Zockwork Orange

Die Wahl der Qual beim Ende von Mass Effect

Wenn ich den letzten Teil der Mass-Effect-Serie Revue passieren lasse, fallen mir zwar ein paar Logikfehler auf, aber denke ich primär an ein Ende, das durch viele Facetten überzeugen konnte: die Musik passte perfekt und die Atmosphäre hatte mich komplett gepackt. Vor allem aber hat mich das Ende zum Nachdenken angeregt, und das finde ich immer besser als ein simples Ende, das alles erklärt und keine Fragen offen lässt. Wenn ich mich Wochen später noch dabei erwische, wie ich über irgendwelche Details nachdenke, dann haben die Autoren definitiv etwas richtig gemacht. Ein schlechtes Ende hingegen würde man verdrängen, so wie ich zum Beispiel das Ende der TV-Serie LOST erfolgreich verdrängt habe.

All of this has happened before, and it will all happen again

Die Idee der „Eternal Recurrence“ oder des „Eternal Return“ (dt. ewige Wiederkehr) spielt in vielen Religionen und Kulturen eine wichtige Rolle. Schon die Ägypter und die Mayas glaubten, Zeit sei nicht linear, sondern zyklisch, und in allen Religionen, die an Wiedergeburt glauben, ist das Konzept offensichtlich auch vorhanden. Aber es gibt auch viele popkulturelle Beispiele für ewige Wiederkehr: Peter Pan, Die unendliche Geschichte, Battlestar Galactica oder Matrix.

Bei Mass Effect erwähnt zuerst der letzte Protheaner Javik, dass das Universum zyklisch abläuft. Das wissen wir bereits, alle 50.000 Jahre kommen die Reaper, töten höher entwickeltes organisches Leben und verschwinden wieder. Doch wir wissen nicht, ob sie die Ursache des Zyklus sind oder selbst einer höheren Macht unterliegen. Wer sich am religiösen Part des Endes stört, hat hier vermutlich nicht zugehört. In jedem Zyklus bauen die hoch entwickelten Bewohner der Galaxie eine Waffe gegen die Reaper, die aber nie rechtzeitig fertig gestellt werden kann. Die Pläne werden dann an die nächste Generation weitergegeben, die mit der Planung ein Stück weiter kommt. Die Protheaner waren einst die erste Rasse, die kurz vor der Vollendung des Crucible stand, der Waffe, mit der die Reaper vernichtet werden sollen, jedoch kann dies erst im aktuellen Zyklus zum ersten Mal vollbracht werden. Beim Hinweis, der zur Vollendung des Crucible fehlende Catalyst sei die Citadel (Crucible, Catalyst, Citadel, Cerberus, Cycle, Collectors… hmm… I see what you did there), sollte man stutzig werden: Der fehlende Teil für die Waffe gegen die Reaper ist das Ding, das die Reaper selbst gebaut haben? Und wer hat überhaupt die Reaper gebaut? Und warum zum Teufel rotten sie einige Lebewesen aus, aber nie alle?

All diese Antworten erwarten uns ganz zum Schluss vom Spiel, da sind wir uns ganz sicher. Aber springen wir etwas in der Zeit zurück: Die erneute letzte Schlacht gegen die Reaper ist im Gange und das Crucible auf dem Weg zur Citadel, welche von den Reapern leergefegt und aus dem Serpent-Nebel in die direkte Umlaufbahn der Erde geflogen wurde. Shepard befindet sich direkt um die Ecke in London, einen mysteriösen Reaper-Strahl als Ziel, der lebende und tote Menschen an Bord der Citadel beamen soll. Da die Reaper dafür gesorgt haben, dass die Citadel für fremden Besuch geschlossen ist, ist dies Shepards einzige Möglichkeit, die Raumstation zu betreten und für den Docking-Prozess am Crucible zu öffnen. So weit so logisch. Oder? Den wichtigsten Mann der Allianz in einen Strahl laufen lassen, ohne zu wissen, was ihn auf der anderen Seite erwartet, ohne zu wissen, ob es überhaupt eine andere Seite gibt, ist mehr als riskant. Aber Shepard macht‘s ohne Bedenken, rennt los und krepiert dabei fast. Er rafft sich auf, noch ein paar Schritte, ein paar Husks und „Marauder Shields“ aus dem Weg räumen, rein in den leuchtenden Strahl und schwupps, befindet er sich auf der Citadel. Gemeinsam mit Allianz-Kollege Admiral Anderson, der angeblich hinter Shepard in den Reaper-Strahl gelaufen ist, aber vor ihm das Kontrollzentrum der Citadel erreicht. Gemeinsam mit dem Unbekannten/Illusive Man, der schon vorher auf der Citadel war und nicht getötet wurde, obwohl er die Reaper gegen ihren Willen kontrollieren möchte.

Hier kommt es mal wieder zu einigen Entscheidungen, die alle überhaupt keinen Einfluss auf das weitere Spielgeschehen haben. Als Abtrünniger/Renegade den Illusive Man umbringen oder ihn sich selbst töten lassen? Ist doch eh alles egal. Am Ende sieht jeder Spieler das exakt gleiche Ende.

Also noch ein bisschen reden. Citadel und Crucible sind mittlerweile verbunden, doch nichts passiert. Admiral Hackett ist verwundert und funkt Shepard an, er solle sich um weitere Schritte kümmern. Daraufhin wird Shepard auf das Äußere der Citadel befördert, auf der ihn das Kind aus seinen Albträumen bzw. das Kind, das im Intro des Spiels gestorben ist (Zyklus, remember?), empfängt. Es handelt sich allerdings nicht um das echte Kind, sondern um ein Geisterwesen, das die Gestalt des Kindes angenommen hat. Hier gibt es jetzt zwei Möglichkeiten:

a) das göttliche Wesen schaut zum ersten Mal in Shepards Seele und nimmt die Gestalt des gestorbenen Kindes absichtlich an, oder
b) das Kind aus dem Intro war von Beginn an nicht real, sondern existierte nur in Shepards Vorstellung. Es wurde vom göttlichen Wesen erschaffen und in Shepards Gedanken verpflanzt.

Erklärung zu a: Das göttliche Wesen nimmt absichtlich die Form an, die Shepards Schuldgefühl repräsentiert. Warum? Um ihn so zu einer Entscheidung zu zwingen.

Erklärung zu b: Das göttliche Wesen, also der Catalyst, der in der Citadel haust, hat Shepard von Anfang an mit Erscheinungen und Albträumen beeinflusst. Im Intro hat außer Shepard niemand Notiz von dem Kind genommen. War es überhaupt echt oder nur in seinem Kopf?

Shepard kriegt nun von dem Kind erzählt, dass die Reaper die Lösung wären, um die Galaxie vor dem Chaos zu schützen. Organisches Leben erschafft in jedem Zyklus künstliches Leben, dieses wird sich seiner selbst bewusst und tötet irgendwann alles organische Leben. Um das zu verhindern, habe das Kind die Reaper erschaffen. Diese töten alle fortschrittlichen Lebewesen, damit die „jungen“ Rassen im nächsten Zyklus wachsen können, bis sie ebenfalls getötet und durch neue Rassen abgelöst werden.

Um das mal klar zu stellen: irgendwann hat künstliches Leben organisches Leben ausgelöscht. Weil das doof ist, hat das Kind die Reaper erschaffen, die organisches Leben präventiv auslöschen. Das Kind erschafft Reaper, die Reaper bauen die Mass Relays und die Citadel. Das Kind ist die Citadel. Suddenly, my mind is full of fuck. Wären die Reaper die hochentwickelten Geth eines früheren Zyklus, okay. Aber so ergibt das doch alles keinen Sinn. Also nehmen wir das einfach mal als Deus Ex Machina an.

Alle in den letzten drei Spielen getroffene Entscheidungen sind am Ende ohne Auswirkung

Das Kind bietet Shepard jetzt drei Türen/Optionen: die blaue Option bzw. die linke (oder „sinistre“, wie Doctor Hibbert sagen würde) Seite ist die, die Shepard unterbewusst mit dem Illusive Man verbindet. Sie lässt Shepard die Reaper kontrollieren, nicht zerstören. Das war die Lösung des Illusive Man, die wir bis zur letzten Sekunde strikt abgelehnt haben. Wir haben den Illusive Man sogar in den Selbstmord getrieben bzw. umgebracht, so überzeugt waren wir davon, dass die Option falsch sein muss.

Die rechte (man könnte „right option“ auch mit „richtige Option“ übersetzen) Option erscheint in Rot und lässt uns die Reaper zerstören – der Plan, den wir von Beginn des Spiels hatten. Die Renegade Option. In einer Vision sieht Shepard, wie der Illusive Man zur blauen Seite läuft um die Reaper zu kontrollieren, und sein Vorbild und Mentor Admiral Anderson wie wild auf die rote Seite ballert, die dann explodiert und alle Reaper mit sich zieht. Doch die rote Seite hat weitere Konsequenzen: Das kleine unschuldige Kind betont nochmal extra, dass mit dieser Option nicht nur die Reaper zerstört, sondern auch die Geth ausgelöscht werden. Sämtliches artifizielles Leben stirbt, auch die künstliche Intelligenz der Normandy SR-2, besser bekannt als die charmante EDI, wird nicht überleben. Die Mass Relays werden auch zerstört, aber das werden die ja bei jeder Wahl.

Es gibt aber noch eine dritte Möglichkeit: Mitte. Grün. Synthese. Der nächste Schritt der Evolution. Auch das wird von dem Kind viel zu positiv verkauft, als dass wir ohne Nachdenken annehmen sollten. Wo ist der Haken? Spricht das Kind etwa doch für die Reaper und will deren Zerstörung verhindern? Bei der Lösung verwandeln sich Natur, Mensch und künstliche Lebewesen in eine neue Form von Leben. Blätter, Boden, Haut – alles ist von lustig schimmernden Schaltkreisen durchzogen. Ein bisschen albern zwar, aber wir verstehen, was es symbolisieren soll.
Ziehen wir einen farblichen Vergleich mit dem Moralsystem in Mass Effect 3, könnte man meinen, dass die Zerstörung der Reaper auf der roten Seite die Renegade-Option, also die bösartige Entscheidung, darstellt. Die blaue Seite, also die gute Paragon-Option lässt uns Kontrolle über die Reaper erlangen.

Als Spieler wird man immer gelenkt, mal subtil, mal sehr direkt. Bei Mass Effect wird im ganzen Spiel nichts dem Zufall überlassen, jede gegnerische Attacke ist fest geskriptet und trotz scheinbarer Entscheidungsfreiheit wird man immer ganz klar in eine Richtung gedrängt. Bei jedem Gespräch hat man mehrere Auswahlmöglichkeiten um dem Spieler vorzugaukeln, er könne das Geschehen beeinflussen. Was er zu keinem Zeitpunkt kann. Die rote Lösung ist also böse und die linke, naja, das ist die vom Illusive Man, die können wir ja eigentlich auch nicht nehmen, oder? Außerdem, was heißt denn „kontrollieren“? Wir sterben sofort und die Reaper überleben. Kann unsere Kontrolle überhaupt verhindern, dass die Dinger wiederkommen? Einzig die Synthese-Option in einem positiven Grün scheint uns als vertretbare Lösung des Problems.

The more things change…

Der Spieler wählt also jetzt eine der drei Optionen und je nachdem wie er sich entscheidet… passiert exakt das Gleiche! Nochmal deutlicher: es ist egal, welche Charaktere in Mass Effect 2 gestorben sind und welche bis zum Schluss dabei waren. Es ist egal, ob Shepard total böse oder total nett ist. Es ist egal, ob Shepard die minimale Anzahl an Kriegsposten gefunden hat, oder ob er wirklich jede Hilfe dabei hatte, die er kriegen konnte. Und diese ominöse Prozentzahl, die galaktische Bereitschaft? Die man nur mit der iPad-App oder dem Multiplayer erhöhen konnte? Egal, alles unwichtig. Jeder bekommt diese drei Optionen und jede Option erzeugt – bis auf minimale Unterschiede – das gleiche Ende.Ich fasse zusammen:

Links/Blau: Shepard greift in die Strahlen, es gibt ganz viele blaue Explosionen, die Reaper auf der Erde ziehen ab, die Menschen jubeln. Während Shepard stirbt, sieht er Joker, Anderson und Liara.
Mitte/Grün: Shepard springt in den Strahl, es gibt ganz viele grüne Explosionen, die Reaper ziehen ab. Während Shepard stirbt, sieht er Joker, Anderson und Liara.
Rechts/Rot: Shepard schießt auf den Strahl auf der roten Seite, es gibt ganz viele rote Explosionen, die Reaper werden zerstört. Während Shepard stirbt, sieht er Joker, Anderson und Liara.

Alle 3: Die Citadel schießt einen Energiestrahl zum nächsten Mass Relay (je nach Wahl blau, grün oder rot), explodiert und der Strahl zischt von einem Mass Relay zum nächsten, die Relays explodieren nach und nach, was der Spieler von einer Position über der Galaxie beobachtet. Was physikalisch totaler Schwachsinn ist, der Mass Effect beeinflusst nicht, wie schnell das Licht sich zum Beobachter bewegt und man hört ja sogar die Explosionen. Zeitgleich! Egal, wir sind ja hier nicht bei Quarks & Co.

Im Anschluss sieht man die Normandy vor dem Energiestrahl flüchten, während sie gerade von einem Mass Relay zum anderen fliegt.

Nochmal einen Schritt zurück. Während Shepard auf der Citadel ist, herrscht Krieg auf der Erde. Millionen Menschen sterben. Was macht die ganze Crew Shepards, die mit ihm in London gekämpft hat? Setzt sich in die Normandy und haut ab? Bevor die bunten Explosionen stattfanden, war die Normandy bereits durch das erste Mass Relay. Fahnenflucht nennt man sowas. Hatte Shepard ihnen einen geheimen Auftrag gegeben, falls er nicht zurück kommt? Wird ein DLC das aufklären oder muss man es einfach als Logikfehler hinnehmen?

Für alle Enden gleich, legt die Normandy nun eine Bruchlandung auf einem unbekannten Planeten hin. Joker steigt aus der Normandy und je nach Ende wird er von anderen Personen begleitet.
Ende.

Das sieht man, wenn man Mass Effect mit den minimalen Anforderungen gespielt hat. Hat man sich mehr Mühe gegeben, sieht man trotzdem das Gleiche. Hat man sich sehr viel mehr Mühe gegeben, also mehr, als mit dem reinen Spiel selbst möglich ist (z.B. durch Multiplayer-Modus oder iPad-App) sieht man was ganz Tolles: einen nicht erkennbaren Körper inmitten von Betonruinen. Handelt es sich bei den Ruinen um die auf die Erde abgestürzte Citadel? Kann jemand überhaupt einen Sturz aus dieser Höhe überleben? Die Kamera fährt kurz über den Brustkorb der Person, nichts passiert, nichts passiert… der Brustkorb hebt sich – und dann ist alles vorbei. Wow, Glückwunsch an alle, die dafür 10 Stunden zusätzlich investiert haben. Selbst wenn das Shepard gewesen sein soll, selbst wenn man Gewissheit hätte, dass er lebt, ändert das rein gar nichts.

Shepards Indoktrinierung

Wer das Ende doof findet, hat sich vielleicht nicht genügend Gedanken gemacht und nicht zwischen den Zeilen gelesen? Es gibt die Theorie, dass Shepard von Anfang an indoktriniert war. Ich habe den ersten Teil der Serie nie komplett gespielt, deshalb fehlt mir hier einiges an Wissen, aber ich versuche mal zusammenzufassen.

In Mass Effect 3 sieht Shepard von Anfang an ein Kind, das sonst niemand sieht, eine Halluzination, die ihn das ganze Spiel über begleitet und beeinflusst. Shepard zeigt alle Symptome einer möglichen Indoktrinierung. Wenn er zum Schluss des dritten Teils die rote oder grüne Option wählt, leuchten seine Augen blau – wie bei anderen indoktrinierten Personen im Spiel, z.B. dem Illusive Man oder dem ehemals gefürchteten Spectre-Agenten Saren Arterius aus dem ersten Teil von Mass Effect.

Betrachten wir unter diesem Gesichtspunkt noch mal die verschiedenen Optionen, das Spiel zu beenden: Blau ist genau das, was der indoktrinierte Illusive Man gewollt hätte.. Grün ist genau das, was der indoktrinierte Saren gewollt hätte. Beide Optionen widersprechen allem, für das man drei Titel lang gekämpft hat, und trotzdem fühlt man sich zu ihnen hingezogen. Das ist sehr clever gemacht. Shepard ist indoktriniert und obwohl wir eine dritte Möglichkeit haben, denken wir als Spieler über die anderen Optionen nach. Ich weiß nicht, wie es euch geht, aber ich habe die grüne Mitte gewählt.

Rapid indoctrination is possible, but causes this decay in days or weeks. Slow, patient indoctrination allows the thrall to last for months or years.

Wir sind ebenso indoktriniert worden wie unsere Spielfigur. Wir wollen die Reaper gar nicht mehr zerstören. Wir wollen sie kontrollieren oder noch schlimmer, eine Symbiose mit ihnen eingehen. Bei den beiden Optionen „verwandelt“ sich Shepard und sieht dem Illusive Man kurz sehr ähnlich: die verbrannte Haut, die blau leuchtenden Augen – irgendwas an unserer Entscheidung muss faul sein.

Die Option, die Reaper zu zerstören, wird vom Kind so erklärt, dass man nicht anders kann, als sie abzulehnen. Die Lösung ist nicht endgültig, spätere Generationen werden wieder synthetisches Leben erschaffen und die Mass Relays werden zerstört (das werden sie natürlich bei allen Enden, aber das sagt uns das fiese Kind nicht). Den Tod der Geth könnten wir auch nur schwer verkraften und wir selbst sind eigentlich auch dem Ende geweiht. Doch Moment! Das Kind lügt, um uns zu den anderen Optionen zu zwingen. Wählen wir die rote Option und haben alles perfekt gelöst, dann besteht die Chance, zu überleben. Dann liegt Shepard irgendwo inmitten von Betontrümmern und atmet plötzlich abrupt ein. Als ob er aufwachen würde. In London, auf der Straße liegend. Das gesamte Ende ab dem Run auf den Strahl passierte nur in seinem Kopf!

Wenn das stimmen sollte, wurde über drei Spiele auf dieses Ende hingearbeitet. Shepard wird sehr langsam indoktriniert und wir als Spieler ebenso, bis wir zum Schluss genau das machen, was die Reaper wollen. Warum das die Zerstörung der Relays mit einbezieht, ist mir nicht ganz klar, die Reaper brauchen die Relays, schließlich auch, um sich in der Galaxie bewegen zu können. Allerdings spielt für sie Zeit keine Rolle, weshalb organisches Leben natürlich viel eher auf schnelles Reisen angewiesen ist. Was auch passiert, der von Shepard erschaffene Zusammehalt in der Galaxie wird zunichte gemacht, die Völker können sich nicht mehr erreichen und sind so, jeder für sich, weiteren Angriffen hilflos ausgeliefert. Ob das von Anfang an der Plan der Reaper war?

All diese Dinge habe ich mich nach Beendigen von Mass Effect 3 gefragt. Jetzt erscheint mit “Extended Cut” ein DLC, der das Ende erweitern und erklären soll. Bleibt zu hoffen, dass es dadurch nicht noch schlimmer gemacht wird. Lieber ein Ende, das viele Fragen offen und Raum für Spekulationen lässt, als eines, das mühsam versucht, logische Erklärungen für begangene Storylücken zu finden. Erinnert ihr euch an Star Trek, als man zu erklären versuchte, warum Klingonen in früheren Folgen, als das Geld für gute Maskenbildner fehlte, komplett anders aussahen? Manches sollte man einfach hinnehmen, abhaken und nicht mehr anrühren. Die meisten Spieler werden das Ende von Mass Effect auch mittlerweile hingenommen haben, das alles wieder wachzurütteln ist nur dann eine gute Idee, wenn das neue Ende wirklich überzeugen kann.

The Extended Cut

Der Protest war groß, viele Fans waren vom Ende der Trilogie enttäuscht. Verständlich, wie viele Trilogien gibt es, bei denen alle am Ende zufrieden waren? Über so lange Zeit aufgebaute Erwartungen können nur schwer erfüllt werden und allen kann man es eh nie Recht machen. Dennoch hatte Bioware angekündigt, ein überarbeitetes Ende zu veröffentlichen, was wiederum viele Gegenstimmen laut werden ließ. Das Ende sei zwar schlecht, aber jetzt klein beigeben und das Ende nach Wunsch der Fans zu ändern, sei ja auch keine Lösung, man solle doch bitte wenigstens zu seiner Entscheidung stehen.

Jetzt ist der Extended Cut von Mass Effect seit einiger Zeit draußen und es gibt eine gute und eine schlechte Nachricht. Die gute: es wurde kaum was verändert. Die schlechte: es wurde kaum was verändert. Es wurden Stellen, über die es viele Spekulationen gab, ausgebaut, es wurde mehr erklärt, aber so richtig anders ist nicht viel.

Die echten Neuerungen bemerkt man erst im Gespräch mit dem Kind. Shepard kann plötzlich Fragen stellen und hinterfragt, was er vorher einfach akzeptieren musste.

Das fängt damit an, dass das Kind zu erklären versucht, was oder wer es ist, wo es herkommt und die wichtigste Frage: von wem es erschaffen wurde. Die wird natürlich nicht beantwortet, die Antwort des Kindes lautet sinngemäß: “Hast du eh noch nie von gehört/würdest du eh nicht verstehen”. Auf den Kreislauf wird aber genauer eingegangen. Organisches Leben erschafft immer irgendwann synthetisches. Dieses muss sich unweigerlich weiterentwickeln und gegen seine Erschaffer rebellieren, was zu Chaos und Zerstörung führt. Die Reaper sammeln nun alles höher entwickelte Leben ein, organisch und synthetisch. Ganz wichtig: sie vernichten es nicht, sie sammeln es ein und speichern es in Reaper-Form, so das Kind. Jetzt ergibt das endlich einen Sinn, vorher sah es so aus, als würden die Reaper einfach alle weiter entwickelten Lebensformen vernichten.

Wo das Crucible herkomme wollte Shepard als nächstes wissen. Ja, das wurde irgendwann gebaut, mehr weiß das Kind auch nicht oder will es zumindest nicht sagen.

Im Anschluss kommt es zu der bekannten Wahl zwischen den drei Optionen. Hier kann Shepard bei jeder genau nachfragen, auf was er sich denn eigentlich einlässt. Das Kind erklärt und wir sehen dazu passende Cutscenes, auch die Auswirkungen, nachdem wir die Wahl getroffen haben, werden ausführlicher gezeigt.

Nachdem wir wieder eine der drei Optionen gewählt haben, bricht die Hölle los und die Normandy ist plötzlich unterwegs. Auch hier war Bioware sehr viel daran gelegen, Joker & Co nicht als fahnenflüchtige Feiglinge dastehen zu lassen. Als die vermeintliche Reaperwaffe hochgefahren wird, bekommt er den Befehl, die Fliege zu machen. Und er will natürlich gar nicht, wartet bis zum letzten Augenblick, in der Hoffnung, Shepard würde auftauchen. Erst dann flieht er vor dem Energiestrahl, der alle Relays zerstört.

Nach dem ganzen Spektakel sieht man, was in der näheren Zukunft passiert. Bei der mittleren Option zum Beispiel helfen die Reaper dann allen Völkern beim Wiederaufbau (in Standbildern, Cutscenes waren zu teuer), großes Friede, Freude, Eierkuchen-Feeling. Alles zum Voiceover von EDI, die mit “I am alive” bestätigt, dass die mittlere Option die beste war. Ganz zum Schluss stehen sie dann noch alle auf der Normandy und packen Shepards Namensplakette an die Wand, an der die Namen aller Toten hängen. Schnitt, Kamera auf Shepards Helm (den er das ganze Ende über gar nicht getragen hat), Schluss.

Bei der “Zerstören”-Option, sagt Hackett im Abspann, dass die Mass Relays stark beschädigt seien. Eigentlich müssten sie ja zerstört sein, was die Frage aufwirft, wie interstellare Reisen nun funktionieren und wie der Wiederaufbau in der “Synthese”-Option ablaufen soll. In der “Zerstören”-Option kann man übrigens wieder den kurz einatmenden Torso eines N7-Mitglieds sehen, die berühmte “Shepard hat überlebt”-Szene.

Die blaue “Kontrolle”-Option stellt sich im Extended Cut tatsächlich als negativste heraus. Shepard lebt und liefert das Voiceover für den Abspann. Zu einem unsterblichen, gottgleichen Wesen emporgehoben, erzählt der leicht größenwahnsinnige Shepard, wie er die Zukunft des Universums kontrollieren und Frieden für alle sichern will. Man muss weder ein Genie sein, noch viele Sci-Fi-Geschichten gelesen haben, um zu ahnen, dass das auf Dauer nicht gut gehen kann.

Eine echte Änderung bietet der Extended Cut aber doch: Shepard hat eine vierte Option, sich einfach zu weigern. Wenn Shepard nun auf das Kind schießt, offenbart es, ähnlich wie Gott in Star Trek V: Am Rande des Universums, sein wahres Ich und spricht plötzlich mit dunkler, bedrohlicher Stimme. “Pech gehabt, dann geht der Kreislauf halt ganz normal von vorne los”, sagt es (nicht ganz wortwörtlich) und so ist es dann auch. Die Erzählung springt in die Zukunft zu der Zeitkapsel, in der Liara Wissen für spätere Generationen gespeichert hat. Zukünftige Generationen sollen das Wissen nutzen, um in ihrer Zeit den Kreislauf zu durchbrechen. Die übliche Szene, die darauf folgt, ist nur hier abgeändert. Der alte Mann und das Kind, die zu den Sternen hinaufschauen und sich fragen, ob das alles wirklich passiert sei, gibt es hier nicht. Stattdessen erzählt eine Frau dem Kind, dass sie die Archive gefunden hätten und ohne diese Archive ebenfalls von den Reapern bedroht worden wären.

We can rebuild everything that was destroyed.

Was bleibt, ist ein Ende, das mir persönlich beim Spielen selbst sehr gut gefallen hat, aber durch jede Diskussion mit anderen, durch jede genauere Auseinandersetzung, immer schlechter wurde. Der Extended Cut ist nicht die ideale Lösung, aber ein guter Mittelweg. Wären die Mass Effect-Fans glücklicher gewesen, wäre der Extended Cut das ursprüngliche Ende gewesen? Vermutlich nicht. So richtig kann auch das Ende nicht überzeugen, nicht zuletzt, weil es stellenweise doch recht lieblos zusammengeschustert wirkt. Standbilder statt Cutscenes, ein neuer Abspann ohne Buzz Aldrin. Ein paar Logikfehler wurden erläutert, viel mehr aber auch nicht. Ein richtiges “so hätte es von Anfang an sein müssen”-Gefühl stellt sich nicht ein und man ist als Spieler traurig und enttäuscht, dass eine so großartige Serie ein zu ungroßartiges Ende bekommen hat. Das wird genau wie bei LOST für immer das erste sein, was man mit Mass Effect verbindet. Und das hat die beste Sci-Fi-Serie unter den Videospielen wirklich nicht verdient.

Quellen:
Shepard’s Indoctrination
Mind = … Holy fuck…
Mass Effect 3: All 3 Perfect Endings and Secret Ending
Extended Cut: Alle 4 Enden

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