Was lange währt, wird endlich gut. Das gilt nicht nur für Larians »Divinity – Original Sin«, sondern auch für meine Review des Spiels, für die ich mir tatsächlich viel Zeit genommen habe. Zum einen ist das Rundentaktik-Rollenspiel des belgischen Entwicklers nämlich eine Erfahrung, die ich guten Gewissens als „unheimlich dicht“ bezeichnen würde. Es hat eine lange, sehr tiefgehende Haupthandlung, hunderte Nebenquests, einen schönen Soundtrack, eine große Spielwelt. Ab und zu gibt es auch geheime Orte, Gegenstände oder gar ganze Dungeons zu entdecken, die zwar zu keiner Quest gehören, aber ihre eigenen Belohnungen für alle Spieler sind, die sich die Zeit nehmen, die Spielwelt richtig zu erkunden. Aber ist größer und mehr eigentlich auch immer gut? Im Falle von »Original Sin« sehr häufig ja, an seltenen Stellen aber auch nicht. Zum anderen gibt es da auch noch eine Reihe von Bugs, die mir gerade am Anfang den Spielspaß vermiest haben, aber dazu werde ich gleich noch kommen. Wie ist es inzwischen um das erfolgreiche Kickstarterprojekt von Larian bestellt? Ist es der tiefgründige Rollenspielklassiker, den sich viele erhofft haben?
»Divinity – Original Sin« spielt, wie alle Spieler der Reihe, in der Fantasywelt von Rivellon. Den Begriff “Reihe” verwende ich hier mal relativ locker, weil z.B. »Divinity – Dragon Commander« nichts mit »Original Sin« oder der »Dragon Knight Saga« zu tun hat, allerdings dasselbe Setting benutzt. Das ist, auch wenn es mal wirklich finster zugehen kann, auch diesmal wieder launig und eher auf der Terry Pratchet-Seite der Fantasyszenarien. Hier haben auch Zombies und Skelette Gefühle, riesige Ork-Krieger sind sich ihrer eigenen Männlichkeit sicher genug, um Krokodilstränen für ihren in der Schlacht gefallenen Bruder zu vergießen und ein krächzender Imp-Historiker muckiert sich, weil die Herrin und Erschafferin der Zeit und des Schicksals sich anscheinend zu fein ist, um mit ihm zu reden. Was glaubt die eigentlich wer sie ist?!
Die Haupthandlung findet viele Jahre vor der des aller ersten »Divine Divinity« statt. Rivellon wurde in diesen Jahren von einer mächtigen Magierkaste, den
Der Titel ist an ein Erfahrungssystem gebunden, wie man es sonst auch aus traditionellen Rollenspielen kennt. Man erstellt sich zu Anfang der Kampagne ein Duo aus zwei Hauptcharakteren, einschließlich deren Persönlichkeit. Diese hat mit bestimmten Boni Einfluss auf die Charakterfähigkeiten, je nachdem in welche Richtung man sich entwickelt. Abgesehen davon gibt es auch noch 45 Persönlichkeitszüge, die die Charaktere und ihre Fähigkeiten mit Vor- und Nachteilen weiter verändern. Man startet mit zwei solchen Charakterzügen und bekommt danach alle vier Erfahrungsstufen einen dazu. Danach bekommen die Helden für besiegte Gegner und erledigte Quests ganz klassisch Erfahrungspunkte, steigen Stufen auf und investieren Punkte in Attribute und Fähigkeiten. Zwar gibt es für alle die schnell einsteigen möchten vorgefertigte Startcharaktere, aber man kann ansonsten alle zur Verfügung stehenden Attributs- und Talentpunkte frei verteilen. Jeder Spielstil wird unterstützt.
Mein Team bestand aus einem Krieger in Plattenrüstung mit Zweihandaxt, der aber auch mit Feuer- und Erdzaubern umgehen konnte, sowie einer schleichenden, meuchelnden, Gifte benutzenden Hexe mit Pfeil und Bogen. Das einzige, was an der Sache vielleicht ein wenig seltsam ist: Man kann das Spiel auch zu zweit im Coop angehen, wobei jeder Spieler die Rolle eines Hunters übernimmt, einschließlich auswählbarer Gesprächsoptionen. Spielt man hingegen allein, wählt man für beide Helden in deren Zwiegesprächen die Gesprächsoptionen aus, was eher unfreiwillig komisch ist, schließlich unterhält, scherzt und flirtet (wenn das Gespräch es zulässt) mit sich selbst. Es wäre weniger merkwürdig, wenn es eine KI gäbe, die anhand der vorliegenden Persönlichkeitsmerkmale, wie „romantisch“ oder „zynisch“ , die passende Gesprächsoption des jeweils anderen Helden auswählen würde, aber das fällt im Gesamtbild nicht weiter ins Gewicht. Es ist eben nur ein wenig seltsam, zumal man neben den beiden eigenen Helden auch noch eine Reihe von vorgefertigten Mitstreitern anwerben kann, für die genau diese KI eingebaut worden ist. (Ich bin gerade darüber aufgeklärt worden, dass eben diese von mir gewünschte KI in Patch V1.0.72 nachgereicht und eingebaut worden ist. Ich allerdings konnte davon bisher bei mir im Spiel nichts feststellen, obwohl ich den Titel erst Anfang September durchgespielt hatte. Ich möchte aber auch nicht ausschließen, dass es mit dem Rechner zusammen hängt oder mit irgendeinem Bug weil ich mit Spielständen weiter gespielt habe, die ich vor diesem Patch angelegt habe. Wie dem auch sei, gute Nachrichten für alle die neu anfangen: Mein Kritikpunkt ist anscheinend behoben worden!)
Das Charaktersystem in »Original Sin« ist also sehr frei und sehr komplex und gleiches gilt auch für einen weiteren starken Punkt des Rollenspiels: Die rundenbasierten Taktikkämpfe. Die sind nämlich extrem fordernd und intelligent, besonders auf höheren Schwierigkeitsgraden, und verlangen viel Tüftelei. Einen sehr großen Anteil hat daran die Interaktionsmöglichkeit mit der Umgebung. Beispiel gefällig? Ein Kampf gegen eine kleine Gruppe Untoter, genauer: Ein Zombie und vier Skelette. Der Zombie hat verhältnismäßig viele Trefferpunkte und sondert, immer wenn er von Pfeilen getroffen wird, einen grünlich-giftigen Schleim auf den Boden ab. Das wäre ja sehr schön, wenn er nicht ausschließlich von Skeletten umgeben wäre, die sich einen Dreck um Giftschaden scheren. Mein Nahkämpfer findet Gift allerdings nicht so gut und die KI ist leider clever genug, dass die meisten Gegner auf dem Schleimteppich stehen bleiben, sodass ich erstmal da durch muss. Glücklicherweise hat meine Hexe allerdings
httpv://youtu.be/Mea7Pa3rhJU
Auf der Kritikseite des ganzen steht, dass das Spiel relativ instabil beim ursprünglichen Release erschienen ist und auch heute noch gibt es ein paar Probleme. So sollte es aber eigentlich nicht sein. Die sind nämlich, wie schon in der Einleitung angekündigt, auch ein Grund warum die Review jetzt erst erscheint. Wie erwähnt, ist das Rollenspiel unglaublich dicht. Es gibt im Optimalfall viel zu entdecken und zu tun und ich hatte 20 Stunden mit dem Spiel verbracht, bevor ich überhaupt aus dem Umland der Anfangsstadt Cyseal raus war und das Spiel noch mehr Fahrt aufnahm. Dann musste ich allerdings eines Tages feststellen, dass ich zu einer zugegeben verhältnismäßig kleinen Gruppe von Leuten gehörte, deren Spielstände bedingt durch eine Kombination aus Rechnerkonfiguration und einem Patch nicht mehr lesbar waren. 20 Stunden für die Tonne. Etwas ähnliches gab es später nochmal. Dazu kommt, dass einige Bosskämpfe in Hauptquests gerade in früheren Versionen geradezu irrational schwer waren. Betäubungseffekte, Vergiftung, also alles was das Kampfsystem eigentlich so schön taktisch und komplex macht, greift bzw. griff bei manchen Endgegnern plötzlich nicht mehr und sie erschienen gegen solche Taktiken völlig immun – dann hilft nur stures Draufdreschen. Die Liste an Kritikpunkten wird dadurch abgerundet, dass das Spiel gerade im späteren Mittelteil anfängt zu schwächeln. Es gibt viele »Rede-Quests« und wenig Kämpfe (aber das ist sicherlich Geschmackssache) und hier und da fühlt sich durch konstantes hin- und herlaufen alles etwas künstlich gestreckt an, sodass öfter mal Leerlauf entsteht. Das allerdings hat man so aber bei anderen Spielen schon schlimmer gesehen und die Kämpfe und die allgemein gelungene Atmosphäre können darüber hinwegtrösten und gegen das letzte Drittel des Spiels läuft es noch einmal richtig zur Hochform auf.
Fazit: »Divinity – Original Sin« ist ein wirklich gutes, klassisches Taktikrollenspiel mit Humor und frischen Ideen, die größtenteils auch gut funktionieren. Erst recht für ein Spiel, das durch Crowdfunding auf Kickstarter entstanden ist, weil Larian nach eigener Aussage nicht unter der dem Druck eines Publishers stehen wollten. Es hätte sogar das Potential zu wahrer Größe innerhalb des Genres, würde es aktuell nicht noch durch die Kritikpunkte aus dem letzten Absatz eingeschränkt. Als es neu erschienen ist, sah es hier und da fast schon unfertig aus, aber viele dieser Probleme sind sehr schnell behoben worden. Auch wenn mir keine Minute leid tut (nicht mal die verschenkten 20 Stunden am Anfang), ist »Divinity – Original Sin« noch ein etwas ungeschliffener Rohdiamant mit Potential, das noch entfesselt werden will. Jeder der über die noch bestehenden Macken hinwegsehen kann, bekommt ein cooles Spiel mit Atmosphäre, Witz und Hirn, das sich angenehm vom grimmig-düsteren Trend im Genre abhebt.