
“Ich mache alles kaputt!” freut sich meine kleine Tochter und hat damit die Faszination von »Donkey Kong Bananza« innerhalb weniger Augenblicke erfasst. Noch vor ein paar Minuten haben wir vor der Tür gemeinsam auf den Postboten gewartet, schon sind wir mitten im Eltern-Kind-Coop-Modus. Sie spielt ein kleines, lilafarbenes Steinwesen, welches sich später als Pauline entpuppen wird und während ich den Oberaffen kontrolliere, kann sie – auf meiner Schulter hockend – mit nur einem Tastendruck alles um uns herum zersingen. Was meine Tochter nicht ahnt: Obwohl ich grobe 35 Jahre mehr Videospielerfahrung als sie habe, bin ich bereits genauso begeistert. Ja, in der Tat: Wir machen alles kaputt. Wahnsinn! Denn Donkey Kong und Sidekick Pauline können mühelos Löcher in die Umgebung schlagen, Gänge in die Landschaft graben, Mauern, Häuser und sogar Berge niederreißen und mit genügend Ausdauer sogar den Level selbst abtragen.
Dabei ist die frei zerstörbare Umgebung gar nicht mal Inhalt, sondern nur Aufhänger für ein Spiel, das seine Spieler vor allem dazu ermutigen möchte, die Level zu lesen, Dinge auszuprobieren und sich klug zu fühlen. Denn immer, wenn man den richtiger Riecher hatte, entdeckt man eine weitere von mehreren hundert Bananen, die überall verborgen sind. Die zu finden, ist Aufgabe des Spiels. Doch die verlorenen Früchte sind natürlich nur ein Vorwand. Eigentlich ist »Donkey Kong Bananza« ein Spielplatz und all die meist implizit formulierten Aufgaben die Klettergerüste, Schaukeln und Wippen, auf denen man sich austoben kann. Wie man all diese Geräte benutzt, steht einem frei. Zwar gibt »Donkey Kong Bananza« einen gewissen Rahmen vor, aber wie Kinder, die eine Rutsche raufklettern, anstatt auf ihr herunterzugleiten, lassen sich die Regeln meist frei interpretieren, dehnen und brechen. Die Bananen sind daher nicht wirklich das Ziel, sondern eher ein freundliches Schulterklopfen des Spiels, das signalisiert: “Gut gemacht! Jetzt probiere doch mal was anderes aus!”
Doch das kommt später. Denn bekanntlich hat der Mensch eine natürliche Affinität zum Bauklötze umwerfen und Sandburgen zertrümmern. Bevor man den Spielplatz erkennt, wird man daher die erste Zeit damit verbringen, sich lustvoll durch die Level zu wühlen. Unmittelbar hinter diesem etwas instinktiveren Vergnügen, das auch kleine Kinder sofort begreifen, verbirgt sich für erfahrenere Spieler aber noch ein ganz anderer Reiz. Meiner Tochter ist das zu dem Zeitpunkt nicht klar, jedoch: Was wir gerade tun, ist nicht selbstverständlich! Es ist aus gutem Grunde üblicherweise nicht möglich, eine Spielwelt großflächig zu verwüsten. Diese Beschränkung aufzuheben, die so fest verankert ist in den Gesetzmäßigkeiten des Mediums, dass sie eigentlich gar nicht mehr als solche wahrgenommen wird, stößt augenblich das Tor zu existenziellen Fragen über das Spiel selbst auf. Denn wie lassen sich Spielregeln durchsetzen, wenn das vorwiegende Instrument zur Reglementierung von Spieler und Spielfluss nicht mehr absolut ist? Wie könnte Doom je funktionieren, wenn man, statt die rote Schlüsselkarte zu suchen, sich einfach mit dem Raketenwerfer zum Ausgang sprengen könnte? Natürlich kann man einen freien Kreativbaukasten wie Minecraft entwickeln, aber einen 3D-Plattformer?
Nintendos Antwort darauf lautet, dass Regeln oftmals gar nicht so wichtig sind, solange man Spaß hat. Das Spiel interessiert sich nicht dafür, wie man eine Aufgabe löst und ob man den “korrekten” Weg gegangen ist. Erreicht man eine Banane, ist das Spiel zufrieden. Lässt man eine liegen aber ebenso. Nur an wenigen, neuralgischen Stellen wird »Donkey Kong Bananza« mal etwas strikter. So ist der Levelwechsel in der Regel mit einem Bosskampf verbunden, dem man sich auch durch Graben nicht entziehen kann. Auch sonst trifft man immer wieder auf solide Ebenen und Mauern, die selbst für Donkey Kongs Faustschläge zu robust sind oder Wände, die sich nicht erklimmen lassen. Gerade dadurch wird man jedoch dazu aufgefordern, um die Beschränkungen herumzudenken. So gibt es regelmäßig Aha-Momente, wenn man sich selbst dabei ertappt, in den üblichen Videospielregeln zu denken, obwohl die Lösung dank der zerstörbaren Umgebungen eigentlich auf der Hand liegt.
Und obwohl all das – inklusive der genannten Einschränkungen – nun nicht tatsächlich neu im engeren Sinne ist (Red Faction hat das etwa schon ganz ähnlich in 2001 gemacht), fühlt es sich wahnsinnig frisch und ungewöhnlich an. Zerstörbare Umgebungen sind auch mehr als zwanzig Jahre später eine Seltenheit, weil der Kontrollverlust, den Entwickler damit erleiden, augenblicklich zu erheblichen Konzessionen beim Gamedesign führen muss. Umso beeindruckender, wie es Nintendo gelingt, mit diesem laissez-faire-Gamedesign keine kuriose Techdemo, sondern einen vollwertigen 3D-Plattformer zu erschaffen, der noch dazu um dieses zentrale Feature herum zahlreiche neue Ideen entwickelt, die perfekt zum Genre passen. Jedes Level hat sein eigenes Thema mit oftmals einzigartige Materialien und Mechaniken, wodurch das Grundprinzip des Spiels ständig variiert wird. Es gibt etwa ein kurioses Materie-/Anti-Materie-Paar, bei dem sich der eine Partner in dem Maße aufbaut, wie man seinen Gegenpart abbaut. Aus solchen Elementen entsteht die nintendo-typische Magie und Kreativität, die auch ihre anderen Plattformer so herausragend macht. So geht »Donkey Kong Bananza« weit darüber hinaus, den Spieler lediglich Löcher in den Welt graben zu lassen.
Später verschmelzen beide Teile der Faszination – das Buddeln mit der Aufhebung der Grenzen und Regeln von Videospielen auf der einen Seite und das Suchen, Finden, und Sich-Klug-Fühlen auf der anderen – zu einem großen Ganzen. Jetzt wird »Donkey Kong Bananza« am besten: Wenn man den Spielplatz auch geistig erreicht hat, im Flow ist und noch eine und noch eine und nur-noch-eine Banane einsammelt, obwohl es schon 01:30 Uhr nachts ist.
Kenner werden spätestens jetzt auch erkennen, dass »Donkey Kong Bananza« im selben Takt wie Super Mario Odyssey gestaltet ist. In jedem Level gibt es eine mehrstufige Hauptquest, die durch den Abschnitt führt, zahlreiche mehr oder minder angedeutete Nebenaufgaben am Wegesrand und überall versteckt Tore zu abstrakten Bonuswelten, in denen in aller Kürze und Knappheit kleine, aufs wesentliche kondensierte Herausforderungen gemeistert werden müssen. Auch das macht es so schwierig, »Donkey Kong Bananza« beiseite zu legen: Wo immer man geht und steht, die nächste Banane ist jederzeit schon zu erahnen. Weil Donkey Kong aber nicht mehr in jeden Gegner schlüpfen kann, sondern lediglich fünf Formwandlungen beherrscht, fühlt sich das Gamedesign stringenter und nachvollziehbarer an als noch bei Super Mario Odyssey. »Donkey Kong Bananza« kürzt hier an der richtigen Stelle und baut dafür mit seinem neuen Hauptfeature einen interessanteren, intuitiveren und reibungsloseren Gameplayloop und ist dadurch am Ende nicht nur für sich genommen ein großartiges Spiel, sondern im Vergleich zu seinem geistigen Vorgänger zweifellos auch das bessere.
Mit »Donkey Kong Bananza« hat die Switch 2 ihr erstes, unvermeidbares Must-Have-Spiel. Es setzt einerseits das klassische Nintendogenre für die neue Hardware um und enthält all die Qualitäten, die man von einem 3D-Plattformer aus diesem Hause erwarten kann, während es gleichzeitig ein Kernfeature besitzt, an das sich bislang noch kein Entwickler von diesem Format getraut hat. Damit löst »Donkey Kong Bananza« das ureigene Versprechen eines jeden Generationswechsels ein, eine neue und andersartige Spielerfahrung zu bieten und wird so noch vor Mario Kart World zum wahren Launchtitel und Showcase der neuen Konsole. Gleichzeitig zeugt es von Nintendos Vertrauen in das eigene Schaffen, ausgerechnet Donkey Kong als Star ihres ersten Switch 2 Plattformers auftreten zu lassen, während das nächste 3D Mario weiterhin nicht zu sehen ist. Zurecht, wie sich zeigt: »Donkey Kong Bananza« ist exzellent.