Die einzelnen Abschnitte der Raumstation sind teilweise riesig und so verschachtelt, dass ich schnell die Orientierung verliere. Verborgene Türen, die Geheimnisse freigeben, Aufzüge, die mich immer wieder auf zu neuen Ebenen bringen, oder auch aufgesammelte Schlüsselkarten, die mir Zugang zu anfangs versperrten Bereichen gewähren, lassen mich einzelne Abschnitte unzählige Male durchsuchen. Und ich freue mich immer wieder wie ein Schnitzel, wenn ich dabei wieder einen neuen Shortcut oder versteckte Beute entdecke. Allerdings ist nicht immer gleich offensichtlich, was ich durch Drücken verschiedener Schalter auslöse oder wohin mich gefundene Schlüsselgegenstände führen bzw. wofür ich die überhaupt brauche. Manchmal gleicht »Hellpoint« dadurch auch eher einem Puzzler und das mag manche abschrecken. Für mich macht es aber die Sache noch etwas spannender.
Ich habe bereits gehört, dass diese verwirrende Unübersichtlichkeit zu erheblichem Unmut geführt hat, aber ich finde, gerade das macht für mich den Reiz von »Hellpoint« aus. Ich lasse mich hier von meiner Neugier einfach treiben, laufe mal hierhin, mal dahin, öffne Türen, klettere Leitern empor oder lasse mich von Aufzügen oder kleinen Zubringerbahnen in unbekannte Gegenden fahren. Sterbe ich unterwegs, dann meist mit der Gewissheit, den Ort meines Todes zu 90% nicht mehr wiederzufinden, um meine verlorenen Axione (die Ingame-Währung) wieder aufzusammeln. Aber als hätten die Entwickler geahnt, dass diese Labyrinthe manchen zur Verzweiflung treiben würden, kann ich einen Gegenstand ausrüsten, der Breadcrumbs in Form von kleinen leuchtenden Energiebällen ausstreut, die mich bei Bedarf wieder den Weg zurückfinden lassen. Aber wer will denn sowas …
Die Stunden der Wahrheit
Aber es gibt natürlich auch Merkmale, mit denen sich »Hellpoint« redlich bemüht, sich von seinem Vorbild abzuheben. Beispielsweise spielt die Zeit eine wesentliche Rolle. So schlägt regelmäßig immer wieder die Stunde des Schwarzen Lochs. Während dieser Zeit tauchen stärkere Gegner auf, haben die Bosse mehr Leben, aber es winken auch wertvollere Belohnungen für errungene Siege. Außerdem sind bestimmte Areale der Raumstation nur in diesem Zeitraum zugänglich. Das muss ich also auf meiner Reise mit einkalkulieren und immer mal wieder einen Blick auf die Uhr werfen.
Damit nicht genug, erwartet mich in regelmäßigen Abständen auch noch eine Höllenstunde. Zu dieser Stunde kann ich gegen immer wieder spawnende Gegner in sogenannten Hordenkämpfen antreten. Auch hier winken attraktive Belohnungen … falls man den Kampf überlebt.
Wenn ich keine Lust auf diesen zusätzlichen Nervenkitzel habe und das ist oft der Fall, treibe ich mich solange in ungefährlichen Bereichen herum und erforsche dort die Gegend weiter.
Um etwas mehr eigene Identität ins Spiel zu bringen wurde versucht das Sci-Fi-Setting mit einer Prise Okkultismus zu vermengen. So gibt es ein paar okkulte Waffen und teilweise werden offensichtlich irgendwelche Rituale durchgeführt. Leider bleibt dieser Ansatz blass und ist eher ein halbherziger Versuch, etwas Besonderes zu bieten. Schade eigentlich, denn hier hätte man meiner Meinung nach viel mehr draus machen können.
Reisen? Nur mit Einschränkungen
An Checkpunkten, den sogenannten Rissen (analog zu den Leuchtfeuern in Dark Souls), kann ich meine Spielfigur aufleveln oder von hier auch zu Rissen in anderen Gebieten reisen. Voraussetzung ist aber, dass ich vorher einen Riss-Synchronisator gefunden habe, mit dem ich das Reisen von meinem aktuellen Riss aus erst freischalten muss. Leider sind diese Synchronisatoren rar, weswegen ich in den meisten Fällen dann gut zu Fuß sein muss oder darauf hoffe, doch noch irgendeinen Shortcut in ein anderes Gebiet zu öffnen.
Trotz dieser Einschränkung gefällt mir das Konzept der Risse in »Hellpoint«. Besiegte Gegner spawnen nämlich nicht zwangsläufig, wenn ich mich am Checkpunkt erhole. Das Spawnen erfolgt oft meist erst nach einer bestimmten Zeit bzw. dann, wenn ich ein Gebiet erneut betrete. Das lässt mir mehr Luft für ausgedehntere Erkundungstripps.
Eine weitere Besonderheit ist, dass eine Rast an einem Riss zwar meine Gesundheitsleiste wieder auffüllt, nicht aber die Heilinjektionen, die ich verbrauche, um mich unterwegs zu kurieren. Auch mein Energievorrat, der für Schusswaffen oder besondere Waffenfertigkeiten benötigt wird, erholt sich hier nicht. Beides füllt sich erst durch die Kämpfe mit Gegnern wieder auf, wodurch eine aggressive Vorgehensweise belohnt wird. Klingt jetzt erst einmal doof, ist es aber nicht, denn die meisten Gegner lassen sich nach etwas Leveln ziemlich einfach wegschnetzeln.
Neue Waffen braucht das Land
Was mir auch außerordentlich gut gefällt, ist die Handhabung der Waffenupgrades. Hier wird nämlich nicht die Waffe selbst verbessert, sondern ein eingesetztes Modul. Dieses kann dann später auch in einer anderen Waffe verwendet werden. Ich muss also nicht mühsam mehrere Waffen upgraden, um festzustellen, mit welcher ich gut zurechtkomme, sondern kann immer wieder wechseln und experimentieren.
Eine ausgerüstete Waffe verbessert sich zudem ständig selbst, je länger ich mit ihr kämpfe. Damit schalten sich immer mehr coole Waffeneigenschaften frei, die z.B. aus einem Säbel dann plötzlich Fragmente schießen lassen und ihn somit zu einer eindrucksvollen Fernwaffe machen.
Trotzdem ist anfangs meine Experimentierfreude gefragt, um eine Waffe zu finden, die mir persönlich zusagt. Die Auswahl an gefundenen oder erbeuteten Waffen ist nämlich groß und zusätzlich kann ich Waffen auch noch craften, sofern ich einen Bauplan und die nötigen Zutaten eingesammelt habe.
Und wo wir gerade beim Craften sind: Neben Waffen bastle ich auch allerlei anderen Krimskrams zusammen, so zum Beispiel einen Raumanzug für Spaziergänge außerhalb der Station. Das Sammeln von Bastelmaterialien lohnt sich also.
Grafisch eindrucksvoll umgesetzt
Auch grafisch überzeugt mich »Hellpoint«. Natürlich wiederholen sich einige Elemente immer wieder, denn eine Raumstation besteht nun mal aus vielen Gängen und Räumen, trotzdem ist jeder Bereich von Irid Novo individuell gestaltet. Hier wurde wirklich viel Liebe und Fantasie in die Umsetzung gesteckt. Manchmal laufe ich durch dunkle Gänge und rostige Anlagen, dann öffnet sich das Terrain zu einer parkähnlichen Anlage oder ich habe an anderer Stelle das Gefühl im Foyer eines Theaters zu stehen.
Jeder Bereich hat seinen eigenen Charme, ist mehr oder weniger verschachtelt und erstreckt sich meist über einige Ebenen. Die Atmosphäre wirkt aber auch in helleren Abschnitten stets etwas bedrohlich und sorgt für ein hohes Spannungsniveau.
Der Soundtrack und die Geräuschkulisse sind gut auf die jeweilige Umgebung abgestimmt und bei genauem Hinhören lassen sich auch Kontrahenten schon erahnen, bevor man sie sieht.
Alles gut. Oder doch nicht?
»Hellpoint« präsentierte sich anfangs wohl nicht so glanzvoll und es wurde viel über jede Menge Bugs geschimpft. Das konnte ich jetzt nicht nachvollziehen (ich spiele auf dem PC), denn außer, dass ein paar Texturen nicht geladen wurden, konnte ich nichts Gravierendes entdecken. Trotzdem wird wohl noch fleißig gebastelt, denn fast täglich gibt’s derzeit einen neuen Patch.
Wenn ich an etwas rumnörgeln soll, dann ist es vielleicht die übersichtliche Anzahl der verschiedenen Gegnerarten. Ich treffe immer wieder auf die gleichen Spezies, was es zugegebenermaßen etwas langweilig macht. Sogar die Bosse werden einem in abgeschwächter Form immer wieder vorgesetzt. Hier hätte etwas mehr Abwechslung nicht geschadet.
Zudem ist kein kontinuierlicher Anstieg des Schwierigkeitsgrades festzustellen. Bockschwere Gegner begegne ich sowohl gleich am Anfang als auch später im Spiel. Und Pupsgegner, die ich mit einem einzigen beherzten Hieb niederstrecke, laufen mir auch später immer noch massenweise über den Weg. Aber auch hier will ich mich nicht groß beschweren, denn so farme ich im Vorbeilaufen immer wieder ein paar Axione für ein Upgrade.
Obwohl sich »Hellpoint« redlich bemüht, sich vom großen Vorbild abzuheben, gelingt das nicht wirklich. Zu ähnlich sind das Kampf- und Levelsystem und das grundlegende Spielkonzept. Wie schon erwähnt mag das aber auch Absicht sein. Ich persönlich habe da jetzt nichts dagegen, aber ich finde, das sollte man wissen, wenn man sich auf dieses Spiel einlässt.
Mein Fazit
Trotz ein paar kleiner Schwächen finde ich, dass »Hellpoint« in Bezug auf „soulslike“ alles richtig macht. Das gelingt vielleicht auch gerade deshalb, weil die bewährten Mechaniken einfach schamlos aus dem Vorbild übernommen wurden. Die Stärke liegt allerdings eindeutig im Level- und nicht im Gegnerdesign. Zudem überzeugt die dunkle Atmosphäre, die in jedem Bereich allgegenwärtig ist. Ich kann deshalb ohne Langeweile stundenlang in dieser Raumstation herumlaufen mit dem Ehrgeiz, ihr jedes Geheimnis abzutrotzen und jedes noch so kleine Beutestück zu finden.
Für jeden, der »Dark Souls« mag und auch einem Sci-Fi-Setting nicht abgeneigt ist, kann ich »Hellpoint« wärmstens empfehlen. Wer allerdings ein völlig neues Spielkonzept und große Überraschungen erwart, wird enttäuscht werden Außerdem solllte man viel Zeit und Lust zum Erforschen mitbringen, um die ganzen Eindrücke der verschachtelten Spielumgebung richtig erfassen und genießen zu können. Auch kleinere Rätsel und die manchmal längere Suche nach Schlüsselgegenständen sollten einen nicht abschrecken.
Offensichtlich werden für einen normalen Spieldurchlauf 20-25 Stunden angesetzt. Ich bin jetzt etwa 20 Stunden unterwegs und habe das Gefühl, nur einen Bruchteil gesehen und erforscht zu haben. Zudem habe ich in dieser Zeit erst drei der insgesamt 16 Bosse besiegt …
Den Multiplayer habe ich bis jetzt nicht ausprobiert, doch ich denke Coop (auch im Splitscreen!) und PvP sorgen hier noch einmal für zusätzlichen Spielspaß.
»Hellpoint« ist für PlayStation 4, Xbox One, PC, Macintosh und Nintendo Switch zu haben.
Das Spiel wurde von mir für dieses Review selbst gekauft.