Es ist wieder Zeit für Fallout. Der zweite DLC zu New Vegas mit dem schwerwiegenden Titel Honest Hearts ist seit gestern auf diversen Downloadplattformen und über Xbox Live erhältlich. Nachdem bereits die halben USA und der Weltraum im Wasteland-Style umgesetzt wurden, wird die neuste Passage etwas mystischer, fast religiös und wie vorweg schon spekuliert, handelt es sich tatsächlich um einen Trip in die sagenumwogende Stadt Neu Kanaan und die Geschichte des legendären Kriegers Joshua Graham. Über diesen wird im Hauptplot des Kuriers immer wieder am Rande berichtet, da der ehemalige Soldat von Caesar’s Legion erst entstellt, dann totgesagt wurde. Zwar darf man nicht selber in die versengte Haut des Heeresführers schlüpfen und Rache nehmen, begibt sich mit seinem Kurier aber auf die Suche nach ihm – und später geht es sogar streckenweise an Grahams Seite in den Kampf.
In gewohnter Fallout DLC-Manier empfängt man nach dem Herunterladen ein neues Funksignal und reist zum ausgeschilderten Außenposten in der Mojave-Wüste. Nach ein paar Minuten Palaver über Zion, Neu Kanaan und die bösen, bösen Weißbeine, muss man nur sein Gewicht auf 100 Kilo senken und schon kann der Trip losgehen. Hier ist direkt die erste Verbesserung zum ersten Download Dead Money spürbar. Man darf zwar nicht alle seine Gegenstände mitnehmen, aber zumindest bis zum Gewichtlimit alles tragen, was das ehrliche Herz begehrt. Alienblaster und Stahlrüstungen dürfen einem so direkt behilflich sein.
Von Beginn an ist die Dramaturgie großartig. Mit vier Gefolgen bricht man auf die Expedition nach Zion auf, welche ein paar Minuten später Raidern zum Opfer fällt, die die komplette Mannschaft auslöschen. In diesem Moment steht man dem großen Canyon alleine gegenüber, was zum Glück nicht ganz wahr ist, denn recht schnell trifft man wieder auf Unterstützung. In den verschiedenen Abschnitten des Spiels wird man so von drei verschiedenen Helfern begleitet, welche – bis auf Graham – weniger charismatisch sind als von New Vegas gewohnt. Die restliche Bevölkerung von Zion ist mit viel Liebe erstellt und bekommt nur durch die bescheidene deutsche Synchro einen unsauberen Schliff. Die Ansammlungen von Steinen im Canyon sind zwar anfangs sehr unübersichtlich, geben einem aber bald dank klarer Orientierungspunkte das Gefühl, sich auszukennen. Zion vermittelt dem Spieler dabei die Stimmung, sich in einer sauberen und reinen Welt zu befinden und bietet mit zeitweise grüner Vegetation Abwechslung zu den staubigen Ruinen von New Vegas.
Klassische Dungeons sind spärlich gesäht und auch nach neuen Vaults sucht man vergebens. Dafür ist die Karte größer als anfangs ersichtlich und bietet mit mehreren Ebenen viel Platz für Erkundungen. Auch die neue Levelcap bei 40 und spezielle Items wie die Yao-Guai-Kralle bieten zusätzlichen Anreiz, wieder etwas tiefer in die Spielwelt einzutauchen. Letzteres verlangt außerdem nach einer spirituellen Jagd, die man dank Intoxikation durch Schamanen wie im LSD-Rausch erlebt. Wenn man dann noch gegen einen brennenden, mutierten Braunbären kämpfen muss, ist das schon großes Kino.
Die Geschichte des DLC ist ziemlich gradlinig und führt den Spieler elegant an alle Plätze des neuen Landstriches. Dazu kommt ein straffer Konflikt zwischen den verschiedenen Stämmen im Tal und deren Motiven und Plänen für eine friedliche Zukunft. Ich möchte niemanden spoilern, aber die Linie zwischen Richtig und Falsch ist bei den zwei Fraktionen in Zion nicht immer klar erkennbar, was moralische Entscheidungen besonders knifflig macht. Der friedliche Weg muss nicht immer der unblutigste sein. Zum Ende spürt man sogar eine gewisse Bedeutung der getroffenen Entscheidung, denn wie es sich für ein Fallout gehört, bekommt man als Abspann eine schöne Zusammenfassung der resultierenden Geschehnisse. Das kann je nach Entscheidungen im Verlauf völlig unterschiedlich ausfallen und ist nebst Achievement der einzige Grund für ein zweites Durchspielen.
Am Ende der 4 bis 5 Stunden Spielzeit bin ich unglaublich zufrieden mit dem neuen DLC. Im Gegensatz zu dem lieblosen Debakel von Dead Money ist die Story anmutiger, mystischer und vor allem vorhanden. Für mich also ein Highlight unter den Fallout-Episoden. Nach Dead Money, welches ich nach der Hälfte abgebrochen habe, weil der Pseudo-Horror genervt hat, ist Honest Hearts eine angemessene Entschädigung. Einziges Manko ist die etwas kurze Spielzeit, denn wenn man sich ranhält, kann man beide möglichen Enden an einem Abend bestaunen und findet nicht viel Anreiz danach weiter durch den Canyon zu streifen. Dabei hätte ich gerne noch mehr Zeit in Zion verbracht, andere DLCs bieten für denselben Preis teilweise aber wesentlich weniger. Deshalb kann ich es Honest Hearts verzeihen, mich mit schier unstillbarem Durst auf die atomare Wüste zurückzulassen. Der Termin zum Download für die nächste Erweiterung im Juni ist auf jeden Fall gesetzt. Bleiben rund vier Wochen um zu spekulieren, wo uns Old World Blues hinführt.