Das zumindest wurde uns versprochen. Die Handlungen von Desmond, Altaïr und Ezio sollten zu Ende gebracht, und dabei einiges über die drei Assassini enthüllt werden. Um herauszufinden, ob das Versprechen gehalten wurde, und um zu schauen, ob es sich lohnt, den mittlerweile vierten Teil der Assassin’s-Creed-Reihe ins Laufwerk zu legen, habe ich mich ins Istanbul – sorry – ins Konstantinopel des beginnenden 16. Jahrhunderts begeben.
1511 Anno Domini Nostri Iesu Christi. Ezio Auditore da Firenze ist gerade Anfang 50, von seinem Charme hat er jedoch nichts eingebüßt. Und von seiner Tödlichkeit schon gar nicht. Der alternde Assassine wandert auf den Spuren seines Vorfahren Altaïr und besucht Masyaf, wo alles seinen Anfang nahm. Allerdings nicht aus reiner Nostalgie, sondern um Altaïrs sagenumwobene Bibliothek zu finden, die unbeschreibliches Wissen beherbergen soll. Klar, dass die Templer davon auch schon Wind bekommen haben und Ezio zuvor kommen. Ezio findet zwar die Bibliothek, die Schlüssel zum Öffnen sind allerdings teils in Templerhand, teils in ganz Konstantinopel und näherer Umgebung verstreut.
Ezio rafft also seine müden, alten Knochen auf und reist nach Konstantinopel, um ein letztes Mal die Welt zu retten, den Templern einen Strich durch die Rechnung zu machen und das Mädchen zu bekommen, so wie es sich für eine gute Heldengeschichte gehört. Das Mädchen ist in dem Fall eine junge Italienerin, die zwar Bücher sammelt, aber entgegen dem Klischee scheinbar nicht wirklich schlau zu sein scheint. Schließlich checkt sie trotz der Kluft, des Schwertes und der fetten Armbrust auf Ezios Rücken nicht, womit der Macho seine Brötchen verdient. Trotzdem hilft sie Ezio bei seiner Aufgabe, auch wenn er sie bewusst im Dunkeln lässt. Weitere Hilfe bekommt er von den ansässigen Assassinen unter der Leitung von Yusuf Aziz, die sich in Konstantinopel etabliert haben und dort erbitterte Kämpfe gegen die Templer führen. Ezio zieht dennoch aus, eigene Schüler zu rekrutieren – man weiß ja nie.
500 Jahre später ist Barkeeper und Gelegenheits-Assassine Desmond Miles im Animus gefangen, dem Gerät, das die Reisen in die Erinnerungen eines Vorfahren ermöglicht. Es besteht die Gefahr, dass sein Geist mit den von Altaïr und Ezio verschmilzt, und zusammen mit Subject Sixteen, einem früheren Animus-Versuchskaninchen, versucht Desmond, diese ungemütliche Zukunft abzuwenden, während er gleichzeitig Ezios Lebensgeschichte weiterspielt und zwischendurch die letzten Jahre Altaïrs miterlebt. Man spielt also Desmond, der in den Erinnerungen von Ezio herumläuft, der wiederum als Altaïr durch Masyaf wandelt, sobald er einen der Schlüssel zur Bibliothek gefunden hat. Inception! We need to go deeper!
Die oft genannte Kritik an der Assassin’s-Creed-Reihe, nämlich dass es keine echten Innovationen gäbe, kann nicht von der Hand gewiesen werden. Assassin’s Creed: Revelations ist Assassin’s Creed: Brotherhood ist Assassin’s Creed II. Vor neuer Kulisse zwar, aber ansonsten gibt es nicht viel neues. Bei den Neuerungen hat man den Eindruck, man habe sie im ersten Spiel absichtlich weg gelassen, um in jeder Fortsetzung einen kleinen Happen reinzuwerfen. Jetzt kann Ezio also Bomben bauen und hat eine Hookblade, also eine Verbindung aus Haken und Hidden Blade. Dass ihm dafür das Pferd aus dem letzten Spiel wieder genommen wurde, bemerkt Ezio kaum; der Assassine von heute bewegt sich über den Dächern der Stadt fort, mit der Hookblade an Seilen hängend, die irgendwer von Dach zu Dach gespannt hat. Pferde sind doch sowas von 15. Jahrhundert.
Die größte Neuerung besteht aus den Bomben, die Ezio nicht einfach so kauft, sondern aus gefundenen Zutaten selbst bauen kann. Hierbei muss man sich immer darüber bewusst sein, welche Art von Bombe in der aktuellen Mission am geeignetsten ist, schließlich kann Ezio nur drei verschiedene Arten gleichzeitig tragen. Kombiniert man eine Klebebombe mit Lammblut, um Wachen abzulenken? Oder legt man lieber eine Stolperdrahtmine mit giftigem Gas auf den Boden? Warum nicht den einfach Weg gehen, sich verstecken und eine von der Wand abprallende Granate werfen, welche die zehn Wachen hinter der nächsten Ecke in Stücke reißt? Und dann unschuldig pfeifend von dannen ziehen? Die Möglichkeiten scheinen unbegrenzt, am wichtigsten sind aber dennoch sofort explodierende Bomben, die bei der Flucht helfen und den Verfolgern den Weg oder die Sicht versperren. Die gab es aber eigentlich im letzten Spiel auch schon. Die für die aktuelle Situation passende Bombe hat man sowieso immer dann gerade nicht parat, wenn man sie benötigt.
Neue Waffen, schön und gut, das gehört zu einem Assassin’s Creed dazu, selbst wenn Leonardo da Vinci nicht mehr mit am Start ist. Aber bei dem integrierten Tower Denfense-Game haben die Entwickler ja nun wirklich den Vogel abgeschossen. Wie auch zuvor sammelt Ezio mit allen möglichen Aktionen Notoriety, die durch Bestechen von Marktschreiern oder Abmurksen von wichtigen Leuten annihiliert werden kann. Macht man dies nicht rechtzeitig, greifen die Templer einen der gegründeten Assassinenstützpunkte an. Was nun folgt nennt sich Den Defense und ist ein Tower-Defense-Minispiel, bei dem man Assassinen auf Dächern platzieren muss – und war leider ein großer Griff ins Klo. Ein Mal muss der Spieler das machen, danach achtet er peinlich genau auf seine Notoriety, damit das ja nicht wieder vorkommt. Oder man bildet Assassinenschüler aus und trainiert sie, bis sie Meister-Assassine sind. Dann kümmern die sich nämlich um den Kram und Ezio kann sich auf Wichtigeres konzentrieren. Zukunftspläne mit seiner jungen Freundin schmieden oder seiner Schwester Briefe schreiben.
Einen Rekruten in den Rang eines Meister-Assassinen zu erheben ist allerdings nicht besonders leicht. Dazu muss man die Mörder in Ausbildung auf Missionen in umliegende Länder schicken. All diese Orte sind unter Templerherrschaft und wollen befreit werden. Doch damit ist es nicht getan, wie jeder weiß, der seinen Sun Tzu oder Caesar gründlich gelesen hat. Eroberte Städte wollen gehalten werden. Ezio jongliert also mit seinem guten Dutzend Assassinen, um einerseits immer genügend zur Unterstützung für seine Aufgaben in Konstantinopel auf Abruf zu haben, andererseits die eroberten Städte in Assassinenhand zu lassen. Das ist kein leichtes Unterfangen und nicht selten sieht man nach einer längeren Mission, während der man keine Möglichkeit hat, seine Schüler auf Reisen zu schicken, dass ein halbes Dutzend Städte von Templern angegriffen wurden. Die ganze Spielmechanik ist extrem nervig und zeitaufwändig und irgendwann gibt man einfach auf – spätestens, wenn alle Assassinen auf der höchsten Stufe sind und die Missionen jeglichen Sinn eingebüßt haben.
Zu guter Letzt kann Assassin’s Creed: Revelations doch noch mit einer überraschenden Neuerung aufwarten: nein, ich rede nicht vom Multiplayer-Modus. Ich rede vom Animus. Die einen lieben die Animus-Rahmengeschichte, die anderen hassen sie. In diesem Fall wurde aus Desmonds Reise durch den Animus ein anspruchsvolles Rätselspiel in der Ego-Perspektive, das fast schon an ein Portal herankommt. Desmond kann Blöcke erzeugen, um sich durch die Tiefen des Animus bewegen zu können. Hindernisse bestehen aus Bereichen, in denen die kreierten Blöcke aufgelöst werden, Flächen, die nicht berührt werden dürfen, sich drehenden Lasernetzen, oder Flüssen, auf denen sich Blöcke in eine vorgegebene Richtung bewegen. Aus diesem abwechslungsreichen Rätselgame hätte man fast ein eigenes Spiel machen können, fühlt es sich doch so gar nicht wie ein Assassin’s Creed an. Davon darf es im nächsten Spiel gerne mehr geben!
Assassin’s Creed: Revelations bietet mehr Bekanntes und wenig Neues, ein schlechtes Spiel wird es dadurch aber nicht und ein schlechtes Assassin’s Creed erst recht nicht. Fans der Reihe bekommen genau das, was sie möchten. Ubisoft dürfte sich trotzdem auch mal trauen, im Hauptspiel etwas richtig Neues zu probieren. Das Animus-Island-Rätselgame war ein guter Ansatz, aber warum sowas auf einen vom eigentlichen Spiel angetrennten Bereich beschränken? Durch die jährlichen Releases bleibt kaum Zeit für Innovation, bei Release eines Assassin’s Creeds wird vermutlich parallel schon seit zwei Jahren am Nachfolger gearbeitet. Die große Frage ist, wie lange das noch gut gehen kann. Optisch und technisch entwickelt sich das Spiel kein bisschen weiter. Inhaltlich wird sich beim nächsten Teil entscheiden, ob die Reihe dauerhaft so weitergehen kann, auch ohne Ezio als Sympathieträger. Neue Epoche, neue Charaktere, da braucht es schon einiges, um Fans und neue Spieler anzulocken. Ende des Jahres werden wir wissen, ob Assassin’s Creed auch ohne Renaissance-Killer funktionieren kann.