Zockwork Orange

Die Hypemaschine gehört schon lange auf den Schrottplatz

Für alle, die mit dem Namen nichts anzufangen wissen: Jim Sterling – Thank God for him! – ist ein relativ bekannter, wenn auch vielleicht in der Vergangenheit etwas kontroverser Spielejournalist aus der englischsprachigen Fachpresse. Auf escapistmagazine.com hat er eine regelmäßige Show, die „Jimquisition“, in der er vor nicht allzulanger Zeit über die E3, »Watch_Dogs« und generell die Hypemaschine gesprochen hat. Dort sagt er: „Very few things impressed me at E3 this year […] Between that notorious »Killzone 2« Demo many years and a whole generation ago, or the incredibly recent rumors that »The Division« is already being downgraded from its overpromising trailers; There are dozens of examples of games being showcased that will never look like – and were never intended to look like – this. E3 has always been a place to lie.“

Ich finde im großen und ganzen hat er Recht, ABER: Ich finde auch, dass er die eigentlich wichtigen Fragen nicht stellt. Wahrscheinlich weil diese Fragen schon SO oft, an SO vielen anderen Stellen gestellt worden sind, wann immer ein Publisher irgendwo Mist gebaut hat und wir nicht den Titel bekommen, der uns versprochen worden ist. WARUM verspüren Publisher das Bedürfnis total unrealistische Erwartungen in uns zu wecken? WARUM versteckt Ubisoft die zusätzlichen Grafikoptionen in »Watch_Dogs« auf dem PC, auch wenn sie wahrscheinlich wussten, dass die irgendwo in Rekordzeit von irgendeinem Modder ausgegraben würden? WARUM besteht das Meiste von einer EA-Pressekonferenz aus polierten Trailern und Kameraaufnahmen von irgendwelchen Entwicklern, die mit Buzzwords wie „innovative“, „mindblowing“ und meiner Lieblingsphrase „special and memorable gaming experience“ um sich werfen?

Wir als Gamer leben in einer Kultur des Exzesses. Alles was du willst, zu jeder Zeit an jedem Ort, aber bitte auch möglichst billig. Der nächste XBLA- oder Steam-Sale kommt bestimmt! Alles schneller, bunter, lauter!!! Titel die kein riesiges Spektakel mitbringen gehen unter, wenn sie nicht wie damals »FEZ« etwa, Lieblinge der Indieszene sind. Egal wieviel Dichte, Seele oder cleveres Design möglicherweise unter der Oberfläche schlummert. Wären sie heute erschienen, würden das großartige »Planescape – Torment« oder die »Baldur’s Gate«-Reihe jämmerlich im Regal verschimmeln, bis irgendjemand sich erbarmt und sie für den Preis Happymeals auf Plattformen wie gog.com anbietet. Nicht, dass gog.com nicht großartig wäre.

Warum täten sie das? Weil in Zwischenzeit soviel mehr Hype um anderes generiert wird, was sich als Luftblase entpuppt. Weil es so viele andere Spiele gibt, die unsere völlig überstimulierten Gehirne mehr ansprechen! Alles was komplexe Lesearbeit (wie im Falle von älteren Rollenspielen) erfordert, ist plötzlich „zu anstrengend“, „zeitraubend“ oder wird schlicht als „trocken“ hingestellt. Der Exzess äußert sich darin, dass WIR ALLE Spiele in Steam-Profilen, auf den Konsolen oder sonst wo haben, die wir uns irgendwann einmal im Kaufrausch zugelegt haben und „bestimmt irgendwann mal anzocken… wenn mal Zeit ist.“ Zeit, die nie kommt, weil es IMMER irgendetwas neues geben wird und wenn doch nicht, vertreiben wir uns halt die Zeit mit dem X-ten DLC für etwas das wir schon haben und mögen und dem Bloggen/Lesen über Spiele die auf Fachmessen präsentiert werden und in geskripteten Präsentation so wunderschön, schnell, bunt und laut aussehen, dass wir uns vor Freude Scheuerpulver in die Augen reiben möchten, damit diese Präsentation das letzte ist was wir jemals sehen… Oder wie wenig wir vom Spektakel beeindruckt sind, da völlig übersättigt. Und bevor jetzt jemand ankommt und sagt, wie scheinheilig Old-Man Jan mit seinen Rollenspielen aus der Antike doch ist: Ich bin da nicht anders. Und ich find’s zum Kotzen!

Ja, Whitewashing – mal verhältnismäßig subtil wie im Falle von »Watch_Dogs«, mal so krass dass es schon nicht mehr dasselbe Spiel ist, wie im Falle von »Aliens – Colonial Marines« – ist um es mal ganz direkt zu sagen, beschissen. Aber es ist auch viel zu einfach, zu behaupten, dass es nur daher käme, dass Publisher sich gegenseitig ausboten wollen, den Kunden übers Ohr hauen wollen, um so vielleicht ein paar tausend Dollar, Euro, von mir aus auch Schekel mehr im angepeilten Geschäftsquartal zu machen. Das ist nur ein TEIL der Wahrheit. Der andere Teil der Wahrheit ist, dass wir als Spieler genauso Mitschuld am herrschenden Klima in der Spieleindustrie haben, wie die Publisher selber. Ich spreche hier NUR vom Verhalten der Spieler als Zuschauer und Kunden, by the way. Nicht etwa von Fan-Kultur an sich! Fan-Kultur, vom Cosplayer bis zum Modder ist etwas großartiges, das Leute zusammenbringt. Mir geht’s hier um uns als Kunden und als Käufer. Und wir als Kunden sind es mittlerweile so gewohnt, dass um unsere Aufmerksamkeit gebuhlt wird. Dass für jeden noch so kleinen DLC wie einen bescheuerten Bombenschnüffelhund oder was auch immer das in »Call of Duty – Ghosts« war, so ein riesiger Aufstand geprobt wird, dass wir alles andere schon nicht mehr wahrnehmen und wenn doch, dann nur weil wir uns selbst auf die Suche danach begeben.

Was wir dachten, wie es aussehen würde…

Bestes Beispiel ist »Watch_Dogs«. Ich gehe jetzt einzig und allein vom technischen Aspekt aus, besser gesagt von der Grafik, wegen derer viele Spieler im Moment einen Wutausbruch/Weinkrampf schieben. Das Spiel sieht in der fertigen Fassung objektiv gesehen ziemlich gut aus. Aber auch nur das: Ziemlich gut. Es ist keine Scheuerpulver-Level grafische Offenbarung, wie viele angenommen hatten. War die Grafik das, worauf sich jeder auf der E3 2012, als es zum ersten mal vorgestellt worden ist, einen Ast abgefreut hat? Nope. Es war der Umstand, dass tatsächlich mal ein Publisher eine neue Marke rausbringt, weil damals alle Welt und deren Mutter die Schnauze voll davon hatten, nur ein Sequel, Prequel oder Pre-Sequel-Sequel-Prequel nach dem anderen präsentiert zu bekommen. Es gab mal den Hauch von frischem Wind. War es nötig die Grafik trotzdem zu pushen? Yup. Warum? Weil sich nach der Präsentation ein nicht geringer Anteil von Zuschauern und Schreiberlingen darüber aufgeregt hätte, wie furchtbar es doch sei, dass ein Publisher wie Ubisoft, diese Grafik nur auf dem PC hinbekommt. Microsoft und Sony hätten zähneknirschend zugeben müssen, dass ihre Next-Gen-Wunderwürfel das nicht packen, ein paar wenige Konsoleros hätten sich im Nachteil gefühlt und das Spiel in Foren und sonst wo miesmachen wollen (wobei sich natürlich überhaupt nicht kalkulieren lässt, wie sich das auf die Verkaufszahlen ausgewirkt hätte… Ein Risiko das man also lieber nicht eingehen will, für den Fall, dass ein Schneeballeffekt stattfindet.) und TADAAA! Schon gibt’s den ersten dunklen Fleck auf der Weste einer Marke, die von der eigenen Mutter noch nicht mal von der sprichwörtlichen Neugeborenenstation abgeholt worden ist und der gerade erst die Nabelschnur durchtrennt wurde.

*seufz*….

Ich weiß, dass der folgende Aufruf wahrscheinlich auf taube Ohren stoßen wird, denn es ist immer blöd sich selbst die Mitschuld an etwas einzugestehen, das man so eigentlich gar nicht will – zumal ich illusionsfrei genug bin, um davon auszugehen, dass ich mich mit meinem kleinen Rant hier zu Jim Sterling in etwa so verhalte, wie der mächtige Nordseehering zum Blauwal, wenn es um geschlagene Wellen geht. Falls das hier aber doch IRGENDWER ohne Rage-Quit bis zu Ende gelesen hat, möchte ich mal einen Aufruf machen.

… wie es tatsächlich aussieht.

Vor eurem nächsten Youtube-Comment, Reddit-Posting, Blogeintrag, Newsartikel, eurer nächsten Pressemeldung falls ihr PRler oder Devs und hierüber gestolpert seid… Schaut auf euch selbst. Schaut auf euer Kaufverhalten. Welche Erwartungen ihr weckt oder welche ihr vielleicht auch bereitwillig in euch wecken LASST, weil ihr ein bestimmtes Wunschbild von eurem kommenden Lieblingsspiel habt. Stellt euch selbst mal ein paar kritische Fragen: Was will ich von diesem oder jenem Spiel? Welche Spiele erfüllen diese Wünsche und welche nicht? Will ich WIRKLICH so sein wie Jan, der den letzten Teil von »Assassin’s Creed« und »Goat Simulator« gekauft hat, bloß weil gerade Summer Sale auf Steam war, obwohl er ab dem zweiten Teil keinen Serienteil mehr angefasst hat und das Ziegending ihn eigentlich NULL interessiert? Bin ich so satt, dass ich einfach nur aus Langeweile stumpf etwas konsumiere, einfach weil es DA IST und ich es KANN?! Ist der Sturm der Entrüstung, den ich gerade wegen ein paar Pixeln mehr Auflösung und mehr Shading, Buffering oder was auch immer entfesseln will, WIRKLICH gerechtfertigt? Und wenn ja, wie viel Mitschuld haben Spieler am Hype und am Bedürfnis der Publisher uns etwas vorzuspielen? Und vor allem: Was können wir ALLE daran und an der Hypekultur ändern? Gibt es genug Gameplay um ein RICHTIGES Urteil zu fällen?

Was ich uns allen als Spieler, Schreibern und Entwicklern sagen will ist: Denkt nach! Seid wütend, aber seid konstruktiv wütend! Und falls es einen Anlass dafür gibt, seid auch auf euch selbst wütend. Denn wenn der Hype mit falschen Tatsachen das Monster ist und die Publisher der Frankenstein, der das Monster gebaut und auf die Massen losgelassen hat, dann ist der Rest von uns gleichermaßen diese Masse, aber gleichzeitig auch der Igor, der die Teil für das Monster rangeschafft hat, indem wir nur noch auf Spektakel schauen, so entsetzlich schwer zu begeistern sind und letztlich über Wut und Negativität das Wesentliche aus den Augen verlieren: Spaß an guten Spielen.

Die mobile Version verlassen